Der »Company Builder« Flagship Founders – mit Auerbach-Chef Lucius Bunk als eine der treibenden Kräfte – setzt bei der Digitalisierung der Schifffahrt auf selbst entwickelte, passgenaue Lösungen und die Ausgründung von Unternehmen.[ds_preview] Von Michael Meyer
Start-ups und die maritime Industrie – ein Verhältnis, dass eigentlich sehr gut passen sollte: Die Optionen in einer derart stark diversifizierten Branche sind vielfältig, und der Bedarf an digitalen Lösungen, für die viele Start-ups stehen, ist zweifelsohne da. Dennoch gilt die Einbindung von Newcomern bisweilen weiter als etwas »Besonderes«.
Ein Grund dafür ist sicherlich die viel diskutierte eingeschränkte Kapitalkraft der Unternehmen, die jahrelange Schifffahrtskrise hat bekanntlich deutliche Spuren hinterlassen. So mancher argwöhnt zudem, dass es bei einem gewissen Teil der Branche noch immer an Innovationsbereitschaft und -fähigkeit mangelt. Allerdings wird auch immer wieder über eine noch ausbaufähige Passgenauigkeit neuer Lösungen diskutiert.
Dennoch gibt es maritime Akteure, die sich seit einiger Zeit im Start-up-Umfeld engagieren und dabei auf unterschiedlichen Pfaden wandeln. Konzerne wie Cargotec, Shell oder die HHLA zeigen sich beispielsweise als Partner des »Trade & Transport Impact« des Matchmaking-Dienstleisters Rainmaking. Sie treffen Start-ups und kooperieren gegebenenfalls. Dann gibt es Venture-Capital-Partner wie TecPier aus der Zeaborn-Gruppe oder Innoport von Bernhard Schulte. Solche Akteure stellen als Investment-Vehikel der Schifffahrtsunternehmen jungen Gründern Risikokapital zur Verfügung – oder übernehmen sie, um sie in bestehende Strukturen zu integrieren. Manchmal werden Start-ups auch schlicht aufgekauft, der dänische Maersk-Konzern scheint ein gewisses Gefallen an dieser Option gefunden zu haben.
Es gibt allerdings auch andere Optionen, beispielsweise das sogenannte »Company Building«, dass gerade für die Verbesserung die Passgenauigkeit Potenzial bietet. Vereinfacht gesagt werden dabei Lösungen selbst entwickelt und Start-ups ausgegründet. So zumindest geht es Flagship Founders aus Berlin an – 2020 gegründet und nach eigenen Angaben der »erste Company Builder mit Fokus auf maritime Technologien, Logistik und Schifffahrt«. Einer der treibenden Kräfte hinter dem Projekt ist Lucius Bunk mit seiner MPP-Reederei Auerbach, der als Founding Partner fungiert und Flagship Founders mit dem Finanzpartner Rescape aufgelegt hat. Mit Kaiko Systems für digitale Echtzeit-Datenanalyse und Tilla Systems für automatisierte Crew-Wechsel-Prozesse wurden bislang zwei Start-ups ausgegründet.
»Wir wollen nicht nur gute Ideen plakativ an die Pinnwand hängen, sondern Wert schaffen«
Bunk und Fabian Feldhaus, Geschäftsführer und Co-Gründer von Flagship Founders, sprachen mit der HANSA über das Geschäftsmodell und ihren Blick auf die Branche.
Den Anstoß gaben Workshops bei Auerbach, die sich mit neuen, vor allem digitalen Geschäftsmöglichkeiten jenseits des reinen »Stahl-Invest« beschäftigten. Künftige Hürden wurden schnell sichtbar: »Wir haben festgestellt, dass es wesentlich mehr Potenzial gibt, eigene Ideen zu verwirklichen, wenn man den Prozess auf externe, unabhängige Füße stellt. Die Ideen neben dem Tagesgeschäft in die Umsetzung zu bringen ist utopisch. Wir wollen nicht nur gute Ideen plakativ an die Pinnwand hängen, sondern Wert schaffen«, sagt Bunk. Auerbach könne Schifffahrt im traditionellen Sinne, aber Start-up und Digitalisierung könnten Andere besser.
Also suchten sich die Verantwortlichen kompetente Partner. Sie sollen neue Ideen testen und validieren und nicht zuletzt bewerten, ob es auf dem Markt – auch jenseits von Auerbach – Bedarf gibt, ob eine Idee skalierbar ist und ob man daraus eine eigenständige Unternehmung machen kann. Dabei spielt der Kontakt in die Schifffahrtsbranche(n) eine entscheidende Rolle. Viele Experten werden nach ihrer Ansicht befragt, ihre Ideen gegebenenfalls integriert und das Produkt so verbessert. »Wir sind Co-Initiator, Gesellschafter und Sparringspartner und haben uns bewusst mit Menschen aus dem Berliner Start-up-Umfeld zusammengetan. Deren Feedback war, dass die Schifffahrt eine spannende Branche ist, die aber bisher die Digitalisierung noch nicht in der intensiven Form entdeckt hat wie andere Branchen – aus denen sie nun ihre Erfahrungen einbringen«, erläutert der Reedereichef. Bei der Zusammenarbeit mit Auerbach geht es nicht zuletzt darum, Ideen zu generieren und dann Zugang zu Expertenwissen verschiedenster Art und Weise zu bekommen. »Da ist Auerbach ein Multiplikator und eine Starthilfe für den Sales-Prozess der Ventures«, betont Feldhaus.
120 Themen auf der Liste –Abgrenzung von Auerbach
Das Geschäftsmodell beinhaltet keine Beratungsdienstleistungen oder ähnliches. »Es beruht darauf, dass wir – neben einem oder mehreren Co-Gründern – einen Anteil an den ausgegründeten Unternehmen halten und darauf setzen, dass der Wert dieses Anteils für einen späteren Verkauf steigt«, sagt Feldhaus. Es ist ein umfangreicher und aufwendiger Prozess von der Ideenfindung bis zur Ausgründung. Zumal die digitale Lösung von Flagship Founders selbst entwickelt wird. Dafür will man am Ende ein Produkt präsentieren können, das für den Markt passt.
Aktuell gibt es eine Liste von rund 120 Themen. Davon stammt rund die Hälfte von Auerbach, der Rest aus Gesprächen und Experten-Interviews oder aus der eigenen Feder, wenn sich bei der Produktentwicklung neue Potenziale oder Notwendigkeiten auftun. Die Branche hat viele Problemstellungen, die im Tagesgeschäft nicht gelöst werden können und konnten, erst Recht nicht in den vergangenen Krisenjahren, als es für viele ums wirtschaftliche Überleben ging.
»Weder wir noch unsere Wettbewerber haben die Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Aber wir brauchen den Wandel, wir brauchen diesen Input von außen, also von Leuten, die schon in anderen Branchen gezeigt haben, dass Wandel sinnvoll ist. Nur dann kann dieser Impuls auch zu einer Veränderung führen«, so Bunk. Es gehe ihm nicht darum, was Auerbach weiterbringt: »Wenn eine Lösung Prozesse bei uns optimiert, ist es ›nice to have‹. Aber ein ›must have‹ ist, dass das Projekt als ausgegründetes Start-up langfristig eine Chance hat, als unabhängiges Unternehmen zu reüssieren.«
»Wenn wir fünf Ventures vor die Wand fahren lassen und erst das sechste ist erfolgreich, dann werden wir uns in der Schifffahrt nicht etablieren können«
Die Entwicklung konkreter Lösungen wird von Flagship Founders übernommen. Der allergrößte Teil der Arbeitszeit geht in die Validierung von Ideen. Anders als beim Venture-Capital-Ansatz, bei dem eingerechnet wird, dass von 20 Ideen nur zwei am Markt bestehen, will man sicher sein, dass die Themen funktionieren. »In einer Branche wie der Schifffahrt ist das sehr wichtig: Wenn wir fünf Ventures vor die Wand fahren lassen und erst das sechste ist erfolgreich, dann werden wir uns in der Branche nicht etablieren können«, meint Geschäftsführer Feldhaus.
In der Testphase entscheidet sich letztlich, ob ein Start-up ausgegründet wird oder nicht. Immer wieder kommt es dabei zu Abwägungen, manchmal fehlt ein letztes Quäntchen. Entsprechend kann es durchaus passieren, dass ein Projekt auf Eis gelegt wird, bis sich die Rahmenbedingungen verändern.
Entscheidet man sich zu einer Ausgründung wird ein Co-Gründer gesucht, der sich auch finanziell entscheidend beteiligt. Dabei handelt es sich in der Regel um eine branchenfremde Person, weil die Kompetenzen zur Entwicklung dieser Produkte eher digitaler Natur seien: »Wir brauchen die Erfahrung der Schifffahrt, aber was wir eigentlich brauchen, ist das digitale Know-how. Die Personen sind der ganz entscheidender Faktor für Erfolg oder Misserfolg der Ventures. Wir können die besten Ideen machen, mit den falschen Leuten können sie scheitern. Und umgekehrt.«
Die für die Validierung nötige Branchen-Expertise habe man sich in den knapp zwei Jahren selbst aufgebaut. Vor der Ausgründung von Kaiko beispielsweise sprach das Team aus aktuell fünf Mitarbeitern mit über 100 Experten aus der Schifffahrt. »Wir sitzen nicht in einer Blase. Für die Bereiche, die wir uns intensiver anschauen, werden wir durchaus selbst zu Experten«, sagt Feldhaus.
Exit-getriebenes Geschäftsmodell
Flagship Founders bleibt nach der Ausgründung als einer von mehreren Gesellschaftern an Bord – zumindest vorerst. Die Aktivitäten sind klar »Exit-getrieben«, mit einem Verkauf der idealerweise im Wert gestiegenen Anteile zu einem späteren Zeitpunkt soll also Geld verdient werden. Über diese Erlöse verdient dann wiederum auch Auerbach als Gesellschafter von Flagship Founders.
Bei einem Exit kann es auch darum gehen, einen anderen strategischen Investor dazu zu holen, oder sogar eine andere Reederei, mit der Auerbach im regulären Markt konkurriert, wie Bunk betont: »Wir sind da komplett offen. Im Endeffekt geht es darum, wer jenseits des Kapitals Mehrwert einbringt. Meine Kernerkenntnis der letzten zehn Jahre war: Kapital hat dann einen Wert, wenn die Menschen, die es geben, eine Vision teilen und eine strategische Komponente mitbringen. Das ist auch die Grundidee von Flagship Founders.« Berührungsängste habe er nicht: »Dieser Fehler hat in der Vergangenheit bei Corporate Venturing häufig dazu geführt, dass die Start-ups letztlich nicht erfolgreich waren, weil man sich unbedingt abgrenzen wollte. Daran habe ich noch nie geglaubt, das ist überhaupt nicht unsere Denke, ganz im Gegenteil.« Produkte, die für Auerbach keinen Mehrwert haben, weil die Reederei im Tramp-Markt aktiv ist und das Produkt für Linien relevant ist, sollen genauso unterstützt werden wie solche, die bei der direkten Konkurrenz auf Nächstenliebe stoßen. »Weil wir daran glauben, dass ein Unternehmen als solches einen Mehrwert schafft. Ich glaube wirklich daran, dass wir manche Dinge nur vorantreiben können, wenn wir in der Cluster-Logik nicht nur denken, sondern auch leben«, so Bunk, für den es nach eigener Aussage überhaupt kein Problem wäre, wenn eine Reederei ein weiterer Gesellschafter bei Flagship Founders würde.
Neue Finanzierungsrunde geplant
Im Laufe des nächsten Jahres, so kündigt Feldhaus an, soll es eine neue Finanzierungsrunde für Flagship Founders geben: »Wir sind sehr daran interessiert, weitere Partner ins Boot zu holen.«
Parallel geht es um weitere Start-up-Pläne. Zwei bis drei Unternehmen pro Jahr sollen gegründet werden. »Uns ist aber wichtig, dass wir keinen Zwang haben, wenn wir nicht an das Projekt glauben«, betont Feldhaus. Derzeit ist man noch sehr schifffahrts- beziehungsweise schiffsnah. Allerdings rücken auch in anderen Bereiche in den Fokus, zum Beispiel Finanzierung und vor allem Logistik, Häfen und Freight Forwarding.
So schaut man sich intensiv das Thema Nachhaltigkeit und Emissionsreduzierung an, sowohl aus technischer Perspektive als auch mit Blick auf den Druck durch Regulierung und Kunden-Nachfrage. Ein weiteres Thema ist das Zusammenspiel von Schiff und Fracht, die Prozesse seien zum Teil »noch sehr traditionell«.
Das Potenzial für Digitalisierung ist in der Schifffahrt unbestritten vorhanden. Aber was ist nun mit der angeblich nicht sonderlich ausgeprägten Innovationsbereitschaft deutscher Unternehmen? Branchenübergreifend laufe man bei dem Thema schon manchmal gegen Wände, so Feldhaus, »aber grundsätzlich ist das Feedback aus der Schifffahrt extrem positiv, ob nun der Kontakt von Auerbach initiiert war oder nicht. Teilweise wird uns indirekt zu verstehen gegeben: Endlich nimmt sich mal jemand strukturiert diesem Thema an.« Bei den Experten-Interviews ergeben sich manchmal mehrere neue Ideen, »weil es aus den Leuten heraussprudelt wenn sie nach ihren Problemen fragt.«
In den letzten sechs bis acht Monaten hat sich seiner Ansicht nach extrem viel zum Positiven verändert. Diese Einschätzung deckt sich mit denen von anderen Beobachtern. Die britische Unternehmensberatung Thetius schreibt in ihrem jüngsten Marktbericht, dass es nach einer Delle zu Beginn der Corona-Pandemie eine deutliche Steigerung von Investments in digitale Lösungen gibt: »Im Jahr 2021 hat sich das Bild drastisch verbessert, da sowohl die Anzahl der Deals als auch der Investitionswert deutlich gestiegen sind. Im bisherigen Jahr bis August wurden 1,7 Mrd. $ in maritime maritime Start-ups und Scale-ups investiert.« Bis Ende des Jahres sollen es 2,5 Mrd. $ werden. »Dies bringt Investitionen in den maritimen Technologiesektor wieder mit dem Wachstumstrend in Einklang, der ab 2019 und davor zu beobachten war«, so die Analysten.
»Inzwischen ist bei neun von zehn Akteuren der Groschen gefallen«
Feldhaus und Bunk sehen einen guten Zeitpunkt. »Eine Branche, die Dinge zu lange aufgeschoben hat, hat jetzt einen großen Nachholbedarf«, sagt Feldhaus. Bunk kommt auf die Krise der Branche zu sprechen: »Wenn man – wie vor dem jüngsten Boom Viele in der Schifffahrt – die Nase gerade so über der Wasseroberfläche halten kann, denkt man nicht über eine Revolutionierung der Prozesse nach. Jetzt haben sich die Unternehmen freigeschwommen und es gibt seit rund einem Jahr ein Umdenken.«
Seiner Ansicht gibt es zudem einen zweiten wichtigen Aspekt: Ein Umdenken durch einen Generationswechsel in vielen Unternehmen. Es werde mittlerweile öfter gesagt »So wie wir das immer gemacht haben, kann es nicht weitergehen. Lasst uns offen darüber nachdenken, wie wir Schifffahrt neu gestalten. Inzwischen ist bei 9 von 10 Akteuren der Groschen gefallen«, so Bunk, der den offenen Dialog mit den Digitalexperten ausdrücklich begrüßt. Sie bringen Perspektiven und Erfahrungen aus anderen Branchen ein, »von denen wir sehr viel lernen können«, so der Reeder weiter. Aber natürlich gebe es auch Momente, wo man sagen muss: »Nur weil es auf der Straße oder in der Luftfahrt funktioniert, muss es nicht zwangsläufig auch auf dem Wasser funktionieren.«
Bunk zehrt von Erfahrung aus Auerbach-Gründung
Für Bunk sind die Flagship-Founders-Aktivitäten als Zusatzgeschäft gedacht, nicht als Ersatz für andere Aktivitäten. Bei seiner Überlegung baut er auch auf eigene Erfahrungen. 2010 hatte er mit einem Partner und Investoren im Rücken Auerbach als Partenreederei gegründet. Seinerzeit ein ziemlich in Vergessenheit geratenes Modell – dass sich aber bewährt hat. »Wir wollen seit der Gründung Dinge neu denken. Ich bin sehr dankbar, dass man uns damals in einem sehr frühen Stadium Kapital zur Verfügung gestellt hat, um die Idee einer Partenreederei gegen den Trend antizyklisch umzusetzen. Das möchte ich gerne weitergeben«, sagt er. Es gehe ihm die Beteiligung an einem Unternehmen, die Unterstützung junger Menschen, die relativ viel Risikobereitschaft aufbringen, selbst 50 % oder mehr des Unternehmens halten und für das Produkt kämpfen. Letztlich bleibe aber natürlich das Ziel, damit Geld zu verdienen. Ein weiteres Anliegen ist ihm der Blick auf die hiesige Branche: »Wir haben in Deutschland ein Shipping-Cluster, das trotz der schrumpfenden Flotte sehr viel Expertise hat. Ich persönlich finde es wichtig und es ist mir ein Anliegen, den Schifffahrtsstandort zu stärken. Das ist möglich, wenn wir es schaffen, mehr zu machen als Schiffe zu kaufen und zu verkaufen.«