Die Ursache der schweren Havarie der »Dali« mit dem anschließenden Brückeneinsturz in Baltimore ist noch nicht endgültig geklärt. Das Containerschiff hatte gültige Klassifikationszertifikate.
Zwei Lotsen waren an Bord, als der 9.962-TEU-Frachter der Synergy Group, der in Charter der dänischen Linienreederei Maersk fuhr, am frühen Dienstagmorgen einen Pfeiler der Francis Scott Key Bridge rammte und die Brücke zum Einsatz brachte.[ds_preview]
Mehrere Autos und Menschen waren ins Wasser gestürzt. Die Suche nach Vermissten haben die Behörden nach 18 Stunden abgebrochen, um das Leben der Rettungskräfte im kalten Wasser an der Mündung des Patapsco River nicht zu gefährden. Beamte der Maryland State Police und der US-Küstenwache erklärten, dass aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse und der zunehmend tückischen Strömungen in der mit Wrackteilen übersäten Fahrrinne eine Fortsetzung der Suchmaßnahmen auf dem Fluss über Nacht zu riskant sei. Vermutlich sind sechs Menschen bei dem Unglück ums Leben gekommen, heißt es. Heute vormittag (Ortszeit) sollen Taucher erneut ins Wasser steigen, um die Suche fortzusetzen.
»Wir glauben nicht, dass wir eine dieser Personen lebend finden werden“, sagte Shannon Gilreath von der Küstenwache. Zuvor waren einige Arbeiter lebend aus dem Wasser gerettet worden. Nach Angaben des mexikanischen Konsulats in Washington handelt es sich bei den sechs vermutlich ums Leben gekommenen Arbeitern um Personen aus Mexiko, Guatemala und El Salvador.
»Dali« mit Lotsen an Bord
Offiziell hieß es, alle acht gehörten zu einer Arbeitsgruppe, die Schlaglöcher auf der Fahrbahn der Key Bridge reparierte, als das unter der Flagge Singapurs fahrende Containerschiff »Dali«, das Baltimore in Richtung Sri Lanka verließ, gegen 1:30 Uhr (0530 GMT) in einen Stützpfeiler der Brücke raste. Ein aufgeständerter Abschnitt der 2,6 km langen Brücke stürzte fast sofort ein. Unter den 22 Besatzungsmitgliedern gab es keine Verletzten.
Kurz nach der Havarie hatte die Reederei Synergy bestätigt, dass der Frachter kurz vor der Kollision einen Ausfall der Bordelektrik und einen Antriebsverlust gemeldet und den Anker geworfen hatte, um das Schiff abzubremsen. Diese Maßnahme habe wahrscheinlich eine höhere Zahl von Todesopfern verhindert, so die Behörden.
Trotz des relativ schnellen Einsturzes soll der Zustand der Brücke in Ordnung gewesen sein. Der Gouverneur von Maryland, Wes Moore, sagte, die Brücke entspreche den Vorschriften und es seien keine strukturellen Probleme bekannt.
»Dali« hatte gültige Klassezertifikate
Auch zum Zustand des Schiffes gibt es Diskussionen. Die zuständige Flaggenbehörde Singapur meldete heute, die seit Oktober 2016 unter der Flagge von Singapur fahrende »Dali« ist von ClassNK in Japan klassifiziert. Anhand von entsprechenden Aufzeichnungen könne man bestätigen, dass die erforderlichen Zertifikate der Klassifikationsgesellschaft und die gesetzlich vorgeschriebenen Zertifikate, die die strukturelle Integrität des Schiffes und die Funktionalität der Schiffsausrüstung abdecken, zum Zeitpunkt des Vorfalls gültig waren.
Die »Dali« war demnach außerdem im Juni und September 2023 zwei getrennten Inspektionen durch ausländische Hafenstaaten unterzogen worden und hat diese bestanden. Bei der Inspektion im Juni 2023 wurde ein fehlerhaftes Überwachungsinstrument für den Kraftstoffdruck behoben, bevor das Schiff den Hafen verließ. Die nächste Klassifizierung und die gesetzlich vorgeschriebenen Besichtigungen der Dali sind im Juni 2024 fällig.
Es gibt aber auch kritischere Stimmen. So berichtet die Nachrichtenagentur reuters mit Verweis auf das Online-Portal Equasis, dass bei einer 2023 in Chile durchgeführten Inspektion Mängel an Antrieb und Hilfsmaschinen festgestellt wurden.
Der Hafen wurde bis auf Weiteres für die Schifffahrt gesperrt. US-Verkehrsminister Pete Buttigieg sagte, die Schließung des Hafens werde »erhebliche und langwierige Auswirkungen auf die Lieferketten« haben. Im Hafen von Baltimore werden mehr Autos umgeschlagen als in jedem anderen US-Hafen – nach Angaben des Hafens mehr als 750.000 Fahrzeuge im Jahr 2022 – sowie Container und Massengüter von Zucker bis Kohle.
»Baltimore ist zwar nicht einer der größten Häfen an der US-Ostküste, importiert und exportiert aber jedes Jahr mehr als eine Million Container, so dass es zu erheblichen Störungen der Lieferketten kommen kann«, meint auch Emily Stausboll vom Branchendienst Xeneta. »Die Seefrachtdienste zwischen dem Fernen Osten und der US-Ostküste wurden bereits durch die Dürre im Panamakanal und den jüngsten Konflikt im Roten Meer beeinträchtigt, der zu einem Anstieg der Raten um 150 % führte, so dass dieser jüngste Vorfall diese Bedenken noch verstärken wird.«
Es sei wahrscheinlich, dass andere größere Häfen an der US-Ostküste wie die Nachbarhäfen New York/New Jersey und Virginia zusätzliche Containerimporte abwickeln können, wenn Baltimore nicht erreichbar ist, was die Auswirkungen auf die Seefrachtraten begrenzen könnte. »Allerdings steht nur eine begrenzte Hafenkapazität zur Verfügung, so dass die Versorgungsketten anfällig für weiteren Druck sind. Die Frage ist, wie schnell die Seefrachtunternehmen Umleitungen einrichten können, insbesondere für Schiffe, die bereits auf dem Weg nach Baltimore sind, oder für Container, die im Hafen auf ihre Ausfuhr warten«, so die Analystin.
In der Vergangenheit hatte es immer mal wieder schwere Havarien gegeben, bei denen Schiffe Brückenpfeiler rammten. Im Gedächtnis der maritimen Branche ist dabei unter anderem der Fall der »Cosco Busan« aus dem Jahr 2007. Der Frachter war im Nebel gegen einen Turm der »Bay Bridge« in San Francisco gefahren. Der Rumpf riss auf und es kam zu einem größeren Bunkeröl-Austritt. Der Fall beschäftigte einige Zeit lang die Justiz. Der in Hongkong ansässige Eigner Fleet Management wurde zu einer Zahlung von 12 Mio. $ verurteilt. Auch der Lotse an Bord wurde verurteilt.