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Ein Kommentar von Ralf Nagel vom Verband Deutscher Reeder
Tritt ein Schiff am Ende seines Arbeitslebens seine letzte Fahrt an, führt diese meistens nach Asien. Staaten wie Indien, Bangladesch[ds_preview] und China halten seit Jahrzehnten die weltweit größten Abwrackmöglichkeiten für Schiffe vor und verwerten den gewaltigen Anteil von etwa 90% der weltweiten Alttonnage. Das Abwracken eines Schiffes in Asien ist ein komplexer Vorgang, bei dem das Schiff nicht einfach nur verschrottet, sondern kleinteilig zerlegt und zu fast 100% recycelt wird. Stahl, Lampen, Anker, alles Gebräuchliche findet eine neue Verwendung innerhalb und außerhalb der Schifffahrt. Nur einzelne Reststoffe können nicht wieder verwertet werden.

Um beim Zerlegen und anschließenden Recyceln der Schiffe hohe und weltweit einheitliche Sicherheits- und Umweltstandards garantieren zu können, haben die Mitgliedstaaten der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation IMO schon im Jahr 2009 das sogenannte Hongkong-Übereinkommen erarbeitet und verabschiedet. Danach sind Abwrackwerften und deren Heimatstaaten angehalten, insbesondere ihre Arbeitssicherheitsstandards beim Schiffsrecycling zu erhöhen. Reedereien werden verpflichtet, Schadstofflisten der Schiffe zu führen und an Bord vorzuhalten. Mitgliedstaaten kontrollieren diese Verpflichtungen weltweit im Rahmen der Hafenstaatenkontrolle. Das Hongkong-Übereinkommen ist damit ein international anerkannt scharfes Schwert für umweltfreundliches und sicheres Recycling.

Der Verband Deutscher Reeder (VDR) hat nicht nur die Entwicklung der Konvention aktiv unterstützt: Unmittelbar nach der Verabschiedung des Hongkong-Übereinkommens hat der VDR über seinen internationalen Dachverband International Chamber of Shipping – zusammen mit den anderen nationalen und internationalen Schifffahrtsverbänden – Leitlinien für ein umweltfreundliches Recycling von Schiffen an Reedereien erarbeitet, die bereits heute von vielen Reedereien auf ihren Schiffen umgesetzt werden. Der Leitfaden enthält insbesondere Hinweise, um detaillierte Schadstofflisten zu erstellen und Recyclingwerften auszuwählen, die Schiffe umweltfreundlich verwerten.

So wirksam das Hongkong-Übereinkommen aber sein könnte, so langsam vollzieht sich derzeit dessen internationale Inkraftsetzung. Die Mitgliedstaaten der IMO zeigen bislang wenig Engagement, die Konvention zügig zu ratifizieren und umzusetzen. Dies öffnet die Tür für den Erlass regionaler Sonderregeln. Europa wählte diesen Weg und erlies im letzten Jahr eine EU-Verordnung zum Abwracken von Seeschiffen. Die Verordnung folgt im Wesentlichen den Bestimmungen der Hongkong-Konvention und verleiht ihnen in der EU bereits vor dem Inkrafttreten der internationalen Konvention Wirksamkeit. In den Teilen, in denen von den internationalen Regeln nicht abgewichen wird, ist dieser regionale Sonderweg für die Schifffahrt akzeptabel. Er darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass am Ende nur das Hongkong-Übereinkommen international verbindliche Standards setzen kann. Europäische Gesetze gelten nicht in Asien und können damit nicht die Bedingungen auf den dortigen Abwrackwerften regeln.

Die Mitgliedstaaten der IMO und allen voran die der Europäischen Union stehen in der Pflicht, das Hongkong-Übereinkommen zügig zu ratifizieren und auch umzusetzen. Eine Europäische Verordnung kann und darf von diesem wichtigen Schritt zu internationalen Standards nicht entbinden.

Ralf Nagel