Als Managing Partner des Assekuradeurs Lampe & Schwartze und Mitglied verschiedenster Gremien hat Hans Christoph Enge über Jahrzehnte intensiv in der Kaskoversicherung gewirkt. Er war Vorsitzender des Vereins Hanseatischer Transportversicherer (VHT) und der AG Kasko im GDV. Jetzt ist er in den Ruhestand gegangen. Im Gespräch mit der HANSA wirft er einen Blick zurück und einen Blick voraus.
Nach vielen düsteren Jahren sieht die Marktlage für die Seekaskoversicherer endlich mal besser aus. Wie lang bleibt das wohl so?[ds_preview]
Enge: Wir haben jetzt sicher eine ganz gute Phase gehabt, in der die Preise angezogen und sich auch gut gehalten haben. Aber es war nicht das Paradies, der internationale Wettbewerb war immer intensiv. Nicht alles, was man quotiert hat, wurde angenommen. Zudem sind die jüngsten Zahlen aus dem deutschen Markt für 2021 trotz Durchhärtung nicht zum Jubeln.
Das ist kein Bonanza. Es bleibt abzuwarten, wie es im aktuellen Risiko- und Zinsumfeld weitergeht und ob die Risikokapazitäten so bleiben. Die Entwicklung an den Finanzmärkten könnte dagegen sprechen, weil Zinsen steigen und sich andere Investitionen wieder lohnen. Die verbesserten Underwriting-Ergebnisse sprechen wiederum dafür.
Warum profitiert der deutsche Markt nicht mehr von der Durchhärtung?
Enge: Der deutsche Markt hat profitiert, aber er hat eine kleinere Bezugsgröße. Das ist ein Problem. Er reagiert sensibler auf einzelne Großschäden, die in größeren Märkten anders aufgefangen werden. Das ist immer das Problem des deutschen Marktes gewesen. Auch wenn er gutes Underwriting macht, bleibt diese Sensibilität aufgrund der kleinen Größe.
Beim VHT schlugen im letzten Jahr einige Großschäden mächtig ins Kontor. Steht da nicht zu befürchten, dass sich wieder Kapazität verabschiedet?
Enge: Nein, das glaube ich nicht. Diejenigen die an Bord gekommen sind, bleiben erstmal dabei. Man muss schauen, wie sich die Jahre abwickeln, das zieht sich sehr lange hin. Positiv für uns: In den letzten Jahrzehnten haben wir immer eine Besserabwicklung hinbekommen. Auch das, was 2022 an Schadeneingangsquote steht, wird wohl in der Abwicklung viel besser sein.
Lloyd’s of London blüht im Marine-Geschäft wieder auf. Kann sich der deutsche Markt da eine Scheibe abschneiden?
Enge: Lloyds hat so viele tiefste Tiefen erlebt und sich immer wieder daraus befreit. Für mich ist das keine Überraschung. Es war klar, dass da Leute zurück in den Markt drängen in dem Moment, wo wieder Geld verdient wird. Ich glaube, der Londoner Markt bleibt wichtig als Lokomotive für den Welttransportversicherungsmarkt.
Mit seiner unternehmerischen Denkweise ist er ein gutes Beispiel dafür, wie man schnell reagieren kann, in diese oder jene Richtung. Wobei dies natürlich auf Kosten der Konstanz geht. Auch ist dort riesiges Knowhow konzentriert. Der deutsche Markt hat eine andere Schwerpunktausrichtung. Er ist individueller, mehr Boutique-Style und mit einem sehr direkten und hands-on Service aber ebenfalls international unterwegs.
Enge: Wir brauchen Führungsversicherer, egal woher
Was bedeutet das für den Assekuradeur als Zeichnungsagenten? Ohne deutsche Führungsversicherer ginge es wohl kaum?
Enge: Wir brauchen Führungsversicherer, egal woher. Entscheidend ist, dass es ein kontinuierliches Engagement gibt und die Gesellschaften nicht rein- und dann nach einem schlechten Jahr wieder rausgehen. Wir suchen Kontinuität, damit sich Investitionen lohnen. Wir beobachten bei uns selbst, dass wir heute ein größeres Spektrum von Gesellschaften vertreten, die auch kleinere Anteile übernehmen. Statt wenigen großen wie vor einigen Jahren.
Die Hanseatische Versicherungsbörse – ehemals Hamburger Versicherungsbörse – will den digitalen Risikohandel im Transportsegment vorantreiben. Ein guter Vorstoß?
Enge: Ich begrüße das sehr. Das bringt diese uralte Institution nach vorne. Allerdings sind noch viele Fragen im Detail zu lösen. Grundsätzlich ist ein gemeinsamer digitaler Marktplatz für ein von Syndizierung lebendes Geschäft super. Aber man muss es erst einmal zum Laufen bringen und die unterschiedlichen Akteure zusammenbringen. Bei einem geschlossenen Marktplatz wie Lloyd’s ist das einfacher.
Mit dem VHT verfügt der deutsche Markt noch über ein zentrales Claims Management. Ist das heute noch ein Vorteil?
Enge: Wir glauben ja. Ich halte es für eine moderne und sehr effiziente Arbeitsweise. Stellen Sie sich vor, wir müssten das, was der VHT tut, auf alle einzelnen Assekuradeure und Gesellschaften verteilen. Bekämen wir dann die gleiche Qualität? Wohl kaum. Man könnte es auf andere Schadendienstleister verteilen. Aber so viele gibt es davon auch nicht, die die entsprechenden Volumina übernehmen könnten.
Der VHT hat zudem eine Riesenerfahrung. Natürlich ist mir bewusst, dass Makler und Reeder sich manchmal einen anderen Claims Handler wünschen, der vielleicht nicht ganz so kritisch nachprüft und schneller einen Haken an die Kosten macht als der VHT. Aber Fakt ist, dass wir und auch der Kunde mit diesem Modell sehr günstig fahren. Die Schadenbearbeitungskosten sind im Vergleich zu anderen Märkten etwa in Skandinavien sehr niedrig.
In letzter Zeit kaufen Investoren verstärkt Assekuradeure. In Hamburg gab es diverse Transaktionen. Wohin geht die Reise?
Enge: Ich schätze, da wird sich in den nächsten Jahren noch mehr tun. Allein die Mitgliederliste des VHT umfasst so einige Assekuradeure, die angesichts der Konzentration in der Branche inzwischen sehr klein wirken. Der Sinn und Zweck eines Zusammenschlusses leuchtet schon ein, wenn er Größenvorteile und Diversifikation bietet. Dies ist aber nicht alles. Viel wichtiger ist, dass Philosophie und Zukunftsvisionen zusammenpassen.
Auf dieser Basis haben wir selbst den Zusammenschluss von Lampe & Schierenbeck und Buse & Schwartze 1998 vollzogen. Noch größer ist der Druck zur Konsolidierung im Maklermarkt. Der ist insbesondere im Kaskosegment doch sehr zersplittert.
In Ihre Zeit fiel auch die Neufassung der DTV-ADS 2009? Die Bedingungen wurden nur schleppend angenommen. Wie sieht’s aus Ihrer Sicht jetzt damit aus?
Enge: Tatsächlich haben wir inzwischen einen großen Teil der alten und neuen Seekaskoverträge auf DTV-ADS 2009 umgestellt. Das hat etwas gedauert, ist nun aber auf gutem Wege. Es wird nur nicht mehr viel darüber geredet. Es ist ein echter Fortschritt gegenüber dem doch sehr unübersichtlichen Klauselwerk vorher, bei dem immer verschiedene Versatzstücke aneinandergelegt wurden. Ich gebe aber zu, dass es ein langer Weg war mit einem suboptimalen Start.
Wir hatten damals das Problem, dass wir es nicht eng genug gemeinsam mit unseren Bezugsmärkten entwickeln konnten. Wir hielten das für kartellrechtlich problematisch, so war damals die juristische Einschätzung dazu. Das erzeugte dann schnell so eine Schwelle des Misstrauens auf Kundenseite.
Die ADS 1919 hatten seinerzeit den Riesenvorteil, dass alle Märkte, die in irgendeiner Form betroffen waren, mitgearbeitet haben: Außenwirtschaft, Schifffahrt usw.. Das war damals bahnbrechend. Wir waren aber 2009 aus den genannten Gründen nicht in der Lage, das so zu wiederholen. In den letzten Jahren haben wir es wieder anders gemacht, zum Beispiel bei den Bedingungen für Schiffbau- und Reparaturrisiken. Bei der Renovierung dieser Bedingungen haben wir die Makler und den VSM ganz eng miteinbezogen, auch weil die juristische Einschätzung inzwischen eine andere war. Das hat prima hingehauen.
Auf der Schadenseite bleibt für Sie wohl unvergessen der Untergang der »Pride of America« 2004 an der Pier in Bremerhaven. Ein Lowlight Ihrer Karriere?
Enge: Ganz im Gegenteil. Es hat den Markt zwar mächtig aufgewirbelt. Dafür habe ich sehr viel gelernt. Es ist ein tolles Beispiel dafür, wie man einen extrem komplexen Schaden auf zufriedenstellende Weise löst. Angefangen bei den technischen Ursachen: Warum ist das Schiff seinerzeit gesunken?
Dazu kam der Tatbestand der amerikanischen Flagge, weil es für den Trade zwischen San Francisco und Hawaii vorgesehen war, also unter dem Jones Act. Die Reparatur stellt unter solchen Umständen eine Riesenherausforderung dar. Da kamen Inspektoren aus den USA, um alle Schritte einzeln abzunehmen. Übrigens haben wir die „Pride“ einige Jahre später innerhalb einer Flotte wieder kaskoversichert. Der Versicherungsnehmer hat das damals sehr begrüßt.
Interview: Michael Hollmann