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Die international bekannte Schiffswerft in Hamburg-Neuenfelde feiert in diesem Jahr ihr 375-jähriges Bestehen.

Möglicherweise ist das Unternehmen älter, doch die erstmalige urkundliche Erwähnung eines Schiffbauers Carsten Sietasch 1635 hat dazu geführt, dieses Jahr[ds_preview] als das Gründungsjahr des Unternehmens anzusehen. Nachweis über die zu dieser Zeit erbauten Fahrzeuge gibt es nicht. Man wird davon ausgehen können, dass es sich vorwiegend um Kähne und kleine Boote handelte, die ausschließlich für die Flussschifffahrt und Fischerei bestimmt waren.

Der (bisher) erste namentlich bekannte Neubau der Werft dürfte die 1826 für J. Steffens in Hamburg abgelieferte Slup »Zufriedenheit« von 20 Commerzlasten sein. Immerhin bestand die Werft zu diesem Zeitpunkt bereits fast 200 Jahre – Eigentümer war Hans Sietas (I). Wer die verfügbaren Baulisten studiert wird feststellen, dass die Besteller von Neubauten in erheblichem Umfang aus der näheren Umgebung der Werft stammten (Neuenfelde, Cranz, Estebrügge, Königreich, Finkenwärder, um nur einige Orte zu nennen). Die – nicht nur – durch geographische Nähe verbundene Stammkundschaft hat die Werft sich bis in die jüngere Vergangenheit erhalten können.

Das Jahr 1864 markiert einen ersten Höhepunkt in der Geschichte der Werft, gelangt mit der 150 NRT vermessenen, rund 26 m langen hölzernen Schonerbrigg »Bertha« doch erstmalig ein Seeschiff zur Ablieferung. Natürlich wurden auch weiterhin Kleinfahrzeuge abgeliefert (hier sind insbesondere Fischereifahrzeuge zu nennen) sowie Überholungen und Reparaturen ausgeführt. Es gab auch Jahre, in denen (nicht zuletzt aufgrund zunehmender Konkurrenz) überhaupt keine Neubauten entstanden.

Die Umstellung vom Holz- zum Eisenschiffbau (und bereits 1905 zum Stahlschiffbau) vollzog sich bei Sietas unter der Ägide von Johann Jacob Sietas (I). Nachdem man zunächst Reparaturen an eisernen Fahrzeugen ausgeführt hatte, wurde 1902 die Galiote »Anna Mary« als erstes eisernes Schiff abgeliefert. Bereits 1904 wird das (zunächst) letzte hölzerne Schiff gebaut. Die Werft hat also innerhalb relativ kurzer Zeit einen schwierigen Anpassungsprozess vollzogen, der vielen anderen Schiffbaubetrieben nicht gelang.

Die Zeit des ersten Weltkrieges und die der darauf folgenden Weltwirtschaftskrise waren schwierig für Sietas. Die Zahl der Ablieferungen ging drastisch zurück, Neubauten durch die Kaiserliche Marine sind nicht bekannt und wenig wahrscheinlich. Von Aufträgen für Ersatzbauten für nach dem Krieg abgelieferte Tonnage konnte die Werft naturgemäß nicht profitieren. Der Versailler Vertrag sah die Ablieferung aller Schiffe über 1600 BRT und die Hälfte aller Schiffe von 1000 BRT bis 1600 BRT vor, in Größenordnungen also, in denen Sietas erst viel später bauen sollte.

Erst ab etwa 1932 ging es wieder deutlich aufwärts. Die Werft war technisch gut ausgestattet und verfügte immerhin über fünf Slipanlagen. Kleinfahrzeuge konnten bereits witterungsunabhäng in einer kleinen Halle gebaut werden. Es ist die Zeit, in der Johann Jacob Sietas (II) sukzessive die Leitung des Unternehmens von seinem Vater übernimmt. Mit ihm beginnen Entwicklung und Bau von modernen Küstenmotorschiffen, für die die Werft bis heute weit über die Grenzen Deutschlands Bekanntheit und einen exzellenten Ruf erlangen sollte. Beispielhaft genannt werden soll die 1939 unter der Bau-Nr. 327 fertiggestellte »Fortuna«, sie kam bei rund 40 m Länge bereits auf eine Vermessung von 235 BRT und eine Tragfähigkeit von rund 300 t. Bereits aus dieser Zeit datiert auch einer der ersten Exportaufträge, die »Siempre Igual«, ein flachgehendes Frachtschiff für Venezuela.

Der zweite Weltkrieg konnte die begonnene Entwicklung nur verzögern, nicht aber zunichte machen. Es wurden – wenn auch in bescheidenem Umfang – weiterhin Schiffe für zivile Auftraggeber abgeliefert, darunter auch ein Schlepper. Zudem wurde die Werft als ‚Zulieferer‘ für andere Werften indirekt auch im Kriegsschffbau aktiv. Sie produzierte Türme für U-Boote. Kriegswichtige Bedeutung mochte man auf alliierter Seite darin wohl nicht erkennen, denn die Werft blieb von Bombenangriffen verschont, und auch zu Demontagen kam es nach Ende des Krieges nicht.

Der Umbau eines Marinefährprahmes der Kriegsmarine zum Küstenmotorschiff »Pirat« markiert den Neuanfang. Auftraggeber ist der Reeder Paul Heinrich aus Steinkirchen. Dieses verdient insofern Beachtung, als dasselbe Unternehmen rund 60 Jahre später der Werft in wirtschaftlich schwieriger Zeit Neubauaufträge für hochmoderne Schwergutschiffe erteilen wird.

Zwar entstehen weiterhin – auch für staatliche Stellen – diverse Kleinfahrzeuge, doch das Schwergewicht der Neubautätigkeit liegt nunmehr eindeutig auf Küstenmotorschiffen. Zunächst unterscheiden sich die Bauten von Sietas kaum von denen anderer deutscher Werften, doch Mitte der 50‘er geht die Werft zum Bau von Typschiffen über, die – z. T. mit Abweichungen – in größerer Stückzahl gebaut werden und – äußerlich unverwechselbar – leicht als Sietas-Bauten zu erkennen sind. Nach einer etwas unübersichtlichen Buchstaben-Typisierung geht man – beginnend mit Bau-Nr. 421 (»Karin«, Typ 1) – zu einer Nummerierung der verschiedenen Typen über, die bis heute fortgeschrieben wird. Die Neubauten der Sietas-Werft erwerben sich schnell einen guten Ruf. Der Konstruktionsabteilung gelingt der Entwurf von Schiffen mit immer vorteilhafterem Verhältnis zwischen Bruttovermessung und Tragfähigkeit (die 1979 fertig gestellte »Lady Bos« bringt es bei 499 BRT auf eine Tragfähigkeit von knapp über 1900 t). Die Schiffe werden rasch größer, wenngleich sich Besteller lange an der 499 BRT-Obergrenze festhalten. Neben Kümos verlassen immer wieder auch andere Schiffe die Werft in Neuenfelde: Für Die HADAG entstehen Hafenfähren und auch Seebäderschiffe, die Hamburger Reederei H. C. Horn tritt als Besteller einer völlig neuartigen Serie von kleinen Kühlschiffen in Erscheinung – um nur zwei Beispiele zu nennen. Bemerkenswert auch, dass Ende der 60er Jahre u.a. mit Aug. Bolten, der OPDR und Mathies erstmals traditionelle Hamburger Reedereien zu den Auftraggebern der Werft gehören.

Unter Johann Jacob Sietas wird die Werft konsequent modernisiert. Bereits sehr früh verschreibt man sich der so genannten ‚Vormontage‘ (unter der die nichts anderes zu verstehen ist als Sektionsbau). Dieses mag auch den beengten räumlichen Verhältnissen geschuldet sein, unter denen die Werft Schiffbau betreiben musste. Nach Süden hin verhinderte der Deich eine Ausdehnung, und nach Westen und Osten hin wird das Areal nicht zuletzt durch die benachbarten und konkurrierenden Werftbetriebe von H. Rancke und W. Holst begrenzt. Mit der Übernahme der zu diesem Zeitpunkt über keine neuen Aufträge verfügenden, aber gut ausgestatteten Werft von Holst und seiner Beschäftigten zum 1.7. 1959 gelingt mehr als nur ein »Geländegewinn«. Genau neun Jahre später geht auch Rancke in das Eigentum von Sietas über, wird jedoch zunächst als eigenständiges Unternehmen weitergeführt. Die Übernahmen erlauben eine Umstrukturierung des Werftbetriebes und bedeuteten zusätzlich den Gewinn von Helgenkapazität und Kailänge für Reparaturschiffe.

Letztendlich Naturereignissen zu verdanken hat die Werft eine weitere, nachhaltige Erweiterung ihres Areals: Als Folge der großen Sturmflut von 1962 kam es zum Bau eines neuen Elbe-Hauptdeiches und der Verlegung der Estemündung, die fortan durch ein Sperrwerk von der Elbe abgeriegelt werden konnte. Im Bereich der alten Mündung entstand ein Werfthafen, in dem die Docks von Sietas ihren Liegeplatz fanden.

Die letzte Erweiterung der Werft datiert auf das Jahr 1972, als Sietas sich zur Übernahme der in Schwierigkeiten befindlichen Norderwerft in Hamburg entschließt. Die Werft wird konsequent modernisiert, und in der Folge kommt es zu einer Arbeitsteilung zwischen den beiden Standorten. Der Neubau auf der Norderwerft wird eingestellt, dafür übernimmt sie mehr und mehr das Reparaturgeschäft aus Neuenfelde.

Die Zahl der abgelieferten Neubauten stieg kontinuierlich an. In den Folgejahren entstanden zunehmend Schiffe, die die herkömmliche Kümo-Größe überstiegen. 1977 kann die Werft die Auftragsflut nur dadurch bewältigen, dass sie Schiffe im Unterauftrag bei Blohm + Voss fertigen lässt. 1977 ist auch das Jahr mit der bisher größten Anzahl von abgelieferten Schiffen (32 inkl. der Unteraufträge) und das Jahr des letzten konventionellen Stapellaufes. Fortan entstehen die Schiffe in den Baudocks.

Ein zusätzliches weiteres »Standbein« hatte Sietas sich bereits 1966 mit der Gründung der NMF (Neuenfelder Maschinenfabrk) geschaffen. Das eigenständig geführte Unternehmen produzierte Winden, Hydraulikanlagen, Rampen sowie Heck-und Seitenpforten und zunehmend auch Ladegschirre (Kräne). Letztere stellen heute das Hauptprodukt von NMF dar, sie kommen in großer Zahl auch auf Neubauten anderer in- und ausländischer Werften zum Einbau

Die Schifffahrtskrise der 80er Jahre übersteht die Werft einigermaßen unbeschadet. Es wird jedoch berichtet, dass ein (in der Schiffahrt aktives) Handelshaus Partner in der Werft wird. Dem Vernehmen nach kann es jedoch in den Folgejahren wieder »herausgekauft« werden, so dass man bei Sietas wieder das alleinige Sagen hat. Dem im Jahre 1986 verstorbenen Johann Jacob Sietas folgt sein Sohn Hinrich Jacob Sietas an die Spitze des Unternehmens.

Als bedeutsame Ereignisse zur Modernisierung und Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit seien noch die Anschaffung eines großen Portalkranes aus dem Besitz von HDW aus Kiel genannt (1990) sowie die dringende erforderliche Neubau des Estesperrwerks (1996–2000). Der Neubau gestattet die Passage von Schiffen mit knapp 40 m Breite. Aufmerksame Beobachter des Schiffbaugeschehens an der Este werden sich noch an den irritierenden Anblick der Neubauten erinnern, die ohne die äußere Außenhaut die Werft verließen und erst bei der Norderwerft komplettiert wurden.

Es ist unmöglich, in diesem Rahmen einen Überblick über die gebauten Schiffstypen (neben Trockenfrachtern auch Tanker, RoRo-Schiffe, Fähren u.v.a.m.) zu geben. Festzuhalten bleibt, dass man bei Sietas sehr früh die Erfordernisse eines sich wandelnden Marktes erkannt hat. Als eine der ersten Werften hat man mit dem serienmäßigen Bau von Containerkümos begonnen (die »Bell Vanguard« wird 1966 als Bau-Nr. 588 geliefert). Und Sietas ist die bisher einzige Werft, die in sehr großer Zahl »open top«-Containerschiffe baut, deren Konstruktion die Lade- und Löschzeiten minimieren soll. Man hat sich an der Este – anders als in der jüngeren Vergangenheit vielfach dargestellt – zu keinem Zeitpunkt ausschließlich auf den Bau von Frachtschiffen beschränkt. Die Werftleitung hat sich im Gegenteil niemals gescheut, auftragsarme Zeiten mit dem Bau von – auch kleineren – Schiffen zu überbrücken, die aus der üblichen »Produktpalette« herausfielen. Es sei hier nur an die Fischereifahrzeuge Ende der 80er Jahre erinnert, die für Marokko und den Iran erbaut wurden, an den Neubau einer Fähre für den Glückstadt-Wischhafen-Dienst oder auch an das Wohnschiff »Kurrhahn« für die Bundesmarine. Überhaupt hat die Werft immer wieder mit dem Bau von bemerkenswerten Einzelschiffen auf sich aufmerksam gemacht. Stellvertretend genannt werden der Raketentransporter »Ariana« und die jüngst fertig gestellte Fähre »Uthlande« für die Wyker Dampfschiffs-Reederei.

Gleich anderen deutschen Werften hat sich auch Sietas zum Zwecke der Kostenreduzierung zur Zusammenarbeit mit ausländischen Werften entschlossen. Es kommt zu Zulieferungen, wobei es allerdings kein festes Schema gibt. Fertige Rümpfe in unterschiedlichen Bau- und Ausrüstungsstadien werden ebenso zugeliefert wie auch Sektionen, die Neuenfelde auf Pontons erreichen und dann zusammengesetzt werden. Auch zwei verschweißte Vorschiffe sind schon in Hamburg eingetroffen, die dann getrennt und den jeweiligen Rümpfen »hinzugefügt« wurden.

Die jüngste Schifffahrts- und Finanzkrise hat die Werft deutlich härter getroffen als die der 80er Jahre. Sie hat bei unveränderten Eigentumsverhältnissen zur Ablösung der Geschäftsleitung geführt. Über die Gründe mag man spekulieren. Die Anzahl der stornierten Containerschiffe ist in der Tat beträchtlich. Festzuhalten bleibt, dass sich auch bereits vor der Krise viele Reeder nach Fernost orientiert hatten.

Die Ereignisse ändern nichts an dem guten Ruf, den Sietas-Schiffe nach wie vor genießen. Sie haben in der Regel eine längere Lebensdauer als vergleichbare Schiffe anderer Werften. Und auf dem Second-hand-Markt sind sie unverändert gefragt. Fanden ältere deutsche Kümos ihren Weg früher vorwiegend nach Skandinavien, Griechenland oder auch nach Mittelamerika und in die Karibik, so erfreuen sich jetzt zunehmend auch Reeder aus aufstrebenden Schifffahrtsnationen aus dem östlichen Mittelmeer (beispielsweise Syrien) oder dem Schwarzen Meer an der Qualität und der durchdachten Konstruktion der Schiffe von der Este. Glaubhaft wird von Fällen berichtet, in denen Käufer aus diesem Gebiet Sietas-Schiffe ohne vorherige Besichtigung erworben haben.

Es bleibt zu hoffen, dass es der neuen Geschäftsleitung gelingen wird, das traditionsreiche Unternehmen über die schwierige Zeit hinweg in eine erfreulichere Zukunft zu führen.

Wer sich näher mit der Werft und ihren Neubauten befassen möchte, dem seien die nachfolgenden Veröffentlichungen genannt:

»Sietas Werft von 1635–2000«, Verfasser und Herausgeber Klaus Krummlinde

»Schiffbau an der Este«, Verfasser Werner Heiss (+) und Bernd Voltmer, Elbe Spree Verlag

»Hamburgs Werften 1635–1993«, Verfasser und Selbstverlag Wilh. Chr. K. Stammer

»Strandgut« (Hefte 29 ff), private Veröffentlichung von Reinhart Schmelzkopf

Zudem bereitet Gert Uwe Detlefsen, Bad Segeberg, eine reich bebilderte Veröffentlichung über Sietas-Schiffe vor.

Hinweisen möchte der Verlag auch auf eine für den Herbst 2010 geplante Sonderausstellung im Internationalen Maritimen Museum von Prof. Peter Tamm in der Hafen-City anlässlich des Werftjubiläums.


Franz Vonard