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Bei Wind und Wetter fahren die Seenotretter hinaus, um Schiff­brüchigen zu helfen. Bei einer Kontrollfahrt ist zu erleben, wie ein Leben in Bereitschaft aussieht.
Wer kommt schon auf die Idee, Anfang März freiwillig in die eiskalte Ostsee zu springen? Ich, deshalb fahre ich nach[ds_preview] Grömitz, ein Seebad am Nordwestrand der Lübecker Bucht, um an Bord des Seenotkreuzers »Hans Hackmack« zu gehen. Hier will ich selbst erleben, wie die Seenotretter arbeiten und mich als Schiffbrüchigen zur Verfügung stellen.

Im weitgehend boots- und menschenleeren Yachthafen von Grömitz liegt der Seenotkreuzer als einziges Schiff. In der Messe sitzt die Besatzung beim Kaffee zusammen. »Wir duzen uns an Bord alle«, stellt Vormann Guido Förster gleich mal klar. Er wirkt jugendlich, ist aber seit 20 Jahren schon bei der DGzRS. Davor ist er als Offizier auf Containerschiffen zur See gefahren. Außer ihm sind Stephan Litschen, 2. Maschinist, Kai Knudsen, 3. Vormann, und Volker Erdmann, 3. Maschinist, an Bord. Eine freundliche Runde, die hier um den großen Holztisch herumsitzt, allesamt schon lange bei den Seenotrettern. Die Männer hier sind fest bei der DGzRS angestellt. Insgesamt neun Leute arbeiten auf der Station in Grömitz, das Schiff ist ständig mit vier Mann besetzt.

Guido Förster erklärt den Plan für den Tag: Kaffee austrinken, dann ablegen zu einer Kontrollfahrt durch die Lübecker Bucht, wo ein Treffen mit dem Boot der Freiwilligen aus Travemünde vereinbart ist. Alle ziehen ihre signalroten Jacken und Rettungswesten an, ich werde auch ausgestattet. Stephan Litschen, eher der Verschlossene in der Runde, nimmt mich mit in den Maschinenraum, wo er die beiden frisch überholten MTU-Maschinen anwirft. Der Lärm von 1.980 PS ist Ohren betäubend.

Mit dem Vormann geht es rauf auf den offenen Fahrstand. Hier hat man einen guten Überblick, was in nächster Nähe um das Schiff herum passiert. Förster steuert das Schiff vorsichtig durch das Hafenbecken. »Wenn wir draußen sind, gehen wir nach unten in den Hauptfahrstand«, erklärt er. Trotz Sonnenscheins ist er ganz froh, dass er das Schiff nicht unbedingt von hier oben steuern muss. Die »Hans Hackmack«, ein Kreuzer der 23,10-m-Klasse, 1996 auf der Schweers-Werft in Bardenfleth gebaut, war er einer der ersten DGzRS-Kreuzer mit geschlossenem Aufbau. Eine rudimentäre Steuerung im Freien wurde beibehalten, weil man von der erhöhten Position aus gut das Wasser überblicken und Hilferufe hören kann.

Die Männer setzen alle ihre Headsets auf. »Intercom, haben wir seit der letzten Werftzeit ganz neu an Bord«, erklärt Förster, »jetzt müssen wir uns nicht mehr so anbrüllen«. Mit dem System steht die Besatzung untereinander in ständigem Kontakt, egal wer sich wo an Bord aufhält.

Im Hauptfahrstand geht es dann richtig los, Förster drückt die Gashebel nach vorne, volle Kraft voraus. Kurze Zeit später ist die Höchstgeschwindigkeit von etwas über 20kn erreicht und Förster nimmt Kurs auf Travemünde. »Das sind jetzt Wellen, die nur etwa einen Meter hoch sind«, sagt er und schaltet die Schleuderscheiben ein, denn die Gischt spritzt über das ganze Schiff. Auf dem Wasser ist kaum etwas los, in der Ferne schaukelt hier und da mal ein Fischerboot. Den Kurs korrigiert der Vormann ab und zu per Knopfdruck, wenn es mal etwas schneller gehen muss, gibt es einen Joystick. Das große Steuerrad ist nur noch da, falls die Elektrik einmal ausfällt.

Zweimal pro Woche legt der Kreuzer zu Kontrollfahrten ab, weil das Schiff auch ohne Einsätze bewegt werden muss. Die Besatzung würde zwar gern öfter rausfahren, bei der spendenfinanzierten DGzRS unterliegt aber alles einer ständigen Kosten-Nutzen-Abwägung. »Bei so einer Fahrt verbrauchen immerhin mehrere hundert Liter Diesel«, erklärt der Vormann.

Auch die Männer selbst dürfen nicht einrosten, die Routinen an Bord müssen ständig trainiert werden, damit sie im Ernstfall von selbst ablaufen. Da die 2-Wochen-Bereitschaften in Zweierteams immer um eine Woche versetzt zueinander beginnen, arbeiten auch immer andere Kollegen miteinander. »Die Abwechslung ist gut, so sitzen nicht dauernd die gleichen Leute aufeinander«, sagt Volker Erdmann, der immer wie die Ruhe in Person wirkt.

Langsam kommt die »Hans Ingwersen« in Sicht, das Seenotrettungsboot der Freiwilligen aus Travemünde. Das 9,5-m-Boot fährt an der »Hans Hackmack« vorbei und kreuzt dann deren Heckwelle. Dabei scheint es fast unter den Wellen hindurch zu tauchen, bevor es längsseits kommt.

Jetzt wird es auch ernst für mich. Für meine Darstellung eines Schiffbrüchigen hat mir Volker Erdmann vorhin schon in den Überlebensanzug geholfen. Noch bin ich ein bisschen skeptisch, was ich von dem orangefarbenen Overall mit den angesetzten Gummistiefeln und dem großen Reißverschluss halten soll. Die Gummimanschetten an Hals- und Handöffnungen halten hoffentlich dicht.

Bevor ich auf die »Hans Ingwersen« hinübersteige eröffnet Förster mir, dass ich gleich zweimal ins Wasser soll – einmal bergen mich die Freiwilligen, dann die »Hans Hackmack« mit dem Tochterboot »Emmi«. Nachdem der Kreuzer sich ein Stück weit entfernt hat, ziehe ich die Neoprenhaube des Anzugs über den Kopf, steige auf die Reling und springe nach kurzem Zögern ins Wasser. Das ist eiskalt, aber dank des »Ü-Anzugs« ist das nur am Kopf und an den Händen spürbar. Um bis zu 24 Stunden verlängert sich die Zeit, die ein Schiffbrüchiger in dem Anzug überleben kann, je nach Wassertemperatur. Hilflos auf dem Rücken liegend treibe ich in den Wellen. Durch den starken Auftrieb des Anzugs kann ich Hände und Füße kaum zum Rudern benutzen. Aber wie Erdmann mir erklärt hat, soll man sowieso ruhig verharren und auf Hilfe warten. Das dürfte den meisten in einem echten Seenotfall schwer fallen. Ohne Anzug könnte ich wohl den Kopf kaum über die nicht mal besonders hohen Wellen heben, so habe ich aber zum Glück die Retter fast immer im Blick.

Für die Bergung fährt die »Hans Ingwersen« ganz nah an mich heran, aus der Bergungspforte in der Bordwand streckt mir einer der Männer die Hand entgegen und zieht mich ins Boot. Es fühlt sich dann doch ganz gut an, wieder Boden unter den Füßen zu haben.

Nach meinem zweiten Sprung in die Ostsee setzt die »Hans Hackmack« das Tochterboot aus. Auch die »Emmi« hat eine Bergungspforte, durch die Schiffbrüchige fast auf Höhe der Wasserlinie an Bord gezogen werden können. Die Strömung treibt mich langsam ab, dagegen kann ich nichts ausrichten. Aber auch Kai und Volker holen mich routiniert aus dem Wasser.

2014 haben die 60 Seenotrettungskreuzer und -boote der DGzRS in Nord- und Ostsee insgesamt 55 Menschen gerettet und hunderten anderen geholfen. »Ohne einen gewissen Idealismus kann man diesen Job nicht machen, aber zunächst einmal ist das hier einfach unsere Arbeit«, sagt Kai Knudsen dazu. Ein bäriger Typ, er hat schon sein ganzes Leben auf dem Wasser verbracht, seit 2002 ist er Seenotretter.

Auf dem Freiwilligen-Boot haben an diesem Tag drei Generationen Dienst. Vormann Horst Dieter Eder, mittlerweile Pensionär, ist früher zur See gefahren und seit 33 Jahren dabei. Peer Kunz, Segelschullehrer und Skipper, erklärt: »Ich bin sowieso den ganzen Tag auf dem Wasser, da kann ich auch helfen«. Axel Mussehl geht noch zur Schule, letztes Jahr hat er als Freiwilliger angefangen, sein Vater ist auch Seenotretter. Im Gegensatz zum Bereitschaftsdienst der Festangestellten warten die Freiwilligen nicht auf dem Boot, sondern werden von ihrer Arbeit oder von zu Hause per Handy zum Einsatz gerufen.

Hauptsächlich helfen die Seenotretter hier in der Bucht Seglern, Surfern und Anglern. Motor- und Ruderschäden, Mastbrüche, Entkräftung – die Einsätze ähneln sich. Oft sei es »gefühlte Seenot«, wenn sie gerufen würden, erklärt Kunz. Aber es gibt auch die Einsätze, bei denen es um alles geht: »Letztes Jahr haben wir einer jungen Surferin das Leben gerettet, die wir nur zufällig auf einer Ausbildungsfahrt entdeckt haben«, erzählt Eder. »Die hatte schon mit dem Leben abgeschlossen und ist uns um den Hals gefallen.«

»Etwa 50% der Surfer-Einsätze sind aber Fehlalarme, die von Land aus gemeldet werden« sagt Förster. Ansonsten kämen Meldungen oft erst abends, wenn jemand nicht wie erwartet nach Hause komme. In der Dunkelheit werde die Suche natürlich noch schwieriger. »Wenn man bei so einem Einsatz dann jemandem wirklich das Leben gerettet hat, bestätigt das schon im Job«, sagt Knudsen. Andere Fälle sorgen eher für Kopfschütteln, wie ein Segler, dem die »Hans Hackmack« im letzten Jahr innerhalb von sechs Wochen vier Mal zur Hilfe eilen musste, weil er nicht mehr vom Fleck kam. »Im Nachhinein sind das aber auch wieder gute Geschichten, weil man sich was zu erzählen hat«, lacht Förster.

Im Winter kommt es schon einmal vor, dass es während zwei Wochen Bereitschaft keinen Einsatz gibt. »Man hofft natürlich immer, dass nichts passiert, gleichzeitig ist ein Einsatz dann aber auch eine willkommene Abwechslung«, beschreibt Volker Erdmann das Gefühl des Wartens.

Wenn es am Schiff nichts zu tun gibt, kann die Besatzung am Tisch in der Messe beisammen sitzen, dort gibt es einen kleinen Fernseher. »Im Notfall ist das hier aber auch der Behandlungstisch für Verletzte«, sagt Förster. In der winzigen Küche wird reihum gekocht, Kaffee hauptsächlich. Der Bereich unter Deck ist eigentlich tabu für Kameras und Besucher, hier wohnen die Männer, die ihre ohnehin begrenzte Privatsphäre wahren möchten. Ich darf trotzdem kurz in eine der kleinen Kammern schauen: eine Koje, ein Schrank ein Tisch, geschätzte 2,5m3 Platz am Boden. So müssen sie hier zwei Wochen lang aushalten, 24 Stunden am Tag. Auch auf dem Rückweg nach Grömitz ist die Bucht ruhig. »Da vorne, der große Fleck an der Küste, das ist das Marineschiff ›Rappenau‹«, erklärt Förster und deutet auf den Radarmonitor.

In der Abendsonne läuft die »Hans Hackmack« wieder in Grömitz ein. Während Volker Erdmann und Kai Knudsen das Schiff vertäuen, verschwindet Stephan Litschen schon in seinem Maschinenraum. »Jetzt noch ein bisschen Papierkram erledigen und dann haben wir Feierabend,« sagt Guido Förster. Wenn kein Notruf kommt.


Felix Selzer