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Wer kennt sie nicht, die Bilder vom Hafen, wenn es in der Tagesschau mal wieder um Handel und Exporte geht. Wer sieht sie dann nicht immer wieder, die großen Containerschiffe, Containerbrücken und Containerstapel? Die genormten Stahlboxen gelten als das Symbol für die Schifffahrt, ja gar für den gesamten Zustand der Weltwirtschaft. Diese Aufmerksamkeit zeigt Wirkung in der Branche. Schiffstaufen werden schon mal zu öffentlichen Happenings, hochrangige Politiker geben sich die Ehre, Schiffsgrößen werden mit Fußballfeldern verglichen. Das Selbstbewusstsein ist ausgeprägt, man ist sich seiner Bedeutung bewusst.

Ist das nun angemessen oder anmaßend? Nun, das möge jeder für sich selbst entscheiden. Dass allerdings die Containerschifffahrt der (alleinige) Gradmesser des Zustands von Handel, Industrie und Weltwirtschaft ist, muss zumindest eingeschränkt werden.[ds_preview]

Eindrucksvolle Motive

Ja, für Konsum und Genuss eignet sich ein Container sehr wohl als ikonisches Symbolbild. Etwas zugespitzt: Da hört es dann aber auch schon auf. Wer darüber hinaus ein realistischeres Abbild für die wirtschaftliche und industrielle Entwicklung sucht, sollte sich auch in der Mehrzweck- und Schwergut-Schifffahrt (MPP) umschauen. Denn sie ist der Ursprung der Schifffahrtsgeschichte: Alles, was transportiert werden muss, kommt in Kisten und Kästen oder in losen Teilen an Bord. Das war früher so, und es ist noch heute so.

Wer nun meint, ein großes Containerschiff biete eben gewaltigere Motive, dem sei gesagt, auch das stimmt nicht unbedingt. Denn was ist ein Frachter mit mehr oder minder uniformen Stahlboxen im Vergleich zu, sagen wir, großen Batterien von Bergbaumaschinen, Yachten, Binnenschiffen, ’zig Flügeln von Windenergieanlagen, demontierten Fabriken oder ganzen Containerkranen unter und an Deck? Nicht zu vergessen die Unmengen an Stahl. Stahlrollen, Stahlträger, Stahlplatten. Wer das einmal aus der Nähe gesehen hat, der weiß, welche Leistungen Befrachter und Ingenieure von MPP- und Heavylift-Reedereien vollbringen können.

Zurück zu den Fakten: Von Schwerindustrie, Ölpreis oder Energiewende bis hin zu Yachten als Paradebeispiel für Milliardärsspielzeuge – in der MPP-Branche zeigen sich Wirtschaft und Industrie wie unter einem Brennglas.

Containerschiffe bringen Waren aus mindestens »sich entwickelnden« Ländern. Beziehungsweise sie kommen (erst) dann, wenn es bereits eine gewisse wirtschaftliche Basis gibt, die mit den Containerladungen beliefert werden können. Doch zuvor muss all das erst einmal aufgebaut werden. Vor den Containerschiffen kommen die MPP-Frachter.

Großes Potenzial für bunte Mischung

Immerhin umfasst die MPP-Flotte heute rund 1.500 Schiffe weltweit. Das ist im Vergleich natürlich deutlich weniger als die 5.500 Vollcontainerschiffe. Es mindert aber nicht ihre Bedeutung. Weniger öffentlichkeitswirksam und kleiner, dafür umso essenzieller für den Auf- und Ausbau von industriellen Strukturen, auf deren Rücken schließlich Konsumentenmärkte entstehen.

Das Potenzial ist groß. Afrika, Asien, Ozeanien … Noch immer warten diverse Regionen der Erde auf eine tiefergehende industrielle Erschließung. Noch immer mangelt es an vielen Orten an einer vernünftigen Infrastruktur – das Symbol für Entwicklungshilfe schlechthin.

Feste Linienpläne gibt es in der MPP-Branche kaum, zumindest nicht so ausgeprägt wie in der Containerschifffahrt. Man fährt dorthin, wo man gebraucht wird. Die Frachter steuern in noch so abgelegene und unwirtliche Gebiete, zu kleinen Inseln, irgendwo ins Nirgendwo, wo es bisweilen nicht einmal richtige Hafenanlagen gibt, sondern lediglich einsame Kaimauern an der Küste. Es ist eine bunte Mischung aus Fahrtgebieten, von tropischen Inseln bis zu arktischen Gefilden, zum Teil unter wirklich abenteuerlichen Bedingungen.

Ein weiteres Beispiel für die große Symbolkraft gefällig? Das Wohl und Wehe der Branche hängt nicht zuletzt und wie bei keinem zweiten Schifffahrtssegment stark vom Ölpreis ab. Und zwar anders als für Container-, Tanker- oder Kreuzfahrtreeder nicht nur mit Blick auf Kraftstoffpreise. Hoher Ölpreis bedeutet hohe Kraftstoffkosten, das ist für ein Schiff nicht anders als für ein Auto. Für die MPP-Schifffahrt hat das Ganze aber auch noch eine zweite Seite der Medaille.

Industrie-Aufbau

Denn je höher der Preis, desto eher lohnen sich große Öl- und Gasförder-Projekte, Raffinerien, Fabriken … und so weiter. Die Ölkonzerne lassen sich zu neuen Investitionen nur dann hinreißen, wenn die aufwändige Förderung auch gut bezahlt wird. Für den Auf- und Ausbau derartiger Anlagen benötigt man zwingend Mehrzweck- und Schwergutschiffe. Die Ölpreis-Schwankungen lösen bei einem MPP-Reeder also immer gemischte Gefühle aus.

Nun ja, die Öl- und Gasreserven sind bekanntlich endlich. Und der Ruf der Branche ist wahrlich nicht gut. Immer mehr Unternehmen schwenken daher auf erneuerbare Energien und »grüne Technologien« um. Aber auch das ist kein schlechtes Omen für den MPP-Markt. Denn die Schiffe sind mittlerweile ebenso unverzichtbar für die allerorten notwendige und politisch-proklamierte Energiewende geworden. Denn sie bringen die Windenergie-Anlagen aus den Werken in Europa und China in alle Welt. Sie verschifften moderne Kraftwerke in immer noch gewaltigen Einzelteilen. Windkraftanlagen sind für viele MPP-Carrier zum Brot-und-Butter-Geschäft geworden. Die Bedeutung für die Branche geht soweit, dass immer mehr neue Schiffe das Deckshaus nicht mehr, wie seit Jahrhunderten üblich, hinten, sondern im Bugbereich haben. Zu den Gründen für den Trend gehören auch die besseren Lade- und Transport-Optionen für Windenergieanlagen.

Wichtiger Markt Deutschland

Gerade in Deutschland hat die MPP-Branche eine wichtige Stellung. Die Briese/BBC-Gruppe aus Leer ist Weltmarktführer. Hinzu kommen bedeutende Spieler wie Harren & Partner mit SAL, die in Asien ansässige Reederei AAL vom deutschen Unternehmer Heinrich Schoeller oder der Carrier MACS. Zudem sind in der jüngeren Vergangenheit einige neue Akteure in den Markt gestoßen, nicht wenige davon aus Deutschland, wie United Heavy Lift, Dship Carriers oder Auerbach Schifffahrt.

Der Markt ist ein Tummelplatz für Ingenieure und Tüftler. Wie bekommt man welche Teile wo am besten aufs Schiff, ohne das die Stabilität leidet oder der Verlust von Ladung in schwerer See droht? Eine Stauplanung für ein MPP-Schiff ist mitunter ein Vabanque-Spiel.

Ab und an verrechnen sich die Spezialisten aber auch, nicht nur technisch, sondern auch kommerziell und finanziell. Dann müssen Pleiten hingenommen und Marktanteile neu verteilt werden. Einige prominente Beispiele gab es in der jüngeren Vergangenheit in Deutschland: Beluga Shipping aus Bremen, deren Nachfolgereederei Hansa Heavy Lift, die Rickmers-Linie aus Hamburg oder zuletzt auch Zeamarine mit Standorten in beiden Hansestädten. Sie sind verschwunden. Die Branche ist immer wieder von Umwälzungen geprägt. Das hat sie mit der Containerschifffahrt gemein. Wie auch so manch anderes. Aber das ist eine ganz andere Geschichte …

Michael Meyer