Crewing, Kiribati, Chaos? Der menschliche Faktor II

Im Januar war an dieser Stelle vom Menschen als ökonomischer Faktor die Rede. Dabei ging es um die Auswirkung von Automatisierung und Autonomisierung in der Schifffahrt. Dieses Mal soll es zwar um einen anderen Aspekt gehen. Weil es aber erneut den Menschen betrifft – genauer die nach wie vor nicht aus der Welt geschafften Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Crewing – steht eine »II« in der Überschrift.[ds_preview]

Es ist lobenswert, was sich in den letzten Wochen an der Crewing-Front abspielt. Viele Initiativen von Reedern, Shipmanagern und Dienstleistern beschäftigen sich mit Aufrufen an die Politik, mit Kooperationen und Projekten. Der Bedarf ist da: Nicht nur stehen reguläre oder ohnehin überfällige Besatzungswechsel an. Auch versucht man sich um Seeleute an Bord zu kümmern, die in diesen Zeiten bisweilen einer zusätzlichen Betreuung bedürfen. Ja, der Begriff »Front« ist sehr militärisch geprägt. Aber ganz ohne Dramatisierung: Das, was sich in vielen Crewing-Abteilungen abspielt, ist schlichtweg ein harter Kampf.

Weltumspannende Reisen müssen organisiert, umfangreiche Anforderungen von Hafen- und Transitstaaten eingehalten werden. Zudem müssen sich mittlerweile erst einmal neue Seeleute finden, die man einsetzen kann. Die kürzlich in der Branche verkündete Sorge, angesichts der Umstände könnten mehr und mehr Seeleute ihrem Beruf den Rücken kehren und der Bedarf der Schifffahrt immer schwerer zu bedienen sein, muss man in dieser Vehemenz nicht teilen. Aus dem Auge verlieren sollte man den Aspekt aber auch nicht. Warum sollte der viel diskutierte »Fachkräftemangel« nicht auch in dieser Branche zur Herausforderung werden?

Wo die – sprichwörtliche – Reise hingeht, weiß noch immer niemand. Wie auch? Einige Flaggenstaaten sind zwar bereits sehr aktiv mit speziellen Unterstützungsmaßnahmen. Doch es hakt nach wie vor. Da kann die Industrie noch so umtriebig sein. Ohne die Hilfe der Politik fehlt die nötige Handbreit Wasser unterm Kiel – sprich: unter den Füßen der Seeleute. Ein Beispiel erleben wir direkt vor unserer Haustür: In Hamburg sitzen seit mehreren Monaten mehrere Dutzend Männer vom Inselstaat Kiribati fest. Ihre Regierung lässt sie aus Angst vor dem Virus nicht ins Land.

Ganz offensichtlich ist (mehr) politisches und diplomatisches Engagement nötig. Im Januar hieß es, die Wirtschaft müsse den Menschen als ökonomischen Faktor im Blick behalten. Das trifft auch auf dieses Thema zu, schließlich sind Seeleute integraler Bestandteil des Welthandels, über dessen Bedeutung wir wohl nicht streiten müssen. Jetzt geht der Appell aber auch an die Politik, dem Menschen – woher er auch kommen mag – um seines Menschseins willen zur Seite zu stehen.

Michael Meyer

Stellvertretender Chefredakteur