Mehr als acht von zehn deutschen Reedereien gehen nach einer neuen Studie davon aus, dass Handelskriege, Embargos sowie kriegerische Auseinandersetzungen die Schifffahrt maßgeblich beeinträchtigen werden und es zu einer Verschiebung von Einflusssphären kommen wird.
Das ist eines der zentralen Ergebnisse der aktuellen Reederstudie 2024 der Wirtschaftsberatungsgesellschaft PwC, die jetzt veröffentlicht wurde.[ds_preview]
Demnach gehören zu den Themen, die Sorgen bereiten, unter anderem der Terrorismus am Roten Meer, geopolitische Spannungen im Südchinesischen Meer, die Dürre im Panamakanal oder Piraterie am Horn von Afrika. „Die Gefahren entlang der weltweiten Hauptseerouten nehmen zu. Mehr als acht von zehn deutschen Reedereien gehen davon aus, dass Handelskriege, Embargos sowie kriegerische Auseinandersetzungen die Schifffahrt maßgeblich beeinträchtigen werden und es zu einer Verschiebung von Einflusssphären kommen wird. In der Folge dürften sich lange Umwege ergeben, die zu längeren Transportwegen und -zeiten in der Seeschifffahrt führen – und damit auch Kosten und Emissionen nach oben treiben“, heißt es in der aktuellen Ausgabe der jährlich erstellten Studie.
Es ist die mittlerweile 16. Umfrage unter deutschen Reedereien, die von Pwc im Frühsommer 124 unter Entscheidern aus deutschen Hochseereedereien durchgeführt wurde.
„Ein Großteil der auf den Weltmeeren transportierten Güter wird über wenige Hauptseerouten befördert. Ernsthafte Störungen an neuralgischen Stellen, wie dem Suezkanal oder dem Panamakanal, beeinträchtigen den Welthandel erheblich”, kommentierte André Wortmann, Leiter des Maritimen Kompetenzzentrums bei PwC Deutschland. „Auch hier macht sich der Klimawandel bemerkbar: So kann der Panamakanal aufgrund anhaltender Dürre nur noch eingeschränkt befahren werden. Aber auch die aktuellen geopolitischen Konflikte beeinträchtigen die Seeschifffahrt in vielen Regionen.”
Reedereien: Suezkanal als wichtigstes Nadelöhr
Nach Einschätzung der Reedereien ist der Suezkanal – noch vor dem Panamakanal – das Nadelöhr, das bei nachhaltigen Störungen den Welthandel am stärksten aus dem Takt bringt. 86% der Befragten gehen von starken Beeinträchtigungen aus, wenn es im Roten Meer zu Problemen kommt.
„Und das ist leider kein theoretisches Szenario: Seit November 2023 häufen sich die Angriffe der Huthi-Miliz aus dem Jemen auf zivile Handelsschiffe im Roten Meer. Seither ist die Fahrt durch den Suezkanal, der den Seeweg zwischen Asien und Europa um 3.500 Seemeilen verkürzt, keine sichere Route mehr”, so Burkhard Sommer, stellvertretender Leiter des Maritimen Kompetenzzentrums bei PwC Deutschland.
Auf einer Skala von 1 bis 10 schätzen die befragten Reedereien die aktuelle Gefährdungslage im Roten Meer mit 7,6 Punkten ein. „Viele Reedereien haben sich entschieden, diese Risiken zu umschiffen. Sie nehmen stattdessen die Route über das Kap der guten Hoffnung, obwohl dies einen großen Umweg und damit deutlich verlängerte Fahrtzeiten bedeutet. Umwege erhöhen zudem die Umweltbelastung und das Risiko durch Wettereinflüsse”, erklärte Sommer.
Die Situation im Roten Meer und vor Ostafrika treibt nicht nur Reedern Sorgenfalten auf die Stirn. Auch die deutsche Vertretung der Internationalen Handelskammer ICC, zu der das International Maritime Bureau (IMB) als der „Piraterie-Watchdog“ gehört, fürchtet eine weitere Verschärfung der Lage. ICC-Germany-Chef Oliver Wieck berichtet in der aktuellen Episode des HANSA PODCASTs ausführlich über die komplexer gewordene Gemengelage, mehr Gewalt gegen Seeleute, den Bedarf für mehr internationale Zusammenarbeit auf See und an Land und Wechselwirkungen zwischen den jemenitischen Huthi-Rebellen und somalischen Piraten.
Jetzt hier reinhören:
Auswirkung von US-Präsidentschaftswahlen
Bisher kümmerten sich die USA intensiv um die Sicherheit der Weltmeere. Das könnte sich nach Meinung der befragten Reedereien je nach Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen ändern. 81% der Befragten, die eine Niederlage Donald Trumps bei den US-Wahlen für wahrscheinlich halten, gehen von einer unverminderten militärischen Präsenz der USA im Roten Meer aus. Von denen, die einen Trump-Sieg erwarten, geht mehr als die Hälfte zumindest von einer teilweisen bis hin zur vollständigen Einstellung des Engagements der USA im Roten Meer aus.
Sorgenvoll blicken die befragten Reedereien zudem auf die Folgen für die deutsche Schifffahrtsindustrie im Falle einer erneuten Amtszeit von Donald Trump: 8 von 10 Befragten erwarten eher negative Auswirkungen– nahezu unabhängig von der Einschätzung, ob man einen Trump-Sieg erwartet oder nicht. Beispiele negativer Folgen sind reduzierte Transportvolumina durch Handelshemmnisse, Protektionismus, Einfuhrbeschränkungen und Importzölle sowie eine höhere weltpolitische Grundspannung.
Auslastung hoch, Ratenniveau stabil
Trotz aller Risiken und Gefahren blickt der Großteil der deutschen Reedereien zuversichtlich in die Zukunft: Drei Viertel der Befragten erwarten, dass das weltweite Ladungsaufkommen in den nächsten fünf Jahren steigen wird. Auch die Auslastung der Schiffe ist nach wie vor hoch: 86% der Reedereien sind nach eigenen Angaben voll ausgelastet. „Das hängt aber auch damit zusammen, dass viele Reedereien Umwege in Kauf nehmen, um die risikobehafteten Nadelöhre im Suezkanal und im Panamakanal zu umfahren – das bindet Kapazitäten”, gibt André Wortmann zu bedenken.
80% der befragten Führungskräfte rechnen für die kommenden zwölf Monate mit steigenden oder zumindest stabilen Charter- und Frachtraten. Ebenfalls acht von zehn Führungskräften sind allerdings der Meinung, dass die Frachtschifffahrt längst Überkapazitäten und Druck auf die Raten spüren würde, wenn im Roten Meer alles störungsfrei liefe.
Die positive Erlös- und Auslastungssituation wollen zahlreiche Reedereien für Schiffskäufe und Schiffsneubestellungen nutzen: 74% der befragten Unternehmen planen, in den kommenden zwölf Monaten neue Schiffe zu bestellen oder gebrauchte Schiffe zu kaufen. Im vorjahr lag der Wert bei 80%. „Dieses Niveau signalisiert die nachhaltige Zuversicht bei den Reedereien”, sagt Wortmann.
Lieferkettengesetz: Reedereien sind vorbereitet
76% der befragten Reedereien geben an, dass die Anforderungen an die Unternehmensberichterstattung aus dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz deutlich steigen (2022: 58%). Aber nur 35% sehen die eigenen Geschäftsprozesse durch das Gesetz vor große Herausforderungen gestellt. Die Mehrheit der deutschen Reedereien sieht sich gut gerüstet für die Umsetzung des Lieferkettengesetzes.
Skepsis bei EU-Klimazielen
Skeptisch zeigt sich die Branche jedoch, wenn es um die Erfüllung der EU-Klimaziele geht. Bereits im September 2020 hat die EU-Kommission ehrgeizige Ziele zur CO2-Reduktion formuliert: Die Emissionen sollen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um mehr als 55% verringert werden. Aus Sicht der Befragten ist dieses Ziel nicht realistisch: Aktuell sind 78% der Entscheider in den Schifffahrtsunternehmen der Meinung, dass sich dieses Ziel bis 2030 nicht wird umsetzen lassen.
Die Reedereien waren in den vergangenen beiden Jahren aber keineswegs untätig: Der Anteil der Schifffahrtsunternehmen, die bereits verbindliche Maßnahmen zur Emissionsreduktion umgesetzt haben, hat sich von 33% im Jahr 2021 auf aktuell 75% mehr als verdoppelt. Umweltauflagen und Klimavorgaben bleiben demnach trotz Skepsis an der Erreichbarkeit der Ziele eine strategische Top-Herausforderung für die deutschen Reedereien. Zudem kommen weitere Anforderungen hinzu, wie beispielsweise die Aufnahme der Schifffahrt am Emission Trading System (ETS) der EU.
Anspannung durch Fachkräftemangel
Neben den geopolitischen Konflikten und dem Klimaschutz ist der Fachkräftemangel ein weiteres Thema, das die Branche umtreibt. Seit 2021, als die Nachholeffekte aus der Corona-Pandemie die Erlössituation der Reedereien schlagartig verbesserten, stehen Neueinstellungen bei vielen Unternehmen auf der Tagesordnung.
Und dieser Trend hält an: 70% der befragten Reedereien wollen in den kommenden zwölf Monaten voraussichtlich neue Mitarbeitende einstellen (Vorjahr: 76%). Ob ihnen dies wie geplant gelingt, ist aufgrund des Fachkräftemangels allerdings fraglich. Nur 46% der befragten Reedereien gehen davon aus, dass sie ihren Personalbedarf in den nächsten zwei bis drei Jahren vollständig decken können. Im Umkehrschluss rechnet mehr als die Hälfte für die nahe Zukunft mit Lücken in der Personalausstattung.