Der deutsche Schiffbau-Verband VSM sieht in den aktuellen Entwicklungen – auch auf EU-Ebene – einige Chancen für die hiesigen Werften und ihre Partner – warnt aber gleichzeitig vor einer wachsenden Abhängigkeit von China und globalen Verwerfungen.
„An den weltweit steigenden Auftragsvolumina und verstärkt getätigten Neubauinvestitionen partizipiert auch die europäische Schiffbauindustrie in signifikantem Umfang. Diese positiv stimmende Botschaft darf aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass China – in der Umsetzung staatlich definierter Ziele – den Markt immer stärker dominiert“, schreibt der Verband VSM um Geschäftsführer Reinhard Lüken in seinem aktuell veröffentlichten Rückblick auf 2024 und Ausblick auf 2025.[ds_preview]
Ungeachtet einer schwächelnden Weltwirtschaft und wachsender geopolitischer Spannungen verzeichnet der globale Schiffbau weiterhin eine starke Nachfrage und eine hohe Auslastung. Die gesunde Ertragslage in den meisten Schifffahrtmärkten befeuert Neubauinvestitionen in Rekordhöhe und lässt das Auftragsvolumen weltweit weiter steigen.
Auch im Kreuzfahrtsektor laufen die Geschäfte wieder sehr erfolgreich. Die Buchungsdaten haben die Vor-Corona-Rekordwerte inzwischen übertroffen. Viele Reedereien sind zurzeit dabei, ihre Flotten durch State-of-Art Schiffe weiter in Richtung Nachhaltigkeit auszubauen. „Davon profitiert vor allem die europäische Industrie. Werften und Zulieferer haben sich durch ihre Innovationskraft immer wieder als ideale Partner erwiesen, um die sagenhafte Kreativität der Architekten mit Leben zu füllen“, schreibt der VSM.
Verwiesen wird auf eine aktuelle Studie des Kreuzfahrtverbands CLIA Europe: 97% der Kreuzfahrtflotte wurden und werden demnach in Europa gebaut. Aktuell umfasst das europäische Auftragsbuch in diesem Segment 57 Mrd. $.
Beigeschmack bei Meyer-Werft-Rettung
Einzelne Projekte in Asien seien dagegen „von beschränktem Erfolg“ gewesen, sodass in Japan und Korea seitens der Werften derzeit wenig Interesse an diesem Marktsegment besteht. Allerdings rüstet auch China in diesem Segment auf und hat einige Aufträge – zum Teil durch Kooperationen mit europäischen Akteuren – an Land gezogen. Seitens des VSM wird aber eine Einschränkung betont: „Aufgrund der inzwischen als erheblich bewerteten Systemrisiken in China wird auch diese Option zurzeit von den Marktführern nicht verfolgt.“
Eine der für die deutsche Schiffbau-Industrie wichtigsten Entwicklungen in 2024 war zweifelsohne die staatliche Intervention – sprich der Einstieg von Bund und Land Niedersachsen – bei der Papenburger Meyer Werft: Sie sei zweifellos sinnvoll gewesen, schreibt der VSM: „Die gefundene Lösung war zeitkritisch und darum ab einem gewissen Zeitpunkt ohne zielführende Alternative. Gleichwohl bleibt ein bitterer Beigeschmack, denn wie so oft in solchen Fällen verdienen vor allem Banken und Berater mit hohen Kosten für die so „Gerettete“. Immerhin, für den Steuerzahler sollte sich die Intervention lohnen. Der Staat hat eine der produktivsten Werften Europas zu einem Schnäppchenpreis erworben.“
Wachsende Abhängigkeit Europas
Dennoch sei diese Zukunftssicherung wichtig und richtig gewesem. „Denn so erfreulich die Marktentwicklung auch sein mag, sie darf nicht den Blick auf die tieferliegenden strukturellen Herausforderungen verstellen“, heißt es weiter. Mit Ausnahme der High-End-Schiffstypen wird die globale Schiffbauindustrie zunehmend von China dominiert, das seine Marktstellung mit umfänglicher staatlicher Unterstützung kontinuierlich ausbaut.
Bis Ende Oktober gingen laut dem Branchendienst Clarksons Research mehr als drei Viertel aller Schiffbauaufträge nach China. Nach Annahme des VSM verfolgen viele westliche Reedereien diese Entwicklung „durchaus mit einem unguten Gefühl“, da sie sich der geostrategischen Risiken bewusst seien. „Auch deutsche Reeder haben jedoch aus kaufmännischen Gründen kaum eine andere Wahl als sich auf die extrem attraktive Preisgestaltung chinesischer Werften einzulassen, die zudem oft durch attraktive Konditionen staatlich kontrollierter chinesischer Finanzdienstleister begleitet werden.“
Dabei berichten den Angaben zufolge gerade mittelständiger Reedereien vermehrt, dass chinesische Werften mit prall gefüllten Auftragsbüchern immer weniger Bereitschaft zeigen, auf die Wünsche der Besteller z.B. hinsichtlich der Makers-List einzugehen. So heißt es oft „friss oder stirb“, an Stelle von „das beste Schiff für die spezifischen Anforderungen“.
Trotz der hohen Nachfrage zeigt der Clarksons-Preisindex, dass Schiffe heute im Durchschnitt in immer noch billiger angeboten werden als dem absoluten Preisniveau von 2008 – bevor also infolge der Lehmann-Krise auch in der Schifffahrt und damit auch im Schiffbau eine große Blase platzte. „16 Jahre Inflation, d.h. in China v.a. hohe Lohnkostensteigerungen scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben. Zudem enthalten Schiffe heute oft deutlich teurere Umwelttechnik, um vielfältig verschärfte regulatorischer Anforderungen zu erfüllen. Die Chinesen unterbieten sich gegenseitig und so erleben wir, dass trotz eines sagenhaften Booms, kein Geld verdient wird. Und das ist ein Phänomen, dass in China in zahlreichen Branchen zu beobachten ist“, so die deutschen Industrie-Vertreter.
Nachdem sich Europa Jahrzehnte für einen regelbasierten weltweiten Freihandel eingesetzt hat, fällt ein Kurswechsel sichtlich schwer. „Während wir uns mit intensiven Diskussionen um das rechte Maß von De-risking bis De-coupling aufhalten, findet letzteres längst anderenorts statt, nicht nur in Washington, sondern vor allem in Peking selbst. China befreit sich bereits seit 20 Jahren von westlichen Anhängigkeiten. Und in den USA dürfte insbesondere ab dem 20. Januar ein De-coupling Prozess von bisher ungekannter Konsequenz beginnen“, heißt es nicht zuletzt mit Blick auf den Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Donald Trump.
Chinesische Exporte, die aufgrund neuer Zölle in den USA nicht mehr abgesetzt werden, könnten dann noch stärker nach Europa drängen. Gleichzeitig wird der amerikanische Druck, es ihnen gleich zu tun, steigen. „Hat Europa darauf eine Antwort? Bisher jedenfalls wird weiter unbekümmert in China investiert, ungeachtet der Berichte über die nächste Eskalation im Südchinesischen Meer, über das nächste zerstörte Seekabel in der Ostsee oder über chinesische-russische Rüstungskooperationen. In das Gesamtbild passen dann übrigens auch die Angriffe der Huthi auf westliche Schiffe. Chinesische oder russische Schiffe sind davon nicht betroffen.“
Positiv wird eine politische Entwicklung in Brüssel bewertet, die Zusammensetzung der neuen Europäischen Kommission: Sie sende „deutliche Signale einer konsequenteren und selbstbewussteren Union“. Erstmals wird eine Generaldirektion Verteidigung eingerichtet. Die Außenbeauftragte der Union, Kaja Kallas hat in ihrer Anhörung den 2019 entworfenen Dreiklang zu China als Partner, Wettbewerber und Rivale nicht mehr verwendet, sondern die Herausforderungen und eine konsequente Reaktion darauf betont. Und das Ressort von Kommissar Šefčovič heißt nun nicht mehr Handel, sondern Handel und wirtschaftliche Sicherheit.
Kein Wandel in Berlin?
Eine ähnliche Kursanpassung ist nach Ansicht des VSM für Deutschland noch nicht zu konstatieren. Die China-Strategie der Bundesregierung vom Juli 2023 verharre bei dem Dreiklang der EU von 2019, trotz der alarmierenden zwischenzeitlichen Entwicklungen. „So ist auch dieses Dokument symptomatisch für den Schlingerkurs der Ampelregierung, die eine Zeitwende proklamiert, aber nur in Ansätzen umsetzt. Der Verweis auf die Fülle der Versäumnisse aus den Vorjahren ist zweifellos zulässig, aber genügt nicht als Erklärung für fehlende Konsequenz im eigenen Handeln.“
Wichtig sei, trotz Wahlkampf und der dann nötigen Aufstellung einer neuen Koalition möglichst schnell zur vollen Handlungsfähigkeit zurückzukehren; „denn die kommenden Monate werden es in sich haben!“ Schon jetzt scheint der anstehende Regierungswechsel in den USA Auswirkungen auf Konflikte und Krisen in vielen Teilen der Welt zu haben, „und ausgerechnet jetzt zeigen sich die beiden wichtigsten Volkswirtschaften der EU, Deutschland und Frankreich, politisch instabil.“
Umso wichtiger sei, dass die Kommission jetzt schnell „in die Gänge kommt“. Dazu gehöre auch ein Kernprojekt der europäischen Schiffbauindustrie: In zwei Jahren intensiven Bemühens ist es gelungen, eine neue maritime Industriestrategie in das Aufgabenheft der Kommission zu schreiben. Die starke Unterstützung der Bundesregierung für einen entsprechenden Beschluss im Ministerrat war dabei mitentscheidend.
Während die Schifffahrt im zurückliegenden Jahrzehnt Gegenstand vielfältiger EU-Initiativen und Formate war, wie z.B. das langjährig etablierte „European Sustainable Shipping Forum“, fehlte seitens der Kommission an einer klar erkennbaren komplementären Strategie, wie die herstellende maritime Industrie in Europa gestärkt werden kann. Diese soll nun im kommenden Jahr vorgelegt werden, was angesichts der geopolitischen Ausgangslage „wohl als überfällig bezeichnet“ werden könne. „Wie sonst wollen wir eine angemessene Ausstattung unser Seeschreitkräfte und Sicherheitsbehörden organisieren; wie den geplanten, ambitionierten Ausbau der Offshore erneuerbaren Energieerzeugung gestalten; wie eine moderne, klimaneutrale wasserseitige Verkehrsinfrastruktur für Europa sicherstellen – wie all dies ohne noch größere Abhängigkeiten von Systemrivalen gewährleisten? Die Antwort kann nur eine leistungsfähige maritime Industrie sein, die wieder wächst und ihre Produktionsbasis auf eine breite Basis stellt.“
Gerade im Marineschiffbau dränge die Zeit. Vor allem in den USA ist man sich des Risikos einer fehlenden industriellen Basis mittlerweile sehr bewusst, „die Geschwindigkeit mit der China die ehemals haushoch überlegenen US Navy eingeholt hat, ist atemberaubend.“
China hat seine Schiffbauindustrie seit 2005 den Angaben zufolge alle zwei Jahre um die Produktionskapazität der gesamten EU erweitert. Dabei sei die Schiffbauindustrie in Europa im Vergleich zu den USA technologisch exzellent aufgestellt. Dabei hilft insbesondere, dass es hier noch eine signifikante Ziele Branche gibt. Nur Zusammen gibt es ein Ökosystem das hohe Effizienz und Innovationskraft hervorbringt. In den USA müsse die USA Navy das gesamte Ökosystem quasi alleine füttern.
„Deshalb wollen wir für Deutschland beide Seiten stärken und durch eine leistungsfähige meerestechnische Industrie ergänzen“, schreibt der VSM und verweist auf ein 10-Punkte-Programm, dass erarbeitet wurde. In den kommenden Monaten soll daran gearbeitet werden, eine möglichst breite Unterstützung für unser Vorschläge zu erreichen, damit eine neue Bundesregierung diese nach der Konstituierung möglichst zügig auch auf europäischer Ebene aktiv vorantreiben kann.
„Denn in all diesen Umbrüchen und aktuellen Krisen liegen auch viele Chancen für die deutsche Schiffbau- und Meerestechnikindustrie. Gerade in einer Zeit, in der die Zukunft anderer Branchen in Frage gestellt wird, können wir auf einen enormen Bedarf und damit auf Wachstumspotential verweisen.“ Richtig sei, dass eine erfolgreiche Zukunft der Branche stark von wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen abhänge. „Richtig ist aber auch, dass die strategische Bedeutung der maritimen Industrie selten so deutlich war wie heute.“