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In Südostasien nimmt die Piraterie wieder zu. Es gibt einige Kritik am einstmals hochgelobten ReCAAP-Projekt zur Bekämpfung des Problems. Doch die Ursachen sind wahrscheinlich vielschichtig.
In den ersten fünf Monaten des Jahres wuchs die Anzahl der Attacken um 19% auf 80 gemeldete Vorfälle, heißt es[ds_preview] im jüngsten Bericht der Kooperation »Regional Cooperation Agreement on Combating Piracy and Armed Robbery against Ships in Asia« (ReCAAP). Das ist der höchste Stand im aktuellen Fünfjahres-Berichtszeitraum. Als besonders gefährlich gelten die engen, von vielen Frachtern und einer enormen Anzahl kleinerer Küstenschiffe befahrenen Gewässer in den Straßen von Malakka und Singapur. Zuletzt gab es außerdem vermehrt Überfälle vor der Ostküste Malaysias.

Nach dem starken Rückgang vor Ostafrika und im Indischen Ozean hat sich Südostasien erneut zum »Hotspot« entwickelt. Zwar wird nach wie vor die Mehrheit der Überfälle als »minderschwer« bezeichnet, weil es sich vornehmlich um Diebstahl von Wertsachen oder Ausrüstungsgegenständen handelt. Doch nehmen in jüngster Zeit auch schwerere Angriffe mit kurzfristigen Entführungen von Schiffen zu. Dabei entern Piraten einen Frachter – zumeist Tanker –, navigieren ihn an einen anderen Ort und leiten dort die Öl- oder Produktenladung auf ein weiteres Schiff um. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation »Oceans Beyond Piracy« (OBP) wurden 2014 insgesamt 289 Seeleute als Geisel genommen – 165 davon kamen innerhalb eines Tages wieder frei. Fünf Besatzungsmitglieder wurden getötet.

Zwischen Januar und Juni gab es zwölf schwere Vorfälle (siehe Grafik links), die für Aufsehen sorgten. Besondere Aufmerksamkeit erlangte die Reederei Orkim. Innerhalb einer Woche wurden zwei ihrer Schiffe entführt: »Orkim Victory« und »Orkim Harmony«. Letzteres wurde von den Entführern – relativ leicht durchschaubar – in »Kim Harmon« umbenannt, um den Überfall zu verschleiern. Der Vorfall löste eine große Suchaktion aus. Am Ende konnten einige Seeräuber festgenommen werden.

Der Direktor des ReCAAP-Informationszentrums (ISC), Yoshihisa Endo, rief die Staaten der Region bereits mehrfach auf, ihre Anstrengungen zu erhöhen, etwa Patrouillenfahrten zu verstärken und zu koordinieren. Ob die Überfallstatistiken realistisch sind, ist derweil unklar. Immer wieder wird hinter vorgehaltener Hand von höheren Dunkelziffern gesprochen, die durch Unzulänglichkeiten im ReCAAP-System entstehen. Auch wird kritisiert, dass Überfallmeldungen heruntergespielt oder »interne« Ursachen ausgemacht werden – etwa Seefahrer oder Behörden, die sich an der Piraterie durch Weitergabe von Positions- und Ladungsdetails in mafiösen Strukturen beteiligen. Endo wies die Kritik in einer Erklärung entschieden zurück. Auch führte er an, dass die Internationale Schifffahrtsorganisation (IMO), die Vereinten Nationen und Interpol die Zusammenarbeit mit dem ISC ausdrücklich lobten.

Die OBP-Verantwortlichen fordern ebenso eine stärkere Kooperation der Staaten untereinander sowie mit dem ReCAAP ISC.

Dies ist eines der grundlegenden Probleme der Piraterie-Bekämpfung in Südostasien. Anders als vor Ostafrika, wo die Staaten bezüglich Marine und Küstenschutz zum Teil sehr schwach aufgestellt sind und Somalia gänzlich als »failed state« galt, sind hier besser entwickelte, souveräne Staaten beteiligt, die mitunter großes Selbstbewusstsein zeigen. Zweitens handelt es sich – rechtlich streng genommen – um »Armed Robbery« und nicht »Piracy«, weil die weit überwiegende Mehrzahl der Angriffe in Hoheitsgewässern der Staaten in der Region stattfinden. Dieser Umstand hat wichtige Folgen, weil dort zuerst die Küstenstaaten Verfolgungs- und Zugriffsrechte haben, und nicht etwa Marine-Einheiten anderer Länder, die im Patrouilledienst sind und im Bedarfsfall schneller eingreifen könnten.

Bei der ReCAAP-Gründung legten die Verantwortlichen fest, dass Ihre Souveränitäten nicht verletzt werden – womit beispielsweise die Verfolgung von Seeräubern über Seegrenzen hinaus unmöglich ist. Darüber hinaus werden zum Teil wichtige Informationen zurückgehalten. Zudem sind zwar mittlerweile sogar einige »externe« Staaten wie Australien, die Niederlande oder die USA beigetreten. Doch mit Indonesien und Malaysia sind zwei der am stärksten betroffenen Staaten kein Mitglied – auch wenn sie immer wieder ihre Bereitschaft zu einzelnen Kooperationsmaßnahmen bezeugen.

Der nationale Aspekt spielt in Südostasien seit dem Ende der Kolonialzeit und des Kalten Kriegs eine große Rolle. Dies wird aktuell durch die Territorialstreitigkeiten um Inselgruppen und Gewässergrenzen verstärkt.

Seit der Gründung 2004 hatte das ReCAAP-Projekt viel Lob bekommen – auch wenn einige Experten anderen Faktoren mindestens ebenso großes Gewicht beigemessen haben: Etwa, dass der verheerende Tsunami von 2005 die Ausrüstung der Piraten vernichtete beziehungsweise viele der Seeräuber umkamen und die Piraterie dadurch abgeschwächt wurde.

Ob sich die Territorialstreitigkeiten in Zukunft in einer Abnahme der Kooperation und einer weiteren Zunahme der Überfallzahlen wiederspiegeln oder die vermehrten Überfälle die Zusammenarbeit forcieren, bleibt abzuwarten.


Michael Meyer