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Europas Versorgungsschlagader wird gestärkt: Mit der Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels soll der Weg in den Süden schneller und kürzer werden. Die Auswirkungen auf die Häfen an der Nordsee und am Mittelmeer beschreibt Claudia Behrend
Grund zum Feiern hatten am 1. Juni in jedem Fall die Schweizer: Mit dem Gotthard-Basistunnel (GBT) wurde der längste[ds_preview] Eisenbahntunnel der Welt eröffnet – und das vorzeitig und im Rahmen des Budgets. Seine Trasse mit einer Länge von 57km soll neben dem Lötschbergtunnel und dem Ceneri-Basistunnel das Herzstück der Neuen-Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) durch die Alpenrepublik werden. Dafür investieren die Schweizer insgesamt 23Mrd. CHF. Ziel ist es, mehr Bahn- statt Lkw-Transittransporte durchzuführen. »Dank der NEAT können allein 400.000 Lkw-Fahrten pro Jahr auf die Bahn verlagert werden. Das wären etwa 15.000 Züge mehr durch die Schweiz«, sagt Retro Schärli von der Schweizer Bundesbahnen (SBB). Mit steigender Kapazität und kürzerer Transitzeit soll zudem das prognostizierte steigende Transportaufkommen bewältigt werden.

Derzeit werden zwischen den Nordseehäfen und der italienischen Küste – der wichtigsten Güterverkehrsachse in Europa – jährlich rund 200Mio.t Güter befördert. »Norden und Süden gehen aufeinander zu, das Mittelmeer trifft mitteleuropäische Industrielandschaften«, freute sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Festrede zur Eröffnung. Es gibt allerdings auch Befürchtungen, dass durch den neuen Tunnel die Attraktivität der Nordrangehäfen abnehmen könnte.

Zunächst ist festzuhalten, dass auch nach der Inbetriebnahme des GBTs Ende 2016 mit dem 34,6km langen Lötschbergtunnel lediglich zwei Tunnel in Betrieb sind. Erst 2020 soll der 15,4km lange Ceneri-Basistunnel folgen. Zwar sollen bereits ab Dezember dieses Jahres bis zu 260 Güterzüge pro Tag auf der um 31km kürzeren und 50 Minuten schnelleren Strecke durch den GBT fahren – auf der historischen Bergstrecke waren es maximal 180 pro Tag. Damit jedoch wie geplant Züge mit einer Gesamtlänge von 740m, also der Normallänge, (statt derzeit 600m) und einem Gewicht von bis 2.000t (statt 1.600t) ohne zusätzliche Lokomotive fahren können, sind noch einige Baumaßnahmen zwischen Basel und Luino erforderlich. Erst wenn diese 2020 abgeschlossen sind, wird es den 4m-Korridor geben. Eine echte Flachbahnstrecke von Rotterdam nach Genua soll auch erst ab der Inbetriebnahme des Ceneri-Basistunnels 2020 ans Netz gehen. »Und eine Verdopplung des Transportvolumens von heute 1Mio. TEU ist erst mit der Flachbahn möglich«, so Ralf-Charley Schultze, Generaldirektor der internationalen Vereinigung für den Kombinierten Verkehr (UIRR). Überdies müssen noch die Anschlussstrecken in Italien sowie nach und innerhalb Deutschlands wie die Strecke zwischen Karlsruhe und Basel – Fertigstellung in etwa 15 Jahren – ausgebaut werden.

Eine Prognose über mögliche Verkehrsverlagerungen ist auch deshalb schwierig, weil es keine Statistiken darüber gibt, was auf der Nord-Süd-Achse durch die Schweiz in die Kategorie Hinterlandverkehr fällt. »Allgemein wird dieser Anteil häufig überschätzt, weil viele Güter ab Rotterdam und Antwerpen bereits dort eine Verarbeitungsstufe durchmachen, insbesondere Chemie«, sagt Gregor Saladin von Schweizer Bundesamt für Verkehr. Ab Hamburg oder Bremerhaven gebe es gar keine Relationen im Kombinierten Verkehr durch die Schweiz.

Das Beratungsunternehmen Drewry kommt in seiner Marktuntersuchung vom März dieses Jahres dennoch zu dem Ergebnis, dass sich die Region, für die die Südhäfen wettbewerbsfähig sind, mit günstigeren Bahnpreisen nach der Inbetriebnahme des Tunnels weiter nach Norden verschieben wird. Auch Burkhard Lemper, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) und Professor an der Hochschule Bremen, sieht für die Südhäfen viel Potenzial: »Diese werden stärker wachsen als die Nordrange-Häfen. Die absoluten Verluste werden sich jedoch in Grenzen halten.«

Fakt ist, dass die ligurischen Häfen La Spezia, Genua und Savona in ihre Terminals investieren. Zugleich herrscht nach wie vor Skepsis in Bezug auf die Qualität der italienischen Häfen. Allerdings: »Italien hat sich verändert und wird damit fortfahren, Dienstleistungen mit dem gleichen Standard wie in den nördlichen Häfen anzubieten, insbesondere hinsichtlich der Zollabläufe, des Bahntransports und der Hafenproduktivität«, betont Daniele Testi, Contship Italia Group Marketing und Corporate Communication Director. Auch Jürgen Behrens von der Repräsentanz Deutschland Süd für Hafen Hamburg Marketing, beobachtet Veränderungen: »Die italienischen Häfen, allen voran Genua und zum Teil La Spezia, sind weiter auf dem Vormarsch und spielen bereits eine, wenn auch noch kleine Rolle für den Schweizer Überseemarkt. Dies könnte sich durch den Gotthard-Basis- und den Ceneri-Tunnel verstärken, wenn die Reedereien in Italien die Frequenz erhöhen und die Anbindung an die Weltmarktverkehre vor allem zwischen Europa und dem Nordatlantik, Fernost sowie Indien und Pakistan verbessern.« Entscheidende Warenstromveränderungen im Überseehandel mit der Schweiz und auch Süddeutschland schätzt er kurz- und mittelfristig aber nicht als realistisch ein.

Auswirkung auf Nordrange

Andreas Kellner, Head of Inland Delivery Northern Europe und Director bei Maersk Deutschland, ist eher vorsichtig: »Alles in allem steht die Verbindung nicht im direkten Wettbewerb mit den schnellen Nord-Süd-Verbindungen der Nordrange als solcher. Eine Verlagerung von Volumina in bemerkenswerter Größenordnung ist derzeit nicht zu erwarten.«

Ähnlich sieht dies auch Koen Cuypers, Senior Consultant Intermodality bei Port of Antwerp: »Sicherlich wird es einfacher, Bahntransporte über die Alpen durchzuführen und die Preise werden etwas niedriger sein, auf die Beförderung von Haus zu Haus indes wird sich dies preislich nur begrenzt auswirken.« Die Hauptmärkte der ARA-Häfen (Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam) seien in jedem Fall die Beneluxländer und Nordrhein-Westfalen, für die die Südhäfen aufgrund der längeren Hinterlandanbindung keinen Wettbewerb darstellten. Allerdings sei Norditalien für den Hafen Antwerpen ein wichtiger Markt mit mehreren Zugverbindungen pro Tag. »Der Tunnel wird es sogar einfacher machen, diese Verbindung zu stärken«, sagt Cuypers.

Ähnlich sind auch die Prognosen der SBB: »Heute ist es ein Fakt, dass ein großer Teil der Waren, die für Norditalien bestimmt sind, nicht über die Mittelmeer- sondern über die Nordseehäfen angeliefert werden«, so Schärli. »Insofern rechnen wir Stand heute damit, dass auch nach Eröffnung des GBTs der Warenstrom Nord-Süd und nicht primär Süd-Nord gehen wird. Die Häfen im Norden werden also weiter an Bedeutung zunehmen.« SBB Cargo wolle aber auch das Angebot von und zu den Häfen in Italien ausbauen. Holger Schwesig, Country Manager bei Hapag-Lloyd in der Schweiz, erwartet die größten Auswirkungen für Antwerpen und Rotterdam. »Hier geht es um die Verkehre, die über Duisburg in ganz Europa verteilt werden.« Der Hafen von Koper sei für Hamburg eher Konkurrenz als der GBT. »Für Deutschland wird sich kurzfristig durch den Tunnel nichts ändern, auch deshalb, weil die Abläufe in den Nordseehäfen perfekt funktionieren«, erwartet Schwesig.

Claudia Behrend