MSC Zoe
Die » MSC Zoe« hatte auf ihrer Fahrt nach Bremerhaven mehrfach Grundberührung und verlor zwischen Ameland und Borkum mindestens 340 Container (© Havariekommando)
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Ist die International Convention for Safe Containers (CSC 1972) noch zeitgemäß? Die vielen Container, die in jüngster Vergangenheit über Bord gingen, sprechen dagegen. Offensichtlich wurden Regelwerke und Laschsysteme nicht an die immer größeren Schiffe angepasst

Laut der Verluststatistik [ds_preview]von Containern auf See sind von November 202[ds_preview]0 bis Februar 2021 etwa 3.000 Container weltweit über Bord gegangen, vornehmlich im Nordpazifik. Das sind doppelt soviel wie sonst im Jahresmittel. Worauf ist diese hohe Zahl zurück zuführen?

Sind es Laschfehler, falsch angegebene Gewichte, die wachsende Anzahl großer Containerschiffe mit entsprechend großen Breiten und, daraus resultierend, hohe Rollbeschleunigungen infolge der hohen Stabilität? Oder werden die gültigen Regelwerke den neuen, sehr großen Containerschiffen nicht gerecht? Hier hört man zunehmend den Ruf nach einheitlichen Regelwerken der IMO zum Stauen und Sichern der Container an Deck.

Oft wird der Verlust von Containern mit dem möglichen Versagen der Twistlocks als wesentliches Laschelement in Verbindung gebracht, speziell für die oberen Lagen, die nur durch Twistlocks ohne Laschstangen gesichert sind. Dabei sind die obersten Container eigentlich unkritisch, da meist leer oder von geringerem Gewicht. Die Bilder der havarierten »MSC Zoe« und »ONE Apus« zeigen allerdings ein anderes Bild.

Infolge starker Rollbewegungen sind die äußeren Stapel kollabiert, die weiteren Stapel sind dann nach Zusammenbruch des Gesamtsystems »Laschung« gefolgt. In einem Stapel müssen die untersten Container die Last aller Container darüber tragen. Im äußersten Stapel kommen noch erhebliche Kräfte aus dem Rollen dazu. Diesen Sachverhalt veranschaulicht die beigefügte Skizze – die äußerste Ecksäule des untersten Containers wird am höchsten belastet. Diese Skizze, etwa 20 Jahre alt, stammt vom damaligen Fleet Manager einer großen Containerschiff-Reederei, das Thema ist offensichtlich nicht ganz neu.

Viele Gründe für Containerverluste

Die Begründungen für die Container­verluste sind sehr vielfältig: hohe Wellen und schlechtes Wetter (im Zeitalter des weather routings?), Maschinenausfall, parametrisches Rollen bis hin zur möglichen Grundberührung bei Flachwasser! Die maritime Welt bemängelt häufig, dass es bis heute keine verbindlichen Vorschriften der IMO zur seefesten Sicherung der Container an Deck gibt.

Dazu lohnt es sich, diesbezügliche und aktuelle Vorschriften zur Stauung und Sicherung von Containern im Detail anzusehen. Es gibt hier die CSC (International Convention for Safe Containers) von 1972, die ISO 1496 sowie die Vorschrif­ten der Klassifikationsgesellschaften.

Die CSC von 1972 ist da ganz pragmatisch: Sie legt die maximal zulässige Stackload für neun Lagen Container mit einem Gewicht von jeweils 24 t zu 192 t fest. Dabei trägt der unterste Container nicht seine eigene Last, allerdings die der acht Lagen darüber. Bei einer Vertikalbeschleunigung von 1,8 g, sehr hoch angesetzt, muss jede Ecksäule oder 848 kN tragen. Diesen Wert findet man dann in der ISO 1496-1 als Prüflast wieder.

Die CSC spiegelt damit die Situation von 1972 in der damals noch jungen Containerschifffahrt wider: Das Panamax-Schiff der dritten Generation mit maximal neun Lagen unter Deck und aus Stabilitätsgründen nur drei Lagen an Deck war das Maß der Dinge und sollte es auch für weitere 20 Jahre bleiben. Die nur drei Lagen an Deck waren dabei kein Problem, am höchsten wurde der Container unten auf dem Doppelboden infolge vertikaler Schiffsbewegungen belastet.

Wichtig in diesem Regelwerk ist die Tatsache, dass die CSC die Prüflast als Arbeitslast zulässt, die Sicherheiten stecken in der hohen Vertikalbeschleunigung von 1,8 g. Interessanterweise steht das Stapelgewicht von 192 t in Verbindung mit 1,8 g bis heute auf der CSC-Plakette auf dem Container selbst, obwohl heute auf den großen Schiffen im Raum Stackloads weit über 300 t gefahren werden. Diese Stapel bestehen vorwiegend aus 40-Fuß-Contai­nern mit einer höheren Nutzlast, aller­dings mit unveränderter Ecksäulenkonstruktion. 2005 hatte die ISO den Prüfwert auf 96 t erhöht, um den neuen und größeren Postpanamax-Schiffen gerecht zu werden.

20 Jahre ging alles gut, dann begann die Erfolgsgeschichte jener Postpanamax-Schiffe, die bei größerer Breite und Stabilität mehr Container an Deck tragen konnten. Damals waren die Klassen gefordert, falls noch nicht geschehen, Vorschriften zur Sicherung von Containern, speziell an Deck, zu entwickeln.

Schwachpunkt im Laschsystem

Das System an Deck besteht, vereinfacht gesagt, aus den Komponenten Zurrstangen, Twistlocks und dem Container selbst bzw. dessen Ecksäulen. Die Laschkomponenten Twistlock und Zurrstange beaufschlagt man mit den Ingenieur-typischen Sicherheitsfaktoren, weil die Natur sich nicht immer an Vorschriften hält. Übliche Sicherheiten sind hier für die auf Zug belasteten Komponenten 1,25 gegen Prüflast und 2 gegen Bruch. Für die Ecksäule des Containers selbst liefert die CSC den zulässigen Wert, in dem sie die Prüflast als Arbeitslast zulässt, damit mit einer Sicherheit von 1.

Die Sicherheit in der Vertikalbeschleu­nigung fällt nun weg, hier geht es ja um Querlasten infolge Krängung und Rollen. Damit ist das Rechenmodell bezüglich der Sicherheitsfaktoren nicht konsistent, Sicherheitsfaktoren bestehen nur das Laschmaterial, hingegen nicht die Ecksäulen. Damit ist der Container das schwache Glied im System.

Fehlende Reserven

Unerfreulicherweise kommt hinzu, dass die Ecksäule auf Druck belastet wird und bei einer Überlast ausknickt – ohne eine plastische Reserve. Kritisch sind hier besonders die Ecksäulen auf der Türseite. Man möge sich in diesem Kontext an die Verluste der Containerschiffe »MSC Napoli« und »MOL Comfort« erinnern.

Damit muss die CSC den Erfordernissen der Großcontainerschiffe angepasst werden. Der Fokus liegt hier nun auf den Containern an Deck und nicht mehr nur auf denen im Raum. Man müsste daher eine neue Arbeitslast für die Ecksäulen des Containers festlegen, die deutlich unter der Prüflast liegt, zumal die Trag­last der Ecksäule als Knickproblem nicht bekannt ist. Die Schwierigkeit ist hier, dass die ISO nur die Prüflast vorgibt, aber keine konstruktiven Vorgaben für die Ecksäulen macht – die Ausführung ist bislang jedem Hersteller selbst überlassen.

Eine amerikanische Untersuchung hat eine weit verbreitete Variante der türseitigen Ecksäule nachgerechnet und kommt zu dem Schluss, dass die Traglast das etwa 1,35-fache der Prüflast beträgt. Damit sind die Reserven deutlich geringer als bei dem auf Zug beanspruchten Lasch­material. Die tatsächliche Traglast müsste man allerdings im Experiment bestimmen, sie ist gegebenfalls höher.

Im Falle einer bekannten Traglast könnte man als Diskussionsgrundlage den Sicherheitsfaktor für die Ecksäule in der CSC den Stau und Laschvorschriften der Klassifikationsgesellschaften anpas­sen. Wenn man die Sicherheit von 2 gegen Versagen ebenfalls auf den Container übertragen will, ergibt sich eine Sicherheit von 1,5 in der Arbeitslast gegenüber der Prüflast 848 kN (ISO 1496-1). Damit wäre das Rechenmodell bezüglich der Sicherheitsfaktoren weitgehend konsistent. Angaben zum zulässigen Stapelgewicht unter Berücksichtigung einer Vertikalbe­schleunigung könnten dann in der CSC entfallen, diese gelten sowieso nur für Container in festen Staugerüsten.

Mit der vorgeschlagenen Modifikation der CSC wäre das Phänomen Überlast zwar leider nicht beseitigt, aber die Reserven bis zum Versagen des Laschsystems würden deutlich erhöht und damit die Anzahl der Containerschäden entsprechend verringert.

Notwendig ist in jedem Fall eine Bearbeitung des Themas bei der IMO und IACS, damit es zu verbindlichen Vorschriften für alle Klassen ohne das Problem des Wettbewerbs käme. Letztlich geht es um den sicheren Transport von Containern, die Vermeidung von Umweltschäden sowie um die Risikominimierung für die Kleinschifffahrt durch treibende Container.

Autor: Lutz Müller, Dipl.-Ing. Schiffbau
1976–2007 Germanischer Lloyd | 2008–2017 CTO Reederei NSB | seit 2018 Technical Consultant

Container, Versagen
Knickversagen der untersten und äußersten Ecksäule unter Rollbelastung auf einem Containerschiff wie der »ONE Aquila« (© Müller)
Eingestürzte Containerreihen auf der »One Aquila« (© USCG)
Eingestürzte Containerreihen auf der »One Aquila« (© USCG)