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Das »Life Cycle Costing« gewinnt in der maritimen Industrie zunehmend an Bedeutung. Eine umfangreiche Integration gab es aber noch nicht. In einem Forschungsprojekt wurde jetzt ein angepasstes Instrument entwickelt


In den letzten Jahren hat das Life Cycle Costing (LCC) auch in der maritimen Industrie, insbesondere bei Werften und Reedereien[ds_preview], zunehmend an Bedeutung gewonnen. Aufgrund der hohen Betriebskosten eines Schiffes, die auch durch eine lange Nutzungsdauer von oft mehr als 25 Jahren bedingt sind und einen Anteil von bis zu 80% und mehr an den gesamten Lebenszykluskosten haben (Fischer, J. O./Holbach, G., Cost Management in Shipbuilding: Planning, Analysing and Controlling Product Cost in the Maritime Industry, GKP Publishing Cologne, 10.01.2011.), ist eine Kostenbetrachtung über den gesamten Schiffslebenszyklus besonders wichtig (Pucher, H., Entwicklungstendenzen bei Großdieselmotoren und ihre Auswirkungen auf deren Konstruktion, in: Konstruktion, 41. Jg., S. 221–228.

Stanik, C/Holbach, G., Instrument zur Ermittlung von Lebenszykluskosten entwickelt, in: Schiff & Hafen, Nr. 9, Jg. 66, September 2014, S. 74–78). Trotz seines Nutzenpotentials werden die Möglichkeiten des LCC bei weitem nicht ausgeschöpft, da die Methoden und Prozesse bei den betreffenden Unternehmen größtenteils »historisch gewachsen« sind. Eine systematische Adaption des LCC an die Anforderungen der maritimen Industrie hat bisher nicht durchgängig stattgefunden.

Im AiF-Forschungsprojekt »Life Cycle Costing in Schifffahrt und Schiffbau« der Forschungsvereinigung Center of Maritime Technologies sowie der Forschungsstellen TU Berlin und International Performance Research Institute gGmbH, wurde in Zusammenarbeit mit einem projektbegleitenden Ausschuss der maritimen Industrie ein an die Anforderungen von Werften und Reedereien angepasstes LCC-Instrument entwickelt. Es wurde vom FG Entwurf und Betrieb Maritimer Systeme der TU Berlin in einen softwarebasierten LCC Demonstrator überführt und in ausgewählten Werften des Passagier-, Fracht- und Marineschiffbaus sowie Reedereien erprobt und validiert (NATO (Hrsg.), Methods and Models for Life Cycle Costing, TR-SAS-054, Springfield, 2007).

Als Beispiel für Rahmenbedingungen gilt hier der Marine-Schiffbau, wo die Bedingungen mit dem Geschäftsbereich Surface Vessels von ThyssenKrupp Marine Systems identifiziert wurden.

Kundenspezifische Entwicklung

Die Kunden sind Beschaffungsbehörden und Marinen verschiedener Nationen. Die Beschaffung durchläuft die Phasen Angebotsausarbeitung, Konstruktion, Bau und Services. Bei der Angebotsausarbeitung erstellt der Anbieter auf Basis der Anforderungen des Kunden ein Schiffskonzept. Hierbei stützt sich die Kalkulation der Kosten für die Systeme zunächst auf die Erfahrungen und Daten vergangener Projekte. Durch die Systemauswahl werden die Betriebskosten weitestgehend festgelegt, allerdings ohne hier schon immer abschließend quantifiziert werden zu können. Dies begrenzt die Möglichkeiten, durch eine entsprechende Systemauswahl die Lebenszykluskosten vorteilhaft zu beeinflussen. Die Konstruktion beginnt mit dem Stahlbau. Weiterhin werden die Systeme weiter ausgearbeitet und die technischen Daten der Komponenten für die Systeme berechnet. Stehen alle Komponenten für den Bau fest, beginnt der Servicebereich ein Instandhaltungskonzept auszuarbeiten und berechnet dabei auch die zukünftigen Ersatzteilkosten und Arbeitsaufwände.

Gesamter Lebenszyklus

Die neuen Bestimmungen zum Beschaffungsprozess der deutschen Marine fordern, dass die Lebenszykluskosten beim Kauf eines Schiffes feststehen müssen und in die Angebotsauswahl mit einfließen. Hierfür wird in den Anforderungen der Ausschreibung ein genaues Fahrprofil beschrieben für das die Betriebskosten zu berechnen sind. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass in den späteren Einsätzen dieses Profil tatsächlich so gefahren wird. Auch aus diesem Grund ist die Berechnung der Lebenszykluskosten mit hohen Unsicherheiten verbunden.

Problem beim Life Cycle Costing

Die Optimierung der Lebenszykluskosten muss auf Komponentenebene stattfinden, wobei die Kostenreduzierung einer Komponente auch zu einer Kostenerhöhung des Systems führen kann. Für die Bestimmung der reinen Beschaffungskosten werden verschiedene Angebote eingeholt. Für eine Lebenszykluskostenbestimmung müssen dann noch Ersatzteilpreise, Arbeitsaufwände und Ausfallwahrscheinlichkeiten von verschiedenen Herstellern verglichen werden. Helfen können dabei Erfahrungen, Daten und Berechnungen des Servicebereichs in der Instandhaltung, mit denen die Betriebskosten vorhandener Systeme und Komponenten dargestellt werden können. Dabei ist eine Vielzahl von Konstrukteuren involviert. Da zwar einerseits in der Angebotsphase die Möglichkeit der Lebenszykluskostenbeeinflussung am höchsten ist, andererseits hier jedoch nur wenig Zeit zur Verfügung steht, müssen die Lebenszykluskosten bereits im Vorfeld der Erstellung kundenspezifischer Angebote auf Systemebene optimiert werden. Daraus resultiert eine Vorleistung (V) des Herstellers. Diese Kosten werden idealerweise während des Betriebs wieder eingespart (Schnittpunkt der Kurven), so dass über den gesamten Lebenszyklus die Einsparungen des Betreibers die zusätzlichen Kosten übersteigen (E).

Entwicklung eines LCC-Instruments

Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde ein softwarebasierter LCC-Demonstrator entwickelt.

Dieser Demonstrator basiert auf einem Investitionsrechenmodell (IRM), welches in Anlehnung an die Kapitalwertmethode und an VDMA-34160:2006-06

(LCC Schema für den Maschinen- und Anlagenbau) (VDMA (Hrsg.), Prognosemodell für die Lebenszykluskosten von Maschinen und Anlagen. VDMA 34160:2006-06, Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V., Berlin 2006.) für die Anforderungen der maritime Industrie spezifiziert und angepasst wurde. Mit dem Investitionsrechenmodell (IRM) wird der Kapitalwert (Engl. »Net Present Value«) eines Projektes über einen definierten Zeitraum und bei einem gewählten Kalkulationszinssatz berechnet (NATO (Hrsg.), Methods and Models for Life Cycle Costing, TR-SAS-054, Springfield, 2007).

Grundlage des IRM bildet ein Kostenkatalog, in dem alle Kosten, die über den Lebenszyklus eines Schiffes aus Reederei- oder Werftsicht entstehen können, aufgeführt sind und bei einer LCC Kalkulation aktiviert werden können. Um mögliche Erträge berücksichtigen zu können, wurden diese ebenso systematisiert hinterlegt. Die Kosten werden der Entstehungs-, Betriebs- und Entsorgungsphase zugeordnet. In der Entstehungsphase (E) werden alle Kosten berücksichtigt, die mit der Anschaffung eines Schiffes verbunden sind. In der Betriebsphase (B), werden alle Betriebskosten zusammengefasst, die während der Nutzung des Schiffes, also ab Auslieferung des Schiffes an einen Schiffseigner bis zur Entsorgung oder zum Weiterverkauf, anfallen. Die Betriebskosten werden in die Kategorien: Personalkosten (See) (P), Schiffsunterhaltskosten (U), Instandhaltungskosten (M), Versicherungskosten (R), Verbesserungskosten (I), sowie Administrationskosten (Land) (A) eingeteilt. Unter Entsorgungskosten in der Entsorgungsphase (V) werden alle Kosten zusammengefasst, die bei der Demontage des Schiffes sowie der Rückführung einzelner Komponenten und Systeme in den Gebrauchtwarenmarkt anfallen. Den zuvor aufgezählten Kategorien wurden weitere Kosten untergeordnet, die aus Literaturquellen entnommen und durch Interviews in dem am Forschungsprojekt beteiligten Unternehmen ergänzt wurden.

Aus den Rahmenbedingungen lassen sich fünf wesentliche Anforderungen ableiten, die an ein LCC-Instrument für den Marineschiffbau zu stellen sind:

Einsatz auf verschiedenen Ebenen

Entsprechend den beschriebenen Schritten bei der Entwicklung eines Marineschiffs sind auf Seite des Schiffsbaus Entscheidungen zu treffen bezüglich alternativen Entwürfen, alternativen Komponenten, mit denen ein ausgewählter Entwurf realisiert wird, sowie alternativen Instandhaltungskonzepten, die der angebotenen Materialerhaltung zugrunde gelegt werden.

Ein LCC-Instrument für den Schiffbau muss sich auf sehr unterschiedliche Betrachtungsebenen beziehen können, von einzelnen Komponenten bis zum gesamten Schiff. Eine detaillierte Betrachtung von Komponenten und Systemen erfolgt im LCC-Demonstrator durch die Erstellung von einzelnen »Projekten«. Je nachdem, wie detailliert die Kostengrößen betrachtet werden sollen, kann der Nutzer praktisch beliebig viele Detaillierungsebenen festlegen. Sind für ein Projekt die Lebenszykluskosten bestimmt, können bis zu fünf Alternativen verglichen werden, die sich durch Variation von einzelnen Kostengrößen ergeben.

Abbildung von Wechselwirkungen

Die Steuerung der Lebenszykluskosten erfordert eine simultane Optimierung von Herstell- und Betriebskosten. Damit müssen die Wechselwirkungen berücksichtigt werden, welche die Auswahl einer technischen Lösung bedingt. Zur Erfüllung dieser Anforderung können in dem LCC-Demonstrator zusätzlich zu den gesamten Lebenszykluskosten auch die Herstell- und Betriebskosten einzeln ausgewiesen werden, um eine individuelle Gewichtung dieser Anteile durch den Kunden zu ermöglichen.

Robustheit bei veränderten Szenarien

Wie oben dargestellt, sind Berechnungen der Lebenszykluskosten bei den hier betrachteten Anwendungsfällen besonders hohen Unsicherheiten unterworfen. Daher ist es unabdingbar, dass nicht nur einzelne Ergebnisgrößen ermittelt werden, sondern sich auch Szenarien analysieren lassen, die sich bei einer Änderung der prognostizierten Eingangsdaten ergeben. Der LCC-Demonstrator kann Szenarien hinsichtlich der Betriebskostenentwicklung bei geänderten Eingangsdaten auf den verschiedenen Detaillierungsebenen abbilden. So ist es z.B. möglich, Kostentrends zu hinterlegen und einzusetzen.

Kommunikationsmöglichkeit

Die Nutzung des LCC als Teil der Angebotsausarbeitung setzt voraus, dass die Ergebnisse dem potentiellen Kunden vermittelt werden können. Dies stellt besondere Anforderungen an die Transparenz der zugrunde liegenden Eingangsdaten und deren Ermittlung. Außerdem muss der Weg, auf dem die Ergebnisse errechnet wurden, nachvollziehbar sein und schließlich auch die richtige und eindeutige Interpretation dieser Ergebnisse sichergestellt werden. Dafür lassen sich die erzeugten Ergebnisse von Alternativprojekten mit Hilfe der Vergleichsfunktion im LCC-Instrument aufzeigen. Die gesamten kumulierten Lebenszykluskosten, deren jährlicher Entwicklung über die Laufzeit eines Projektes sowie der Vergleich mehrerer Projekte können grafisch visualisiert werden. Damit lassen sich auch unterschiedliche Amortisationszeitpunkte alternativer Projekte direkt erkennen.

Einfache Nutzung

Da sich das Einsatzgebiet des LCC von der frühen Entwurfsphase bis hin zur Instandhaltungsplanung während der Angebotsphase erstreckt, sind verschiedene Unternehmensbereiche gefordert, das LCC-Instrument anzuwenden. Dies betrifft vor allem Mitarbeiter aus Entwurf, Konstruktion und, mit der Entwicklung des Instandhaltungskonzepts, aus dem Geschäftsbereich Services. Bei der Konzeption des Demonstrators wurde daher Wert auf eine einfache Bedienung gelegt, so dass Mitarbeiter mit unterschiedlichem fachlichem Hintergrund das LCC-Instrument nutzen können. Anwendern unterschiedlicher Fachrichtungen wird eine individuelle Projektbearbeitung bei gleichzeitig standardisierten Arbeitsschritten ermöglicht, unterstützt durch eine kontextbezogene Hilfe und ein Handbuch.

Ausblick

Das im Projekt »Life Cycle Costing für Schiffbau und Schifffahrt« entwickelte LCC-Instrument trägt dazu bei, den Einsatz der Lebenszykluskostenberechnung in der maritimen Industrie zu unterstützen. Zu den Weiterentwicklungsmöglichkeiten des Instruments gehören bspw. die Hinterlegung von Schiffskomponenten und -systemen in Form eines Baugruppenverzeichnisses.

In der Zukunft wird das LCC voraussichtlich weiter an Bedeutung gewinnen, da die Unternehmen der maritimen Industrie für eine Lebenszykluskostenbetrachtung zunehmend sensibilisiert werden. Der in dem Forschungsprojekt entwickelte Lösungsansatz für ein LCC-Instrument kann diesen Unternehmen helfen, eine LCC-Philosophie aufzubauen, um das komplexe langlebige Produkt »Schiff« aus einem ganzheitlichen langfristigen Fokus zu betrachten.

Literatur

Autoren: Dipl.-Ing. Christopher Stanik,

FG Entwurf und Betrieb Maritimer

Systeme, TU Berlin

Dipl.-Kffr. Dipl.-Vw. Sabine Bolt,

International Performance Research

Institute gGmbH

Dr. Jan O. Fischer, costfact systems. Dipl.-Ing. Hinnerk Treyde,

ThyssenKrupp Marine Systems GmbH, Geschäftsbereich Surface Vessels

Prof. Dr.-Ing. Gerd Holbach, FG Entwurf und Betrieb Maritimer Systeme, TU Berlin


Dipl.-Ing. Christopher Stanik, Dipl.-Kffr. Dipl.-Vw. Sabine Bolt, Dr. Jan O. Fischer, Dipl.-Ing. Hinnerk Treyde, Prof. Dr.-Ing. Gerd Holbach