Volles Haus, viele Themen: Der Parlamentarische Abend des VSM in der Berliner Landesvertretung von Schleswig-Holstein hat zahlreiche Vertreter der maritimen Branche zusammengeführt.
Rund 400 Gäste sind der Einladung des Verbands für Schiffbau und Meerestechnik in die Hauptstadt gefolgt. Vielfältig wie die Gäste waren auch die Themen. Die Branche befindet sich in einer Transformation, und zwar in einem sich dynamisch verändernden Umfeld. Der starke Einfluss aus Asien, vor allem aus China, hat die maritime Industrie in Deutschland und Europa in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Die gegenwärtige politische Lage schafft zusätzlich Unsicherheiten. Politisches Handeln, insbesondere auf europäischer Ebene, ist hier gefordert.[ds_preview]
Bevor der Blick auf Europa und die Welt gerichtet wurde, fasste VSM-Präsident Harald Fassmer die wichtigsten Ereignisse des vergangenen Jahres zusammen und gab einen Überblick über die aktuelle Lage im deutschen Schiffbau.
Neubestellungen auf Rekordniveau
„Ein turbulentes Jahr liegt hinter uns, geprägt von Herausforderungen, aber auch von erfreulichen Entwicklungen“, bilanzierte Harald Fassmer. Es sei ein arbeitsreiches Jahr für die maritime Wirtschaft gewesen, die sich weiterhin in einer stabilen Konjunktur bewegt. Die Zahl der Neubestellungen habe in fast allen Schiffssegmenten auf Rekordniveau gelegen. „Aber mit einem chinesischen Marktanteil von sagenhaften 70 %“, bemerkte der VSM-Präsident.
Positive Nachrichten, die die Branche aus dem letzten Jahr mitnehmen kann, sind die Beschlüsse des Deutschen Bundestages kurz vor Weihnachten. So wurde endlich grünes Licht für den Neubau des Forschungsschiffes „Polarstern II“, den Bau von vier U-Booten sowie für die Finanzierung grundlegender Designstudien für die neue F 127 gegeben. „Diese Entscheidungen wurden fraktionsübergreifend unterstützt. Ein ermutigendes Signal: Trotz aller Turbulenzen sind wir handlungsfähig und verantwortungsbewusst geblieben. Einen herzlichen Dank an alle Abgeordneten“, sagte Fassmer.
Keinen weiteren Verlust der Schiffbaukapazitäten
Eine weitere gute Nachricht, auch wenn sie sich zunächst nicht so anhört, sei die Insolvenz der Werften FSG und Nobiskrug gewesen, sagte Fassmer in seiner Rede. Über die Geschäftsgebaren des Gesellschafters habe es in der Branche schon lange nur noch Kopfschütteln gegeben. Jetzt ist der Weg frei für einen Neuanfang.
„Natürlich bleiben hier viele Fragen, auch hinsichtlich des Umgangs im Insolvenzverfahren mit Lieferanten und Dienstleistern, die ihre Leistungen für die Unternehmen erbracht haben“, so Fassmer und deutete damit die Probleme an, die einige ehemalige Geschäftspartner der Werften mit dem Insolvenzverwalter aktuell haben. „Wir sind zuversichtlich, dass sich neue Investoren finden lassen, denn Deutschland kann es sich nicht leisten, auf weitere Schiffbaukapazitäten zu verzichten“, führte er fort.
Drama in Papenburg
„Und dann war da noch das Drama in Papenburg“, so Fassmer und blickte auf die Turbulenzen bei der Meyer Werft im vergangenen Jahr. „Die Meyer Werft ist eine der größten Erfolgsgeschichten des deutschen Schiffbaus.“ Dieser Standort habe trotz voller Auftragsbücher und Rekordnachfrage am Markt plötzlich am Abgrund gestanden.
Es sei vieles darüber geschrieben und kommentiert worden. In der Branche wisse aber jeder, was Bernard Meyer und seine Familie geleistet haben – für das Unternehmen, für die Mitarbeitenden, für Papenburg, für den deutschen Schiffbau, für das ganze Land.
„Wer Bernard Meyer persönlich kennt, der weiß, wie aufopferungsvoll er sich sein Leben lang für das Unternehmen und für unsere Branche eingesetzt hat und dafür auch mehrfach ausgezeichnet wurde. In Finnland zeigt die Familie, dass unter ihrer Regie großartige Schiffe entstehen. Wir drücken die Daumen, dass sie auch in Papenburg bald wieder das Ruder übernehmen kann“, so das Statement von Harald Fassmer zur Lage der Meyer Werft, das von einem kräftigen und langen Applaus gefolgt wurde.
Um in Zukunft solchen Situationen vorzubeugen, braucht es nach Einschätzung des VSM-Präsidenten Finanzierungsinstrumente, die privates Unternehmertum stärken und unterstützen. Gerade im Schiffbau sei dies eine entscheidende Voraussetzung. Wenn es nicht gelingt, dem Schiffbau die erforderlichen staatlichen Finanzierungsinstrumente zur Verfügung zu stellen, werden die deutschen Werften keine Aufträge mehr unterschreiben können. Stattdessen werden diese ins Ausland wandern.
Von Russland bedroht, von China erstickt, von den USA erpresst
Zwei weitere Punkte sprach Harald Fassmer in seiner Rede noch an. Zum einen wünscht er sich, dass die Bürokratie abgebaut wird. Die Flut an neuen Regularien müsse eingegrenzt werden. „Wir brauchen Regeln, aber wir brauchen auch Spielräume, innerhalb derer wir uns bewegen können“, so Fassmer.
Der zweite Punkt ist eine stabile Regierung, die das wirtschaftliche Interesse vermehrt in den Vordergrund rückt: „Schließlich müssen wir uns im neuen weltpolitischen Bermuda-Dreieck zwischen Amerika, Russland und China über Wasser halten – sowohl wirtschaftlich als auch militärisch. Früher konnten wir uns auf russische Energie, Wachstum aus China und Sicherheit aus den USA verlassen. Doch heute werden wir aus Russland bedroht, von China erstickt und von den USA erpresst. Welcome to the new world“, so Harald Fassmer abschließend.
Maritime Strategie in Sicht
Was in Deutschland und Europa passieren muss, um in dem erwähnten Bermuda-Dreieck zu bestehen, und welchen Stellenwert der europäische Schiffbau weltweit hat, ordnete VSM-Geschäftsführer Reinhard Lüken ein. Er stieg in seine Rede mit einer positiven Nachricht ein: Es wird eine Konferenz zu einer europäischen maritimen Strategie geben. Die deutsche Regierung habe dies angekündigt. Sie soll im Mai stattfinden.
„Das ist ein Rückenwind, den wir gut gebrauchen können“, so der VSM-Geschäftsführer. Diese maritime Strategie sei etwas, das lange überfällig ist und wofür der VSM lange auf europäischer Ebene geworben hat. So habe es im vergangenen Mai einen Beschluss gegeben, in dem der Ministerrat die Kommission auffordert, eine maritime Strategie vorzulegen. Zwar habe es in der Vergangenheit eine Reihe von Instrumenten gegeben, beispielsweise zur Emissionsreduzierung in der Schifffahrt. Aber nichts zu Themen wie der Nutzung wirtschaftlicher Chancen aus dieser Transformation oder der Umsetzung dieser Chancen in Wachstum. „Das ist der Punkt, der überfällig ist“, so Lüken.
Europa verliert, China profitiert
Der letzte Ansatz zu einer maritimen Strategie auf europäischer Ebene war dem VSM-Geschäftsführer zufolge 2013. Und auch das sei nur ein „lauer Aufguss“ gewesen. Bezogen auf den Schiffbau – und nicht auf die Schifffahrt – haben wir „über zehn Jahre eine Abwesenheit von Politik auf europäischer Ebene gehabt“. Die letzte Strategie, die wirklich Wirkung gezeigt hat, stammte aus dem Jahr 2003.
Dann skizzierte Reinhard Lüken, was in den letzten zwei Jahrzehnten passiert ist. 2003 hatte China eine Produktion von 1,5 Millionen CGT. Europa wies damals eine Schiffbaukapazität von 5 Millionen CGT auf. Knapp 20 Jahre später steht China bei 21,5 Millionen CGT. China habe also jedes Jahr eine halbe Million CGT dazugewonnen. Im gleichen Zeitraum fiel Europa von 5 Millionen CGT im Jahr 2003 auf jetzt 1,8 Millionen CGT. „Das ist nicht das Ergebnis von Marktgeschehen, auch kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis von Politik“, erklärte Reinhard Lüken.
In Europa haben wir die längsten Küsten und den größten Binnenmarkt im Vergleich zu China und den USA. Lüken könne deshalb nicht nachvollziehen, dass „wir Europäer nicht den politischen Willen haben, diesem wirtschaftlichen Angriff Chinas etwas entgegenzusetzen“. „Ich bin überzeugt, wir werden darauf eine Antwort finden. Wir müssen wieder auf einen Wachstumskurs.“ Sein Wunsch wäre, dass Europa in zehn Jahren wieder dort ankommt, wo es vor zwei Jahrzehnten war.
VSM legt 10-Punkte-Plan vor
Genug zu tun gebe es seiner Ansicht nach. So gibt es in Europa rund 10.000 Seeschiffe und 15.000 Binnenschiffe. Fast alle werden die Anforderungen, die künftig an die Schifffahrt gerichtet werden, nicht mehr erfüllen. Sie werden entweder eine Nachrüstung oder einen Ersatz benötigen. Auch bei der Deutschen Marine gebe es einen hohen Bedarf. „Wir müssen investieren, damit wir schneller werden. Der Westen hat viele Hausaufgaben zu erledigen.“
Der VSM habe eine klare Vorstellung davon, wie die maritime Wirtschaft nach vorne gebracht werden kann. Dafür hat der Verband einen 10-Punkte-Plan vorgelegt, in dem Handlungsfelder für alle Beteiligten formuliert sind. Diese richten sich an Unternehmen, Verwaltungen, Mitarbeiter und die Politik. Der Staat könne nicht alles richten, aber wo die Wirtschaft es nicht allein schaffen kann, braucht es die Politik. Der Mittelstand könne nicht lange gegen den langen Atem aus Peking ankämpfen. „Da muss die Politik in der Pflicht sein“, fordert Reinhard Lüken.