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Wegen des hohen Wettbewerbsdrucks ist die gute Koordination von Linien-

diensten für Reedereien extrem wichtig. Auf der Suche nach optimalen Lösungen ist aber auch moderne Technik überfordert. beschreibt einen neuen Ansatz
Aufgrund ihrer Kostenstruktur mit verhältnismäßig hohen Fixkosten im Vergleich zu den variablen Kosten entstehen dem Liniendienst hohe Gesamtkosten. Eine Erhöhung[ds_preview] der Anzahl der transportierten Container verbessert bei nahezu gleichbleibenden Kosten den Gewinn. Es bedarf hoher Auslastungen der Flotte, um die Gewinnzone zu erreichen. Ähnlich wie in anderen Transportindustrien, zum Beispiel im Luftverkehr, sind die Schifffahrtsliniendienste, in denen bestimmte Frachter regelmäßig dieselben Häfen in der gleichen Reihenfolge anlaufen, langfristig angelegt und benötigen einen hohen Aufwand an Organisation. Die Koordinatoren in den Reedereien tragen daher eine sehr hohe Verantwortung, da Fehler in der Planung von Liniendiensten zu erheblichen Verlusten führen können.

Um einen Liniendienst zu verbessern, sind immer zwei konträre Aspekte – die Kosten und die Erlöse – zu betrachten. Die minimalen Kosten würden entstehen, wenn alle Liniendienste eingestellt würden. Hingegen würden die maximalen Erlöse realisiert, wenn die Schiffe mit Höchstgeschwindigkeit fahren und die größtmögliche Menge von Häfen anlaufen würden, was zu einer Kostenexplosion führt. Entsprechend ist allein die Maximierung des Gewinns ein sinnvolles Maß für die Effizienz des Dienstes.

Welche Hafenfolge?

Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen müssen verschiedene Fragen bei der Liniendienstplanung beantwortet werden: Welche Häfen sollen in welcher Reihenfolge angelaufen werden? Wie viele Schiffe welcher Schiffsklasse sollen eingesetzt werden? Mit welchen Geschwindigkeiten sollen die Schiffe auf den Passagen zwischen den Häfen unterwegs sein, und welche Ladung soll geladen werden? Wie reagiert die Konkurrenz? Verschiedene Ansätze bieten sich dafür an. Einer besteht darin, ausschließlich die volumen- oder umsatzstärksten Import- und Exporthäfen auszuwählen. Diese Vorgehensweise ist jedoch nicht geeignet, einen effizienten Dienst zu gestalten, da nur die Erlösseite und nicht der Gewinn erwogen wird. Zudem können Transporte nur in Kombination der Start- und der jeweiligen Zielhäfen realisiert werden, welche aber nicht notwendigerweise zu den umsatzstarken Häfen gehören müssen. Ein weiterer Ansatz ist, mit einem Hafenpaar anzufangen und nach und nach andere Häfen hinzuzufügen, sofern diese das Ergebnis verbessern, und zu verwerfen, falls der potenzielle Gewinn sinkt. Diese Vorgehensweise gehört zu den »Greedy«-Algorithmen und führt im Fall der Optimierung von Liniendiensten in eine Sackgasse. Grund hierfür ist, dass nicht nur der jeweilige Hafen, sondern auch seine Position in der Hafenrotation wichtig ist. Des Weiteren hängt die potenzielle Bedeutung eines Hafens nicht nur von den schon gewählten Häfen, sondern auch von den verworfenen oder noch nicht untersuchten ab.

Der Ansatz mit der optimalen Lösung besteht darin, sämtliche mögliche Hafenkombinationen und -rotationen nacheinander zu prüfen. Diese Methode gehört zu der Gruppe der »Brute-Force«-Algorithmen. Doch auch diese Idee weist Schwierigkeiten auf.

2,4 x 10^18 Lösungen

Angenommen, ein Liniendienst mit einer gewissen Anzahl von Häfen soll optimiert werden. Bereits bei einer überschaubaren Anzahl von beispielsweise 20 Häfen ergeben sich 2,4 x 1018 verschiedene Lösungen. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass auch die konkrete Anzahl der Häfen nicht bekannt ist, da es gewinnsteigernd sein kann, auf einer Route nicht alle möglichen Häfen anzulaufen. Dadurch erhöht sich die Anzahl der zu berücksichtigenden Möglichkeiten weiter. Hinzu kommt, dass sowohl die optimale Anzahl an Schiffen als auch die beste Schiffsklasse für den Dienst parallel gesucht werden müssen. Weitere Ideen, wie die Verbindung von mehreren Diensten durch Umladehäfen, sind sinnvoll. Die Anzahl der Lösungen potenziert sich also weiter.

Zusätzlich zu dem illustrierten Problem der immensen Anzahl an Lösungen ergibt sich eine weitere Schwierigkeit. Es müssen nicht nur alle möglichen Hafenrotationen gefunden, sondern auch bewertet werden. Hierbei sind Kostenkomponenten wie Treibstoffverbräuche, Charterraten, Hafen- und Kanalkosten sowie Erlöskomponenten zu betrachten. Erschwerend kommen Beschränkungen hinzu, wie z. B. die Kapazitätsgrenzen oder Tiefgangrestriktionen. Zudem herrschen viele Abhängigkeiten zwischen diesen Variablen und Parametern. Dies soll am Beispiel der Geschwindigkeit verdeutlicht werden. Die Zeit, die zwischen zwei Anläufen in einem Hafen vergeht und die Anzahl eingesetzter Schiffe definieren die Rundreisedauer. Aufgrund dieser fixen Rundreisezeit beeinflussen Hafenzeit und die Geschwindigkeit eines Frachters auf einem Teilstück die Geschwindigkeit auf allen anderen Teilstücken. Auf der einen Seite führt eine höhere Geschwindigkeit zu niedrigeren Transitzeiten, welche für Kühlcontainer besonders wichtig sind und so zu potentiell höheren Frachtraten führen. Auf der anderen Seite bedeutet eine höhere Geschwindigkeit aber auch höhere Treibstoffverbräuche, also höhere Kosten.

Auf Liniendiensten werden bevorzugt Schiffstypen mit größeren Kapazitäten eingesetzt, da dadurch zwar höhere Kosten anfallen, aber die Kosten pro Container geringer sind. Dies gilt jedoch nur, wenn die Schiffe gut ausgelastet sind, was in der Praxis üblicherweise nur durch Partnerschaften zwischen verschiedenen Reedereien gelingt, die in den bisherigen Überlegungen vernachlässigt wurden. Die individuellen Kosten- und Erlösstrukturen der Partner sowie unterschiedliche Kundenanforderungen und daraus resultierende firmenspezifische Hafenpräferenzen sind natürlich zusätzlich bei der Optimierung der Fahrplangestaltung zu berücksichtigen.

Umfassende Aufgabe

Wenn man sich diese gewaltige Anzahl von Möglichkeiten, die Tausenden von Variablen und Parametern oder Beschränkungen und Abhängigkeiten vor Augen führt, die den optimalen Liniendienst bestimmen, hat man Verständnis für die Größe der Aufgabe, die bei der Planung eines Dienstes bewältigt werden muss. Die Reedereien begegnen dieser Aufgabe auf zunächst erstaunliche Weise. Sie bedienen sich der Erfahrung und dem Bauchgefühl ihrer Koordinatoren. Durch Teamwork von Spezialisten aus Bereichen wie Vertrieb, Controlling, Bunkermanagement, Flottenplanung, Kostenanalyse und vielen mehr werden gute Lösungen gefunden. Ohne diese Leistung schmälern zu wollen, ist offenbar, dass aufgrund der schieren Anzahl an Möglichkeiten die vom Menschen gefundenen Lösungen nicht optimal sein können. Zudem sind die Lösungen nicht transparent, nachvollziehbar oder vergleichbar.

Überforderte Technik

IT-Technik kann helfen, doch aktuell gibt es keinen Algorithmus, der optimale Lösungen in einer vertretbaren Zeit berechnet. Für die Lösung des erwähnten Problembeispiels (genau 20 Häfen mit einer Anzahl von 2,4 · 1018 möglichen Rotationen), würde ein Computer, der 1.000 Möglichkeiten pro Sekunde evaluiert, 77Mio. Jahre benötigen. Diese Berechnung hätte in der Kreidezeit gestartet werden müssen, um heute eine optimale Lösung mit der »Brute-Force«-Methode zu erhalten. Auch die technische Weiterentwicklung der Rechenkapazitäten ändert daran nicht viel. Seit Entwicklung des Mikroprozessors verdoppelt sich die Rechnergeschwindigkeit alle 18 Monate. Angenommen dieser Trend könnte beibehalten werden, würde ein Rechner in 20 Jahren über zehntausend Mal so schnell rechnen können wie heute. Jedoch würden selbst solche Rechner über 7.600 Jahre benötigen, um das Problem mit den 20 Häfen exakt zu lösen.

Wenn die Aufgabe an den Computer verändert wird und nicht mehr die »optimale« Lösung, sondern nur »gute« oder »bessere« Lösungen gesucht werden, verringert sich der Rechenaufwand deutlich. Intensive weitere Forschung ist nötig, um Algorithmen zu konstruieren, welche die Bedürfnisse der Industrie an realistischen und gleichzeitig schnellen Lösungen bedienen. Menschen haben einen Blick für gute Lösungen und betrachten intuitiv durch ihr logisches Denken und ihre Erfahrungen nur potentiell relevante Lösungen. Dabei vernachlässigen sie jedoch auch potentiell optimale Lösungen. Entsprechend müssen die benötigten Algorithmen der menschlichen Erfahrung folgend unnötige Rechnungen vermeiden, ohne dabei gute Lösungen zu verwerfen.

Dies soll nicht bedeuten, dass Maschinen Menschen ersetzen werden, sondern dass Menschen die Rechnerergebnisse als Entscheidungshilfe nutzen können. Es wird dadurch möglich sein, weit mehr Abhängigkeiten und Parameter bei den Überlegungen zu berücksichtigen als derzeit. Dadurch kann das Beste von beiden Seiten – das Gespür des Menschen für gute Lösungen und die Geschwindigkeit sowie die Unvoreingenommenheit der Computer – kombiniert werden und auf diese Weise gewaltige Effizienzsteigerungen in der Linienschifffahrt erreicht werden.
Arnd Graf von Westrag