Nach der Havarie im Suezkanal klaffen die Vorstellungen Ägyptens und die der Transportversicherer über einen Schadenersatz weit auseinander. Von Michael Hollmann
Die Erleichterung nach [ds_preview]der Bergung des 20.000-TEU-Schiffs »Ever Given« Anfang April war nur von kurzer Dauer. Wegen einer gigantischen Schadenersatzforderung der Sue[ds_preview]zkanalbehörde liegt das voll beladene Großcontainerschiff im großen Bittersee zwischen dem nördlichen und südlichen Abschnitt des Suezkanals fest. Zu Redaktionsschluss der HANSA sind die Fronten weiter verhärtet. Branchenexperten stellen sich auf ein längeres Tauziehen zwischen den Streitparteien und Komplikationen bei der Aufteilung der Kosten ein. Fest steht nur: Die Sache wird teuer.
Ein Gericht in Ägypten hat geurteilt, dass die Arrestierung von Schiff und Ladung weiter Bestand hat und einer Ableichterung von Containern nicht stattgegeben wird. Trotz der offensichtlichen praktischen Hindernisse – Mangel an Liegeplätzen mit ausreichend Wassertiefe in der Region, mangelnde Verfügbarkeit von Containerbrücken oder geeigneten Schwimmkränen etc. – soll der Eigner der »Ever Given«, die japanische Schiffseigentums- und Leasinggesellschaft Shoei Kisen Kaisha, diese Möglichkeit ernsthaft erwogen haben. Bereedert wird der Frachter durch Bernhard Schulte Shipmanagement (BSM), die Linienreederei Evergreen ist der Charterer.
Letzter Stand ist, dass die Suezkanalbehörde SCA einerseits und der Schiffseigner mit seinen Versicherern andererseits bei der Frage des Schadenersatzes noch rund 450 Mio. $ auseinander liegen sollen. So berichten es Rechtsexperten aus der Transportversicherung, die an dem Fall beteiligt sind. Die Ägypter sollen ihre Forderung inzwischen von über 900 Mio. $, die für die Bergung der »Ever Given« nach einer sechstägigen Strandung im Suezkanal geltend gemacht wurden, auf rund 600 Mio. $ abgesenkt haben. Eigner und Schiffsversicherer wollen hingegen maximal 150 Mio. $ zahlen.
»Geiselnahme« und »Erpressung« werfen Schiffs- und Ladungsbeteiligte den ägyptischen Behörden vor. Große Importeure in Europa, deren Lieferungen auf dem Schiff feststecken, sollen längst eigene Anwaltsteams losgeschickt haben. Allein können die Firmen bei einer derartigen Großschadenslage kaum etwas ausrichten.
Die Forderung der Suezkanalbehörde richtet sich dem Vernehmen nach inzwischen nur noch auf die Bergung: knapp 300 Mio. $ für die eigentlichen Arbeiten und ebenso viel als »Bergungsbonus«. Anfangs waren noch zusätzlich 300 Mio. $ für den »Reputationsverlust« des Suezkanals gefordert worden, was aber inzwischen fallengelassen wurde.
Selbst der Anteil für die praktischen Bergungsarbeiten lässt sich kaum nachvollziehen. Im Gespräch mit der HANSA kommen Bergungsexperten auf maximal 15 Mio. $, die der Einsatz von bis zu 14 Schleppern auf Basis üblicher Marktraten gekostet haben dürfte. Trotzdem ist kaum zu erwarten, dass sich die Suezkanalbehörde weiter auf unter 300 Mio. $ »herunterhandeln« lässt, der Gesichtsverlust wäre vermutlich zu groß.
Ebenso wenig ist abzusehen, dass sich die Schiffs- und Warentransportversicherer freiwillig in Richtung 300 Mio. $ oder gar 600 Mio. $ bewegen. Zwar sind beide Seiten nach der Erklärung einer »Havarie-grosse« durch den Eigner dazu verpflichtet, die Kosten für die Rettung der »Ever Given« aus der gemeinsamen Gefahr nach Anteil der geretteten Werte zu übernehmen. Die zu berücksichtigenden Aufwendungen müssen aber angemessen (»reasonable«) sein, worüber sich im Fall der Bergelohnforderung der Suezkanalbehörde streiten lässt.
Abgesehen von den verfahrensrechtlichen Themen bei der Zuordnung der Kosten stellt sich für Ladungseigner und ihre Versicherer die Frage, ob sie sich überhaupt am Schadenersatz beteiligen oder nicht gleich einen Totalverlust abschreiben sollen. Denn an Bord der »Ever Given« dürfte sich viel Saison- oder sogar verderbliche Ware befinden, deren Wert mit jedem Tag Verzögerung rapide sinkt. Womöglich sind Schiff und Ladung zusammen gar nicht mehr die geforderten 600 Mio. $ wert. Das müsste die Suezkanalbehörde im Zweifelsfall selbst herausfinden, wenn es zu einer Verwertung käme.
Abstract: Vessel and cargo stuck together in Great Bitter Lake
The Suez Canal Authority (SCA) is playing a risky game as it insists on its huge claim for compensation while the values under arrest are only declining, according to insiders. A gap of around 450 mill. $ is believed to remain between its claim and what the ship’s owner and insurers are prepared to pay.