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Um eine Ergänzung zu bestehenden Instrumenten für die Bekämpung von Ölverschmutzungen zu bieten, haben haben sieben Forschungspartner das luftgestützte System BioBind entwickelt
BioBind« stand unter Gesamtprojektleitung des Lehrstuhls für Geotechnik und Küstenwasserbau, Prof. Dr.-Ing. Fokke Saathoff, der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät[ds_preview] und wurde unter maßgeblicher Beteiligung des Lehrstuhls für Meerestechnik, Prof. Dr.-Ing. habil. Mathias Paschen, der Fakultät für Maschinenbau und Schiffstechnik und des Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde, Prof. Dr. Detlef Schulz-Bull, realisiert. Das Forschungsvorhaben wurde dankenswerterweise vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert und hatte eine Laufzeit von 2011 bis 2014. BioBind hat zwei große internationale Preise errungen: Das Projekt gewann die Silbermedaille beim »GreenTec Award« (Europas größter Umwelt- und Wirtschaftspreis) sowie beim »SAT 1 PRO 7 Galileo Wissenspreis«.

Ziel des Forschungsvorhabens mit insgesamt sieben Partnern von verschiedenen Universitäten sowie klein- und mittelständischen Unternehmen war die Entwicklung eines luftgestützten Ölhavariebekämpfungssystems als Ergänzung zu bestehenden Systemen. BioBind soll eine schnelle Analyse und Überwachung von Ölverschmutzungen auf Gewässern sowie eine zeitnahe Bekämpfung/Reinigung insbesondere in Flachwassergebieten und küstennahen Bereichen ermöglichen. Dazu werden biologisch abbaubare Binder eingesetzt, auf denen ölabbauende Mikroorganismen immobilisiert sind. Die Binder werden luftgestützt ausgebracht, mit einem im Vorhaben entwickelte Bergesystems (seeseitig und landseitig) geborgen und ihrer Verwertung zugeführt. Die Ölverschmutzung und die ausgebrachten Ölbinder werden mit einem kostengünstigen Ölspezifizierungs- und Überwachungssystem erfasst und überwacht. Um einen effektiven Einsatz der verschiedenen Komponenten zu gewährleisten, wurde ein Unfallmanagementsystem entwickelt. Die Ergebnisse des Forschungsvorhabens sollen wesentlich zur Entwicklung neuer Methoden und Techniken für die Ölunfallbekämpfung beitragen, die insbesondere in Seegebieten mit geringen Wassertiefen sowie bei Schlechtwetter mit hohem Seegang wirksam einsetzbar sind und zudem über hohe Transfergeschwindigkeiten zur Überwindung größerer Distanzen verfügen.

Die einzelnen Komponenten des Systems (Abb. 1) sind ein Spektralanalyseverfahren zur Identifikation und Verfolgung der Ölhavarie, biogene Ölbinder, ölabbauende Mikroorganismen, Fluggeräte und Taktiken zum luftgestützten Abwurf der Binder sowie Techniken und Methoden zur see- und landseitigen Bergung der Ölbinder.

Lowcost Ölerkennung und Ölüberwachung

Partner: AGRO-SAT Consulting

Informationen über die Verdriftung des Ölteppichs und der Ölbinder sind von erheblicher Bedeutung (Abb. 2). Diese werden mit einem Low-Cost Spektrometer aufgezeichnet, welches an unterschiedliche Kleinflugzeuge montiert werden kann (z.B. Cessna 172). Dabei wird das reflektierte Licht der Wasseroberfläche gemessen und mit einer Datenbank verglichen. Diese enthält mehr als 8.000 Messwerte verschiedener Ölkonzentrationen bei unterschiedlichen Wetter- und Seegangsverhältnissen. Somit lässt sich in sehr kurzer Zeit eine Aussage darüber treffen, ob am jeweiligen Messpunkt Öl bzw. Binder auf der Wasseroberfläche vorhanden sind oder nicht. Die grafisch aufbereiteten Daten können über eine spezielle Website heruntergeladen und auf handelsüblichen GPS-Geräten dargestellt werden. Die Größe der Messpunkte wird von der Flughöhe bestimmt. Je höher die Maschine fliegt, umso größer ist die gemessene Fläche. Die luftgestützte Beobachtung der Ölhavarie und die Einleitung ihrer Gegenmaßnahmen sind somit sehr einfach möglich.

Luftgestützter Binderabwurf

Partner: FSB-Airservice GmbH

Um eine schnelle Havariebekämpfung sicherzustellen, werden die Ölbinder aus Flugzeugen abgeworfen (Abb. 3). Die Ausbringung ist nicht an einen bestimmten Flugzeugtyp gebunden. Während des Forschungsvorhabens wurde ein modifiziertes einmotoriges Agrarflugzeug vom Typ Dromedar M-18 mit einem Laderaumvolumen von 1,5m³ eingesetzt. Für realistische Havarieszenarien ist diese Größe relativ klein, aber zur Untersuchung des Abwurfverhaltens der Binder sowie zur Applikation der Mikroorganismen bei einem vertretbaren Flugstundenpreis war dieses Flugzeug genau richtig. Eine dezentrale Stationierung von vergleichsweise kleinen Flugzeugen an gefährdeten Küstenabschnitten ermöglicht eine schnelle Binderausbringung mit sehr hoher Abwurfgenauigkeit. Größere Flugzeuge können ebenso für den Abwurf eingesetzt werden, jedoch mit einer leichten Verringerung der Abwurfgenauigkeit (z.B. Transall C-160, Laderaumvolumen etwa 130m³). Diese werden zentral stationiert und können zur Bekämpfung großer Havarien eingesetzt werden.

Biogene Ölbinder

Partner: Technische Universität Dresden, Institut für Holz- und Papiertechnik

Die entwickelten Binder bestehen aus biogenem und biologisch abbaubarem Material (Holzfasern) mit geringem Umwelteinfluss und niedrigen Produktionskosten. Die Binder wurden in ihrer Form an die Ansprüche der luftgestützten Ausbringung angepasst. Mit einer Größe von 5 x 5cm und einer Dicke von 4mm haben die Binder die optimale Größe für Lagerung, Ausbringung und Bergung (Abb. 4). Das Ölaufnahmeverhalten der Binder wurde im Labor sowie in großen Tanks (Mesokosmen) untersucht. Die Ergebnisse zeigen eine große Ölbindekapazität von 600 kg Öl/m³ Binder von der Wasseroberfläche, selbst bei sehr dünnen Ölfilmen mit einer Dicke von nur 0,03mm. Die Binder haben bei einer Dosierung von etwa 10% (0.1m² Binder auf 1m² Wasseroberfläche) eine Reinigungsrate von 80% erreicht. Die Binder sind bis zu 20 Tage schwimmfähig.

Ölabbauende Mikroorganismen

Partner: Universität Leipzig, Institut für Pflanzenphysiologie

Zur Unterstützung der Reinigungsleistung können die Ölbinder mit ölabbauenden Mikroorganismen (Abb. 5) bestückt werden. Der Ölabbau verschiedener Mikroorganismen wurde unter verschiedenen Randbedingungen untersucht (u.a. Temperatur, Öltyp, Nährstoffversorgung). Eine Sammlung von 200 verschiedenen Algen, Bakterien und Cyanobakterien aus der Ostsee wurden analysiert. Im Anschluss wurden die vielversprechendsten Mikroorganismen zu Konsortien für weitere Untersuchungen kombiniert. Diese Kollektion bestand aus 19 Bakterien-, 16 Algen- und 7 Cyanobakterienstämmen. Diese wurden aufgrund ihrer Toleranz gegenüber Rohöl, verschiedener aromatischer Schadstoffe und wechselnden Salzgehalten ausgewählt sowie ihrer Fähigkeit zum Wachstum bei niedrigen Temperaturen. Die Mikroorganismen werden gefriergetrocknet gelagert und müssen im Falle eines Einsatzes mit Wasser zu einer sprühfähigen Suspension angemischt werden. Die Applikation der Mikroorganismen auf die Binder ist sowohl während der Beladung als auch während des Abwurfs möglich. Ein direktes Aufsprühen der Suspension auf die ölverschmutzte Wasseroberfläche kann ebenfalls praktiziert werden.

Seeseitige Binderbergung

Partner: Universität Rostock, Lehrstuhl für Meerestechnik

Die seeseitige Bergung der Ölbinder wird mit einer neuentwickelten Netzsperre durchgeführt (Abb. 6). Diese Entwicklung ist eine Kombination von Netzen aus der Fischerei und konventionellen Ölsperren. Die Verwendung von Netzen anstelle von undurchlässigen Sperren hat viele hydrodynamische Vorteile und vergrößert das Einsatzfenster der Netzsperre auf Zeiten harscher Seegangsbedingungen mit hohen Wellen und starken Strömungen. Dadurch kann die Ausbreitung des Öls auch unter rauen Bedingungen verhindert werden. Das Netz wird in einem Standardcontainer transportiert, was in einer großen Anzahl einsetzbarer Transportschiffe resultiert. Das Netz wird wie eine konventionelle Sperre ausgelegt und anschließend von zwei Schiffen in einer V-Konfiguration gezogen. Die Netzsperre besteht aus drei Teilen, zwei Seitenarme (die die Binder in die Spitze des V leiten) und einem Netzsack am Ende (welcher die Binder aufnimmt). Wenn der Netzsack gefüllt ist, wird er von den Seitenarmen getrennt und auf ein Transportschiff gehoben (z.B. seegängige Schute). Anschließend wird ein neuer Netzsack angehängt. Es ist nicht notwendig, die gesamte Netzsperre dafür aus dem Wasser zu holen.

Landseitige Bergung

Partner: Universität Rostock, Lehrstuhl für Geotechnik und Küstenwasserbau

Sollte die seeseitige Bergung der Binder nicht möglich sein (z.B. wegen zu geringer Wassertiefen für die Schleppschiffe), ist eine landseitige Bergung ebenso möglich. Verölte Binder gehen nicht unter und werden aufgrund von Wind, Wellen und Strömung an der Küste gespült. Die hydrodynamsichen Belastungen innerhalb der Brandungszone (brechende Wellen) führen nicht zum Auswaschen des Öls aus den Bindern und auch nicht zu deren Zerstörung. Vorhandene Vakuumtechnologien wurden mit strandgängigen Anhängern kombiniert und somit eine kleine Einheit zum unabhängigen Arbeiten im Küstengebiet entwickelt. Dieser Bergeanhänger kann von allen strandtauglichen Fahrzeugen gezogen werden (z.B. Quads, Kleintraktoren, Offroad-Fahrzeuge, Abb. 7). Die Binder werden in einem austauschbaren BigBag gesammelt, welcher anschließend an der Küste abgestellt wird. Die flüssigkeitsdichten BigBags können unabhängig vom eigentlichen Bergungsprozess von anderen Fahrzeugen zum Zwischenlager transportiert werden. Diese Technologie kann ebenso auf kleinen Arbeitsbooten montiert werden, um stark gegliederte Küstenabschnitte (z.B. Boddenküsten) oder anderweitig nicht erreichbare Küstenabschnitte zu reinigen. Die verölten Binder werden anschließend in einer Abfallverbrennungsanlage thermisch verwertet.

Ökotoxikologische Bewertung

Partner: Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde

Öl und insbesondere Rohöl ist eine Mixtur aus einer Vielzahl unterschiedlicher Einzelkomponenten, welche ein unterschiedliches Verhalten bei Evaporation, Adsorption und biologischer Zersetzung zeigen. Um diese Komponenten zu kennen, wurde das verwendete Rohöl REB1 (Russian export blend 1) analysiert. Um die Bedingungen einer Ölhavarie möglichst realistisch nachbilden zu können, wurden große Wassertanks mit 290 l Ostseewasser gefüllt, durchmischt und mit Nährstoffen versorgt. Bei verschiedenen Temperaturen wurden verschiedene Kombinationen von Salzwasser, Ölbinder, Rohöl und ölabbauenden Mikroorganismen untersucht. Die Binder (mit und ohne Öl) und der biologische Abbau wurden (mit den Schwerpunkten PAKs und Alkane) untersucht (Abb. 8). Es wurden keine zusätzlichen giftigen Substanzen entdeckt: Sollte es nicht möglich sein, die Binder im marinen Ökosystem zu bergen, können sie aufgrund dieser Erkenntnisse dann auch dort verbleiben. Die Binder sind in der offiziellen deutschen Liste für geprüfte Ölbindemittel gelistet (GÖC).

Seegangs- und Driftvorhersage

Partner: Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde & Universität Rostock, Lehrstuhl für Geotechnik und Küstenwasserbau

Zur effektiven Einsatzplanung sind neben der Überwachung auch die Vorhersage der vorherrschenden Seegangsbedingungen sowie die Verdriftung von Öl und Bindern erforderlich. Dazu wurde ein Echtzeitseegangsmodell entwickelt, welches durch aktuelle Winddaten vom Deutschen Wetterdienst angetrieben wird. Dieses Modell errechnet die Seegangsbedingungen für die nächsten 24 Stunden. Auf dieser Grundlage kann der Einsatz der verfügbaren Bergegeräte den Randbedingungen auf See angepasst werden. Um mit dem richtigen Gerät dann auch an der richtigen Stelle zu sein, muss die Verdriftung des Öls und der Binder so genau wie möglich vorausgesagt werden. Zur Anpassung existierender Driftmodelle wurden umfangreiche Freilandversuche und Modellrechnungen für eine Vielzahl von Örtlichkeiten in der Ostsee durchgeführt. In Kombination mit Risikoabschätzungen wurden Karten mit theoretischen Driftwegen (Abb. 9) für unterschiedliche Großwetterlagen in verschiedenen Seegebieten errechnet.

Integrierendes Unfall-Managementsystem

Partner Universität Rostock, Lehrstuhl für Geotechnik und Küstenwasserbau

Während des gesamten Entwicklungsprozesses des Systems wurden alle Einzelkomponenten (vgl. Abb. 1) und deren Fortschritte überwacht, um gegenläufigen Entwicklungen vorzubeugen und ein aufeinander abgestimmtes System zu gewährleisten. Jeder Einzel- und der Gesamtprozess wurde abschließend in standardisierten Prozessdiagrammen strukturiert und visualisiert.

Um die Integration des Systems BioBind in existierende Strukturen sicherzustellen, wurden das deutsche Havariekommando sowie das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt Mittleres Mecklenburg eng in die Entwicklung mit einbezogen. Für eine tatsächliche Implementierung des Systems müssen die Logistik an das gewählte Stationierungskonzept, die vorhandenen Fahrzeuge sowie die Kommandostrukturen angepasst werden. Das System kann international eingesetzt werden und ist sowohl für kleine als auch für größere Ölhavarien einsetzbar.

Integration der Ergebnisse in den Vorsorgeplan Schadstoffunfall­bekämpfung der Küsten­länder

Partner: GICON Großmann Ingenieur Consult GmbH

Um die Verfügbarkeit aller Modelldaten, aber auch der restlichen BioBind Ergebnisse für den Anwender (Behörden, Landkreise, Gemeinden) zu gewährleisten, wurde die Integration dieser Daten in das Geoinformationssystem der Küstenländer vorbereitet. Umfangreiches Kartenmaterial und technische Dokumentationen stehen zur Verfügung (unter www.biobind.de) und können im Falle einer Beschaffung des Systems BioBind in den Vorsorgeplan Schadstoffunfallbekämpfung (Abb. 10) integriert werden.

Danksagung

Das Forschungsvorhaben BioBind wurde durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie im Rahmen des Forschungsprogramms für Schiffbau, Schifffahrt und Meerestechnik 2011-2015 »Maritime Technologien der nächsten Generation« gefördert. Unser Dank gilt weiterhin allen Projektpartnern und dem Projektträger Jülich für die gute Zusammenarbeit sowie dem Havariekommando Cuxhaven, der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt Hamburg und dem Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt Mittleres Mecklenburg für ihre Projektunterstützung.


Prof. Dr.-Ing Fokke Saathoff, Dr. rer. nat. Martin Powilleit