Der Verein Hanseatischer Transportversicherer (VHT) blickt auf 225 Jahre seit Gründung des Vorläufers, des Vereins Hamburger Assecuradeure, zurück. Die zentrale Schadenbearbeitung bleibt für ihn ein wichtiger Faktor im Wettbewerb mit anderen Seekaskomärkten.[ds_preview]

An hochseefähige Dampfschiffe war noch nicht zu denken, für die »moderne« Na[ds_preview]chrichtenübertragung gab es gerade erst regelmäßige Postverbindungen durch ganz Europa, und in Frankreich hatte der Aufstieg eines gewissen Napoleon Bonaparte begonnen. Wie die Welt zu der Zeit aussah, als lokale Seeversicherer den Verein Hamburger Assecuradeure (VHA) ins Leben riefen, kann man nur in Geschichtsbüchern nachwälzen. Dieses Jahr wird 225-jähriges Bestehen gefeiert.

Abstract: United over centuries

German hull & machinery claims handler VHT celebrates 225 years since the foundation of its precursor Verein Hamburger Assecuradeure (VHA). Launched as a platform for information exchange and harmonisation of interests, the insurance lobby group also set out to lay a foundation for classification and salvage. Since 1886 the focus has shifted to collective claims handling for its members in hull & machinery insurance.

Der Jubilar trägt inzwischen einen anderen Namen. Seit seinem Zusammenschluss mit dem zwei Jahrzehnte jüngeren Verein Bremer Seeversicherer (VBS) im Jahr 2000 nennt er sich Verein Hanseatischer Transportversicherer (VHT). Dem Stolz auf seine Hamburger Wurzeln tut das keinen Abbruch. Selbst in einer traditionsreichen Branche wie der Schifffahrt, mit der die Transportversicherer geradezu symbiotisch verbunden sind, gibt es kaum Firmen oder Institutionen in Deutschland, die auf eine vergleichbar lange Geschichte zurückblicken können.

Im Alleingang nahezu unmöglich

Die Idee, seine Kräfte zu bündeln und Interessen gemeinsam zu vertreten, reicht in der Seeversicherung sehr weit zurück, auf jeden Fall ins Mittelalter, teils sogar bis in die Antike. Man kann sagen, es liegt in der Natur der Sache. Im Alleingang wäre das Geschäft nahezu unmöglich. Da sind zum einen die gewaltigen Werte, die auf dem Spiel stehen, und zum anderen vielfältige Gefahren mit daraus resultierenden Schadenbildern, die an Komplexität kaum zu überbieten sind. Beherrschbar und wirtschaftlich wird das Geschäft dadurch, dass man Risiken und Kosten teilt.

Mit der Gründung des Vereins 1797 in Hamburg fand dies seinen organisatorischen Ausdruck in der bis dahin klarsten Form, zuvor hatte es nur lose Verabredungen zwischen Marktteilnehmern gegeben. Der Druck zum Handeln war zu diesem Zeitpunkt aufgrund der äußeren Umstände besonders hoch. Es war die Zeit der Kontinentalsperre, englische Kriegsschiffe blockierten die Seewege nach Frankreich und brachten immer wieder auch Hamburger Schiffe auf hoher See auf. Nicht selten wurden Waren beschlagnahmt. Die Zeichnung von Seeversicherungsrisiken wurde dadurch immer unkalkulierbarer.

»Mitteilung der da und dort erhaltenen Nachrichten, sowie die unterhaltende Beredung über Fälle, die auf den Gang des Geschäftes einwirken, oder durch Austausch der Meinungen darüber, denselben nützlich werden können.«

Eintrag aus dem Jahr 1808 über Sinn und Zweck des Vereins

Hinzu kommt, dass die Akteure damals keine so großen Sicherheitspolster hatten wie heute. Assecuradeure waren private Kaufleute, die mit ihrem eigenen Vermögen für Schäden hafteten. Erst später mit dem weiteren Anwachsen der Versicherungssummen und dem Einstieg binnenländischer Versicherungsgesellschaften entwickelten sie sich zu Bevollmächtigten anderer Risikoträger, die in fremdem Interesse handeln.

Sinn und Zweck des Vereins war anfangs in erster Linie der Informationsaustausch. In Eintragungen aus dem Jahr 1808 werden die Aufgaben umrissen: »Mitteilung der da und dort erhaltenen Nachrichten von Vorfällen und Ereignissen, die das Geschäft angehen« sowie die »unterhaltende freundschaftliche Beredung über manche vorkommende Fälle, die auf den Gang des Geschäftes einwirken, oder durch Austausch der Meinungen darüber, denselben nützlich werden können.«

In diesem Zusammenhang bildete auch die Vereinheitlichung der noch stark fragmentierten Versicherungsbedingungen ein wichtiges Betätigungsfeld. Den gemeinsamen Anstrengungen des VHA und der Hamburger Handelskammer war es zu verdanken, dass es ab 1867 die Allgemeinen Deutschen Seeversicherungsbedingungen gab, die auch heute in den weiterentwickelten Musterbedingungen für Seekasko (DTV-ADS 2009) nachwirken.

Pionierarbeit leistete der Verein gerade in der Anfangszeit in Marktbereichen, die für die Versicherer zwar relevant waren, aber streng genommen nicht in ihren Verantwortungsbereich gehörten. Es kümmerte sich ja niemand anders darum. So stand fast während der gesamten ersten 100 Jahre die Klassifikation von Schiffen im Vordergrund. Der VHA richtete ein erstes deutsches Register mit vier Kategorien nach englischem Vorbild ein, um die Risiken im Geschäft überschaubar zu machen, beschäftigte seinen eigenen Schiffsbesichtiger dafür. Erst mit der Bildung nationaler Klassifikationsgesellschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde dieses Arbeit überflüssig.

vht 175
Der VHT-Vorstand (v.l.): Robert Mahn, Tim de Bruyne-Ludwig, Arne
Linke, Hans-Christoph Enge. (Es fehlt: Justus Heinrich) (© VHT)

Parallel dazu unternahm der Verein eigene Anstrengungen im Bergungswesen, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht professionell organisiert war, sondern auf Hilfeleistung von anderen Schiffen, Fischern und Küstengemeinden basierte – nicht immer uneigennützig. 1857 wurde eine eigene Dampfschifffahrtsgesellschaft gegründet und ein eiserner Bugsierdampfer für 110.750 Bancomark bei der Reiherstieg Werft bestellt, der in der Elbmündung und auf der Elbe eingesetzt wurde. Das auf den Namen »Assecuradeur« getaufte Schiff tat bis 1873 seinen Dienst, wurde dann verkauft.

Der Feststellung und Bearbeitung von Kaskoschäden für seine Mitglieder, wie man es vom VHT heute gewöhnt ist, widmete sich der VHA erst im Laufe der Zeit. Aus frühen Aufzeichnungen geht hervor, dass bei Havarien die beteiligten Assecuradeure schriftlich geladen wurden, um darüber abzustimmen, ob Deputierte zur Regelung eines Schadens gewählt werden sollten. Richtungsweisend für die weitere Entwicklung bis heute war aber die Einrichtung eines eigenen Havarie-Büros mit hauptberuflichen Mitarbeitern im Jahr 1886. Es sollte sich fortan zentral um alle Havarien und Maßnahmen zur Feststellung und Bearbeitung von Schäden kümmern, ohne dass einzelne Mitglieder bei der Erledigung dazwischenfunken durften. Diese Bündelung von Ressourcen und Knowhow im Schadenbereich war eine Antwort auf die zwischenzeitlich noch gesteigerte Komplexität des Geschäfts. Mit dem Bau größerer moderner Eisenschiffe im 19. Jahrhundert waren die Risiken in noch höhere Sphären gewachsen. Gleiches galt für die Zahl der beteiligten Versicherer, weil sich aufgrund des erhöhten Kapazitätsbedarfs immer mehr Gesellschaften aus dem Binnenland dem boomenden Transportgeschäft verschrieben und ihre Agenten nach Hamburg schickten.

Andere viel größere Seekaskomärkte wie Skandinavien und Großbritannien haben sich längst vom Modell einer zentralen, kollektiv organisierten Schadenbearbeitung verabschiedet. Der deutsche Markt mit dem VHT als Nachfolger des VHA hält daran fest – aus gutem Grund, weil man bei den Kunden Vertrauen genieße, wie die Vereinsoberen betonen. »Der VHT zeichnet sich durch Unabhängigkeit und Neutralität aus. Er war nie Spielball einzelwirtschaftlicher Interessen, weil er eine Vielzahl von Mitgliedern vertritt«, unterstreicht Vorstand Hans Christoph Enge. Die neutrale Position des VHT sei in der Police festgeschrieben, »und man ist auf beiden Seiten akzeptiert.«

Treten an den von Mitgliedern versicherten Schiffen Schäden auf, »dienen« die betroffenen Reedereien diese dem VHT direkt oder über seine Havariekommissare im Ausland an. Der Verein schickt eigene Sachverständige und notfalls weitere Spezialisten für die Feststellung der Schäden in einem Besichtigungsbericht. Er hilft bei der Ausschreibung von Reparaturen bei den Werften, zertifiziert alle schadenrelevanten Kosten und stellt abschließend eine Schadentaxe zusammen. Diese bildet die Grundlage für die Reklamation des Schadens durch den Reeder bei seinem führenden Kaskoversicherer.

So geschieht es hundertfach, Jahr für Jahr. 454 Fälle waren es im Jahr 2021 für die insgesamt 26 VHT-Experten in Hamburg und Bremen. Ganz große Einschläge gibt es zum Glück nur selten. Aber wenn sie passieren, ist professionelles Notfall- und Schadenmanagement umso entscheidender. Zu den teuersten und dramatischsten Fällen zählen der Großbrand des Luxusdampfers »Europa« des Norddeutschen Lloyd 1929 in Kiel, die Explosion auf dem Containerschiff »Anders Maersk« 1976 bei Blohm + Voss in Hamburg mit 27 Toten und der Untergang der »München« 1978 mit zunächst 28 Vermissten.

Nach Zusammenschluss mit den Bremern zum VHT folgten in späteren Jahren Großschäden wie der Untergang des Kreuzfahrtschiffs »Pride of America« 2004 in Bremerhaven sowie die Strandungen der Containerschiffe »APL Panama« 2005 in Mexiko und der »MSC Napoli« 2007 im Ärmelkanal.

Auch wenn sich der Versicherungsmarkt für die Schifffahrt stark globalisiert hat, bildet die deutsche Flotte nach wie vor die Geschäftsbasis für den VHT und seine Mitglieder. Andersherum profitiert die deutsche Flotte von ihrem lokalen Versicherungsmarkt. Nur gemeinsam hätten Reeder und Versicherer den zweimaligen Wiederaufbau einer deutschen Flotte nach den Weltkriegen meistern können, zollte der Reeder und damalige Präses der Handelskammer Hamburg, Nikolaus W. Schües, dem VHA beim 200-jährigen Jubiläum im Jahr 1997 Anerkennung.

Einen rasanten Aufschwung, der fast an die Entwicklung in den Wiederaufbaujahren erinnert, erfuhr die Zahl der versicherten Objekte im vereinten VHT im Zuge des KG-Booms in der Schiffsfinanzierung nach der Jahrtausendwende. Jedes Jahr liefen Neubauten in großer Stückzahl für deutsche Eigner vom Stapel –in den frühen 2000er Jahren auch auf deutschen Werften, hauptsächlich aber in Fernost. Dann der tiefe Fall: Mit dem Platzen der Immobilienblase in den USA, dem Untergang von Lehman Brothers und der Finanz- und Wirtschaftskrise brach für die Schifffahrt ein düsteres Jahrzehnt an.

Aufgrund von Pleiten, Insolvenzen und Schiffsverkäufen schrumpfte der Objektbestand ab 2010 wieder zusammen. Erst in den letzten Jahren stabilisierten sich die Zahlen. Ende 2021 gab es 2.068 führend in Deutschland versicherte See- und Binnenschiffe, für deren Schadenbearbeitung der VHT verantwortlich zeichnet. Die Mitgliederzahl ist mit 66 Versicherungsgesellschaften und Assekuradeuren seit Jahren kaum verändert. Vom kleinen Familienbetrieb bis zum Weltkonzern à la Allianz Global Corporate & Specialty oder Ergo ist alles dabei. Daran wird deutlich: Größe ist keine Qualität an sich, noch mehr kommt es in der Schiffsversicherung auf Spezialisierung an. Heute nicht weniger als vor 225 Jahren.    (mph)