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In der aufstrebenden türkischen Schiffbauindustrie sticht ein Projekt hervor: eine Neubau-Gruppe für Rettungseinsätze bei U-Boot-Havarien. Die Regierung will damit auf internationalem Parkett vorangehen.
Insgesamt 170Mio. € investiert das türkische Verteidigungsministerium in drei Schiffe: ein Mutterschiff »MOSHIP 4000« und zwei Hilfsschiffe vom Typ »RATSHIP 2000[ds_preview]«. Mit 90Mio. € entfallen mehr als die Hälfte der Kosten auf die Basiseinheit.

Die Seenotrettung genießt zwar global und vor allem in Europa mittlerweile einen sehr hohen Stellenwert. Auch wird die weltweite Flotte immer wieder durch Neubauten und Innovationen verbessert. In einem Segment jedoch mangelt es – zumindest aus türkischer Sicht – bislang an einem effektiven und leistungsstarken System: der Rettung von Seeleuten bei Unfällen oder Untergängen von U-Booten. Als besonders verheerendes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit gilt nach wie vor der Untergang des russischen Atom-U-Boots »Kursk«, dass im Jahr 2000 infolge einer Explosion in der Barentssee gesunken war. Der Auftrag wird derzeit in der Türkei abgearbeitet, »MOSHIP« entsteht bei der Istanbul Shipyard. Mit der ersten Ausschreibung war die türkische Marine 2008 an die Öffentlichkeit gegangen. Das ebenfalls in Istanbul ansässige Design-Unternehmen SEFT gewann den Auftrag schließlich 2010, nachdem man zwei Jahre an der Konstruktion gefeilt hatte. In den folgenden 18 Monaten standen weitere Detailarbeiten und Anpassungen in Zusammenarbeit mit den Militärs an. 2012 konnte mit dem Bau begonnen werden, der einige Jahre in Anspruch nimmt. »Derzeit gehen wir davon aus, dass die Ablieferung Ende 2016 erfolgen kann«, sagt SEFT-Geschäftsführer Semih Zorlu.

Mit einer Reihe von Besonderheiten gilt das 91m lange, 19m breite und nur 4,45m tiefgehende sowie 4.000t verdrängende »MOSHIP« als einzigartig. Es sei das höchste technologische Level, das man erreichen könne, so Zorlu weiter.

Die Einsätze sollen möglichst vollumfänglich von den drei Einheiten der Gruppe erledigt werden können. Wenn ein U-Boot in Seenot gerät, sendet es ein entsprechendes Signal an die zuständige Einrichtung ISMERLO (International Submarine Escape and Rescue Liaison Office). Dieses kontaktiert »MOSHIP«. Das Rettungsschiff mit seiner Reichweite von 4.500sm macht sich auf den Weg zur Unglücksstelle und soll dann mit einem aktiven Sonar und einem Fächerecholot die genaue Lage des untergegangenen Wracks bis zu einer Tiefe von 5.000m ausfindig machen. Ist die Position bekannt, wird ein bis 3.000m Tiefe arbeitender Tauchroboter (ROV) geschickt, um eine Verbindung zwischen dem Wrack und den Rettungseinheiten herzustellen. Alternativ stehen Panzertauchanzüge (ADS) zur Verfügung. Über die bis zu 600m lange Schlauchverbindung und ein spezielles, laut SEFT neuartiges Belüftungssystem kann die Besatzung auf dem Wrack mit Luft zum Atmen und gegebenenfalls auch Nahrungspaketen (ELSS) versorgt werden. Schließich wird vom A-Rahmen des Mutterschiffs ein Unterwasser-Rettungsboot (SRV) zu Wasser gelassen, dass pro Tauchgang bis zu 16 Menschen wieder an die Oberfläche bringen kann.

An Bord des »MOSHIP« werden die Geretteten direkt vom SRV in eine Druckluftkammer geschleust. Nach einer entsprechenden Behandlung gelangen sie über einen Aufzug in die bordeigene Krankenstation. Diese beinhaltet etwa einen Operationssaal, Röntgengerätschaften, ein Labor sowie eine Apotheke. »Einer der großen Vorteile des Systems ist, dass nahezu alle Rettungsphasen übernommen werden können, während das bei bisherigen Einheiten nicht der Fall ist«, erläutert Zorlu. Neben der Wracksuche und der Behandlung der Geretteten zählt er dazu auch möglicherweise nötige Schlepparbeiten. Hierfür hat »MOSHIP« einen Pfahlzug von 60t sowie einen Offshore-Kran, der in bis zu 1.000m Tiefe operieren kann. Außerdem stehen 650m2 Decksfläche zur Verfügung, auf den »RATSHIPS« weitere 450m2. Hinzu kommt ein Helikopter-Deck, auf dem »Seahawks« auch bei einem Seegang der Stärke 6 sicher landen und abheben können sollen.

Um auch bei schwierigeren Witterungsbedingungen auf See mit bis zu 4kn Strömung in bis zu 600m Tiefe effektiv arbeiten zu können, hat das Schiff ein dynamisches Positionierungssystem DP2 sowie ein Vierpunkt-Verankerungssystem.

Für den bis zu 18kn schnellen Antrieb sorgt eine Hauptmaschine mit 14 MW. Zur Verfügung stehen vier jeweils 3.500 kW leistende Generatoren von ABC und AVK. Die dieselelektrische Propulsionsanlage besteht aus zwei Rolls Royce Azimuth Thrustern. Zur Gewährleistung höchstmöglicher Flexibilität sind die Anlagen in zwei getrennten Maschinenräumen untergebracht. Für die Elektrik zeichnet Imtech Elkon, für die Brücken- und Navigationssysteme das türkische Unternehmen Aselsan verantwortlich.

Die Entwickler s­ehen in dem Projekt einen echten Mehrwert für die maritime Branche. Die NATO muss sich bei derartigen Havarien nicht selten Unterstützung aus der Handelsmarine holen und auf Spezialfrachter zurückgreifen. Dagegen will die Türkei nun Abhilfe schaffen. Die Einsatzgruppe wird ihre Basis in Istanbul haben. Vorrangige Einsatzgebiete werden das Schwarze Meer und das (vor allem östliche) Mittelmeer sein. Dennoch steht es auch für weitere Aufträge zur Verfügung, sollten Anfragen aus anderen Ländern und Regionen kommen.

Für die türkische Regierung ist es ein wichtiges Prestigeprojekt – ebenso wie für das Unternehmen SEFT. Es dient auch als Werbung für die heimische Schiffbauindustrie, die von Beobachtern wegen einiger Projekte im Schlepper- und Offshore-Bereich als durchaus aufstrebend bezeichnet wird. »Wir haben bereits einige Aufmerksamkeit erfahren«, sagt Zorlu. Die Reaktionen von ausländischen Marine-Verantwortlichen seien positiv. Seinen Angaben zufolge haben sich schon Vertreter der NATO, der USA und Polens das Konzept etwas genauer angeschaut. Zwar handelt es sich angesichts der sehr speziellen Einsetzbarkeit um einen begrenzten Absatzmarkt und müssen »MOSHIP« und »RATSHIPS« ihre Tauglichkeit in der Praxis erst noch unter Beweis stellen. Doch sollten sie dies erfolgreich tun, könnte das System zu einem Exporterfolg der Türkei werden.


Michael Meyer