Obwohl die Zahl der Totalverluste auf ein 12-Jahres-Tief gesunken ist, warnt die Allianz vor neuen Risiken für die Schifffahrt.
Faktoren wie wachsende Brandrisiken, bestehende und neue Gefahren im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, Anforderungen an die Dekarbonisierung, allgemeine ökonomischen Unsicherheiten und steigende Schadenkosten verstärken sich teilweise gegenseitig. Das ist das Ergebnis der Safety and Shipping Review 2023 des Versicherers Allianz Global Corporate & Specialty SE (AGCS). [ds_preview]
Dass die Zahl der Schiffsverluste auf ein Zwölf-Jahres-Tief gesunken ist, spiegelt demnach den positiven Einfluss von Sicherheitsprogrammen, mehr Trainings, verbessertem Schiffdesign und strengerer Regulierung wider. Das sagt Justus Heinrich, Leiter der Schifffahrtsversicherung der AGCS in Zentral- und Osteuropa. »So erfreulich die Ergebnisse aber auch sind, es ziehen bereits die nächsten Stürme auf.«
Allianz warnt: Steigende Kosten, steigende Risiken
Die wachsende Schattenflotte aus Öltankern bereitet Reedern, Crews und Versicherern Sorgen, schreibt die Allianz in ihrem Report. Außerdem müsse die Branche die Themen der Brandverhütung und falschen Deklaration gefährlicher Güter in den Griff bekommen. Ansonsten werde sie nur eingeschränkt von den Effizienzgewinnen immer größerer Schiffe profitieren.
Hinzu kommt ein Faktor, der nicht nur der Schifffahrtsbranche zu schaffen macht: die Inflation. Sie treibe die Kosten von Kasko-, Maschinen oder Transportschäden. Die Dekarbonisierung ist ein weiterer Faktor in diesem Bündel an Herausforderungen. Die wachsenden ökonomischen Zwänge die Dekarbonisierung könnten, genau wie Initiativen für mehr Sicherheit, die Industrie zurückwerfen.
Die jährliche Allianz-Studie analysiert die gemeldeten Verluste und Unfälle für Schiffe mit mehr als 100 BRZ. Im Jahr 2022 wurden weltweit 38 Totalverluste gemeldet, im Jahr zuvor waren es noch 59. Dies entspricht einem Rückgang um 65% in zehn Jahren. Zum Vergleich: 2013 wurden noch 109 Totalverluste gemeldet, vor 30 Jahren sogar mehr als 200 pro Jahr.
Südostasien bleibt Hotspot
Südchina, Indochina und Indonesien bilden als maritime Region den weltweiten »Hotspot« für Verluste. In der Region ereignete sich 2022 einer von fünf Verlusten (10), in den vergangenen zehn Jahren insgesamt 204. Die Ursachen dafür liegen im intensiven Handel, stark beanspruchten Häfen, veralteten Flotten und Wetterextremen. Mit großem Abstand folgen der Persische Golf, die Britischen Inseln und das westliche Mittelmeer als Regionen mit insgesamt drei Totalverlusten.
Ungefähr ein Viertel der Verluste betraf Frachtschiffe (10), wobei die Hauptursache über alle Schiffstypen hinweg war, dass sie sanken – dies betraf über die Hälfte (20). Zweithäufigste Ursachen waren Feuer und Explosionen (8), es folgen Schiffskollisionen (4).
Während die Zahl der Schiffsverluste seit 2015 kontinuierlich sinkt, ist die Zahl der Schiffsunfälle auf konstant hohem Niveau. 3.032 waren es im Jahr 2022, 3.000 im Jahr davor. Fast die Hälfte der Vorfälle weltweit (1.478) war auf Maschinenschäden und Ausfälle zurückzuführen, auf Platz 2 folgen Kollisionen und danach Brände. Deren Zahl stieg auf ein Zehn-Jahres-Hoch: Erfasst wurden im vergangenen Jahr 209 Feuer – ein Anstieg um 17%.
Brände an Bord nehmen weiter zu
Verschiedene Faktoren tragen zum wachsenden Brandrisiko bei – sowohl auf See als auch an Land. Der allgemeine Trend zu mehr Nachhaltigkeit führt dazu, dass verstärkt Elektrofahrzeuge und batteriebetriebenen Güter transportiert werden. Eine weitere Gefahrenquelle ist der Transport potenziell hochentzündlicher Lithium-Ionen-Akkus, insbesondere auf Containerschiffen und Autotransportern. Dieser Markt wird Prognosen zufolge in den kommenden zehn Jahren jedes Jahr um 30% wachsen.
»Die meisten Schiffe verfügen weder über ausreichenden Schutz noch über ausreichende Frühwarn- oder Löschfähigkeiten, um solche Brände auf hoher See zu bekämpfen«, sagt Heinrich. Die Branche müsse sich daher auf vorbeugende Maßnahmen und Notfallpläne konzentrieren, um dieser Gefahr zu begegnen. Dazu gehört zum Beispiel ein adäquates Training der Crews, der Zugriff auf passendes Feuerlösch-Equipment oder auch die Verbesserung von Frühwarnsystemen. Vorteilhaft wären Spezialschiffe für den Transport solcher Güter.
Die meisten Schiffsverluste nach Feuer
Die Brandproblematik verschärft sich durch den Transport gefährlicher Güter auf immer größeren Schiffen. So haben sich die Containerkapazitäten in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Ein Ende ist nicht in Sicht: Die zehn größten Container-Reedereien haben mehr als 400 neue Schiffe bestellt, von denen die Mehrheit größer sein wird, als es die Vorgänger sind. Entsprechend ist die Auswirkung von Bränden potenziell verheerender und kann zu größeren Schäden führen. Brände sind bereits die häufigste Ursache für Totalverluste in allen Schiffskategorien und führten zum Verlust von 64 Schiffen in den vergangenen fünf Jahren.
Feuer ist auch die Ursache für die teuersten Schadenfälle. Das zeigt eine AGCS-Analyse von 250.000 Schadenfällen in der Schiffskasko- und Transportversicherung: Feuer verursachten 18% des Gesamtwertes aller analysierten Forderungen. Rund ein Viertel der ernsten Vorfälle an Bord von Containerschiffen ist auf falsch deklarierte Gefahrengüter zurückzuführen, also etwa Chemikalien, Akkus oder Kohle.
In Folge der verhängten Öl-Sanktionen haben Russland und seine Verbündeten eine Schattenflotte aus Tankern aufgebaut. Die Größe der Flotte ist unklar, Schätzungen gehen von bis zu 600 Schiffen aus. »Es ist anzunehmen, dass die Flotte aus älteren Schiffen besteht, auf denen niedrigere Standards gelten«, erklärt Heinrich. »Diese wachsende Flotte gefährde die Seeschifffahrt weltweit und auch die Umwelt. Ein erster Vorfall ist laut Allianz bereits dokumentiert: Im Mai 2023 explodierte der 1997 gebaute, nicht versicherte und unbeladene Tanker »Pablo« in Südostasien.
Dekarbonisierung bleibt größte Herausforderung
Der Wandel hin zu einer klimafreundlichen Schifffahrt bringt zahlreiche Veränderungen mit sich und könnte bis zu 4 Bill. $ kosten. In den kommenden fünf bis zehn Jahren ist der Einsatz einer breiten Palette von Treibstoffen zu erwarten, was Herausforderungen für Reeder, Betreiber und Häfen mit sich bringt. Bisher habe dies noch zu keinem Anstieg der Schadenfälle geführt, schreibt die Allianz in ihrem aktuellen Bericht.
Das könne sich allerdings ändern, wenn neuartige Antriebe und Treibstoffe im großen Maßstab zum Einsatz kommen. »Hier ist die Zusammenarbeit entscheidend: Informationen und Daten sollten zwischen Unternehmen und Versicherern ausgetauscht werden – von Tests bis zum Einsatz. Ein solches Vorgehen würde helfen, die Risiken dieser Übergangsphase zu senken«, so Anastasios Leonburg, Marine Risk Consultant bei AGCS. Sparmaßnahmen auf Kosten der Sicherheit können zu mehr Verlusten und einem Anstieg von Vorfällen, wie Maschinenschäden führen.