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Die Hamburger Traditionswerft feiert ihr 135-jähriges Jubiläum und blickt auf eine wechselhafte Geschichte zurück. Sie hat sich von einer breit aufgestellten Universalwerft zu einer hoch spezialisierten Kompaktwerft enwickelt.

Blohm + Voss – Von Schiffen und der Kunst sich immer wieder neu zu erfinden« ist der Titel einer überaus sehenswerten Ausstellung[ds_preview], die bis Ende Oktober im Internationalen Maritimen Museum Hamburg (IMMH) zu sehen ist. Sie ist anlässlich des 135-jährigen Jubiläums der wohl bekanntesten deutschen Werft Blohm + Voss zusammengestellt worden und gibt nicht nur informative Einblicke in die Geschichte des Unternehmens, sondern wagt gleichzeitig auch einen Ausblick auf dessen mögliche Zukunft.

Gezeigt werden neben Fotos, Schiffsmodellen und anderen »handfesten«Exponaten auch zum Teil erstmals der Öffentlichkeit zugängliche Dokumente, die es dem Besucher erlauben, die Entwicklung der Hamburger Traditionswerft in geraffter Form nachvollziehen zu können. Anhand weiterer Beispiele wird deutlich gemacht, wie sich die Ingenieure von Blohm +Voss die künftigen Fortschritte im Marine- und Zivilschiffbau vorstellen können.

Eröffnet wurde die Ausstellung von Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz, was eigentlich schon ein deutlicher Hinweis darauf war, welcher Stellenwert dem Unternehmen in der Hansestadt zugeordnet wird. So leitete Scholz seine Jubiläumsansprache mit den Worten ein: »Die Geschichte von Blohm + Voss handelt von Gründergeist und technischem Fortschritt. Und sie ist untrennbar mit Hamburg und seinem Hafen verbunden. Sie zeigt exemplarisch und manchmal auf drastische Weise das Auf und Ab der wirtschaftlichen Entwicklung über fast anderthalb Jahrhunderte. Ebenso macht sie die Auswirkungen des Strukturwandels auf die Hafen- und Werftenstadt Hamburg deutlich. Die Geschichte von Blohm + Voss ist – als Teil der Geschichte Hamburgs und Deutschlands – überaus wechselvoll. Wird man nach Blohm + Voss gefragt, so denkt man an eine große Werft, die das Stadtbild prägt. Und an stolze Schiffe, die von Hamburg aus die Weltmeere befahren. Aber es ist auch eine Geschichte von Hochrüstung, Krieg, Zerstörung und Wiederaufbau. Und damit ist sie ein Spiegelbild des 20. Jahrhunderts mit all seinen Widersprüchen. Nicht zuletzt ist die Chronik von Blohm + Voss ein ganz wichtiger Teil der Hamburger Industrie­geschichte.«

Ein Blick zurück

Wenn wir den letzten Satz von Olaf Scholz aufgreifen, dann ist es geradezu zwingend, sich zumindest in geraffter Form mit der Entwicklung des Unternehmens von den schwierigen Anfängen bis heute zu befassen – auch getreu dem Grundsatz: »Wer die Geschichte nicht kennt, versteht die Gegenwart nicht«.

Am Anfang standen, daran muss immer wieder erinnert werden, zwei mutige Männer: Hermann Blohm und Ernst Voss waren Gründerpersönlichkeiten, die dem Unternehmen nicht nur ihren Namen gaben, sondern es in nur wenigen Jahrzehnten zu einer der größten Werften der Welt entwickelten. Sie formten es mit ihrem Denken und Handeln auch im Inneren: Fleiß, Disziplin, Hingabe und Loyalität, das waren die Eckpunkte, die sie nicht nur von der Belegschaft forderten, sondern in erster Linie von sich selbst. Sie lebten es vor. Nur so ließ sich Großes schaffen. Selbstverständlich trug auch der technische Fortschritt zu dem raschen Wachstum des Unternehmens bei. Er wurde konsequent genutzt, wobei nicht wenige Impulse für diese Entwicklung aus dem Hause selbst kamen.

Dabei war der Anfang alles andere als einfach. Zwar hatten Hermann Blohm und Ernst Voss eine solide schiffbauliche Ausbildung hinter sich, teilweise hatten sie dabei weitergehende Erfahrungen in England gesammelt, und beide waren unabhängig voneinander schon einmal mit dem Versuch einer Werftgründung gescheitert, aber dennoch, nachdem sie sich kennen- und schätzen gelernt hatten, wollten sie es gemeinsam noch einmal versuchen, den Bau eiserner Schiffe.

Dafür gründeten die beiden jungen enthusiastischen Ingenieure am 4. April 1877 in Hamburg auf der Elbinsel Kuhwärder ihr Unternehmen Blohm & Voss Schiffswerft und Maschinenfabrik als Offene Handelsgesellschaft. Das Startkapital kam von der in Lübeck ansässigen Familie Blohm, Ernst Voss wurde ohne finanziellen Beitrag gleichberechtigter Partner. Dabei war die Wahl des Standortes Hamburg nicht ganz unproblematisch. Zwar hatten dort die meisten und größten deutschen Reedereien ihren Sitz, und es gab auch einige durchaus renommierte Werften, aber ihre eisernen Dampfer-Neubauten bestellten die Reeder traditionell in England.

Hinzu kam, dass der Hamburger Senat an einem neuen Industrie­unternehmen zunächst wenig Interesse zeigte, denn vorrangig galt es für ihn, die Kaufmannschaft zu fördern, aus deren Reihen sich das Kollegium weitgehend zusammensetzte.

Es war also ein hartes Stück Arbeit, das die beiden jungen Werftbesitzer zu bewältigen hatten. Dabei ging es nicht nur um den Aufbau der Werft an sich – der war auf dem zur Verfügung gestellten sumpfigen Gelände schon schwierig genug –, sondern, sobald dies geschafft war, mussten Aufträge beschafft werden, was sich noch schwieriger gestaltete. Es galt hierzu, die heimische Reederschaft davon zu überzeugen, dass die neue Werft in der Lage war, mindes­tens ebenso gute Schiffe zu bauen wie die etablierte Konkurrenz jenseits des Ärmelkanals. Da der Erfolg ihrer Bemühungen zunächst aber ausblieb, entschlossen sich die beiden Jungunternehmer dazu, als erstes ein Schiff auf eigene Rechnung auf Kiel zu legen. Es konnte nach Fertigstellung dann gut verkauft werden.

Wenn auch die Schwierigkeiten damit keineswegs überwunden waren, so ist doch dieser Neubau namens »National«/»Flora« als Anfang einer beispiellosen Reihe von Schiffsneubauten zu sehen, von denen viele Geschichte geschrieben haben. Blohm & Voss wurde »die Werft«schlechthin, und zwar nicht nur in den Augen des technik- und marinebegeisterten Deutschen Kaisers Wilhelm II., sondern in zunehmendem Maße auch im Urteil des Auslands, nicht zuletzt bei der bis dahin unangefochten weltweit an der Spitze stehenden britischen Schiffbauindus­trie.

Der weitere Ausbau der Werft machte geradezu rasante Fortschritte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfügte Blohm & Voss über das größte geschlossene Werftareal und die größte Dockkapazität zumindest in Europa – gefördert durch das günstige wirtschaftliche Umfeld. Die Industrialisierung des nach 1871 geeinten Deutschen Reiches hatte sich in Riesenschritten vollzogen und in gleichem Maße war der deutsche Export in alle Teile der Welt gewachsen. Die Reedereien expandierten in enormem Tempo. Fracht- und Passagierschiffe wurden in großer Zahl gebraucht. Einen ansehnlichen Teil davon lieferte die Werft auf Steinwärder.

Ab 1892, nach Ablieferung des Kleinen Kreuzers »Condor« als erstem Marineschiffsneubau an die Kaiserliche Marine, nahmen auch die Aufträge von dieser Seite zu. Bei Blohm & Voss war man stolz auf diese Leistungen, vor allem auf die hervorragend gelungenen Schlachtkreuzer, deren Bau zum Teil ohne öffentliche Ausschreibung auf der Werft platziert wurde. Doch die zivile Produktion überwog immer, worauf sorgfältig geachtet wurde.

In Kriegszeiten sah das freilich anders aus. Während des Ersten Weltkrieges musste die Werft ihre Fertigung zwar gegen den Willen von Hermann Blohm fast vollständig auf den Bau von U-Booten umstellen, vollbrachte dann aber auch hierbei erstaunliche Leistungen. Gleiches geschah später in noch höherem Maße während des Zweiten Weltkrieges.

Der von Blohm & Voss angestrebte technische Standard und der Ehrgeiz, nicht nur immer auf der Höhe der Zeit, sondern der Entwicklung möglichst voraus zu sein, wurden gespeist durch die Bereitschaft, Innovationen maßgeblich zu fördern und sie für den Schiffbau und auch für den Maschinenbau zu implementieren. Dabei sei nur an

die Leistungen im Turbinen- und Motorenbau erinnert. Das zahlte sich sowohl für die Kunden als auch für die Werft selbst aus und verschaffte ihr die fortan unanfechtbare hohe internationale Anerkennung, welche bis heute Bestand hat.

Generationswechsel

Günstig wirkte sich der gelungene Generationswechsel aus. Die während des Ersten Weltkriegs eingetretenen Söhne von Hermann Blohm, Rudolf und Walther, übernahmen nach Kriegsende weitgehend die Führung, wobei sich eine ähnlich vorteilhafte Arbeitsteilung entwickelte, wie bei den beiden Gründern. Die beiden Söhne, denen es sehr schnell gelang, sich eigene Profile zu schaffen, steuerten Blohm & Voss durch die unruhigen Zwanzigerjahre und die Zeit des Nationalsozialismus, in der sie zwar durchaus von dem forcierten Ausbau der Kriegsmarine profitierten, aber immer bestrebt waren, einen Ausgleich im Handelsschiffsneubau zu halten.

In der Schifffahrtswelt berühmte Schiffe entstanden: Die »Monte«-Schiffe und die »Cap Arkona« für die Reederei Hamburg Süd beispielsweise oder das »Nordatlantik-Quartett« für die Hapag sowie für die Kriegsmarine vor allem das Schlachtschiff »Bismarck«, das wohl legendärste in der Seekriegsgeschichte überhaupt. Es wird bis heute international als Ausdruck der besonderen Leistungsfähigkeit des Unternehmens gewürdigt.

Seit Mitte der Dreißigerjahre engagierte sich Blohm & Voss auch im Flugzeugbau, und zwar dort mit gleichfalls großem Erfolg. Innerhalb weniger Jahre gelang die Entwicklung einiger ganz außerordentlicher Flugzeugtypen.

Stets waren die Blohm-Brüder mit aller Energie bestrebt, wie schon zuvor die Gründergeneration, die Existenz als privatwirtschaftliches Familienunternehmen zu wahren. Das wurde ihnen vor allem während der letzten Kriegsjahre immer schwieriger gemacht.

Noch schwieriger aber wurde es für sie, als nach dem Krieg die britische Besatzungsmacht alles daran setzte, durch rigorose Zerstörung und Demontage, für die es zumindest in den westlichen Besatzungszonen nichts Vergleichbares gab, das Unternehmen möglichst für immer auszulöschen. Dass ihnen das trotz aller Anstrengungen nicht gelang, ist im Wesentlichen den Brüdern Blohm zu verdanken. Die beiden gaben nicht auf und schafften in einem Lebensalter, in dem sich die meisten Menschen aus dem aktiven Berufsleben zurückziehen, ein Aufbau- und Wiederaufbauwerk durch Überwindung schier unglaublicher Schwierigkeiten, die wohl jenseits heutiger Vorstellungskraft liegen. Ihr unbeugsa­mer Wille muss nicht nur beeindrucken, er muss faszinieren. Das Aufbauwerk gelang in der dann erlebten Form, aber nicht zuletzt auch durch das immer stärkere Engagement des Hauses Thyssen, das bald die Mehrheit des Kapitals hielt und es schließlich ganz übernahm. Das Engagement lohnte sich für Thyssen durchaus, denn das Geschäft florierte sowohl für die heimischen Reedereien als auch für den Export.

Selbst der Marineschiffbau begann sich wieder zu entwickeln, nicht zuletzt angestoßen durch die Übernahme der benachbarten Werften von Stülcken und Schlieker. Höhepunkt in dem Geschäftsfeld war aber damals zweifellos

die Präsenta­tion des zukunftsweisenden MEKO-Konzeptes (steht für »Mehrzweck-Kombination«), das die Fachwelt verblüffte und eine ganze Reihe von Aufträgen ausländischer Marinen brachte.

Hochkomplexe Orders aus der Offshore-Industrie kamen dazu, mit deren Abarbeitung immer wieder Kompetenz und Flexibilität unter Beweis gestellt werden konnten. Neue Ideen ergänzten das Spektrum und wiesen in die Zukunft, wenn auch nicht immer mit Erfolg beschieden, wie z. B. die Entwicklung der Fast-Monohull-Familie. Das war etwa zum Zeitpunkt des 125-jährigen Bestehens des Unternehmens, das sich stolz präsentieren konnte und dies in unnachahmlicher Weise getan hat.

Neuausrichtung

Blohm + Voss (das »&« im Namen wurde 1966 durch ein »+« ersetzt, wie bei der Ortsbezeichnung Steinwerder nach dem Krieg das »ä« in ein »e« umgewandelt worden war) war zu diesem Zeitpunkt längst ein Synonym für hanseatisches Unternehmertum geworden, das darüber hinaus sowohl als Beispiel für deutschen Unternehmergeist als auch für deutsche Schiffbaukunst stand und steht. Das ist ebenso sicher wie die Feststellung, dass die nach dem denkwürdigen Jubiläum 2002 folgenden Jahre mindestens ebenso spannend waren wie die 125 vorangegangenen. Sie brachten nämlich, der Zeit entsprechend, eine Vielzahl neuer Herausforderungen und Umbrüche, und zwar so viele und so kurz hintereinander, wie kaum jemals zuvor.

Dazu ein allgemein gehaltener Vorgriff: Die auch für den Schiffbau wahrscheinlich größte Zäsur brachten die Jahre 2008/2009 mit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise. Ein Jahr später belief sich der Gesamtauftragsbestand der deutschen Werften, die der asiatischen Konkurrenz vor allem bei den Lohnkosten und in Finanzierungsfragen kaum etwas entgegen zusetzen hatten, auf nur noch ein Drittel des Vorkrisenbestandes. Anzeichen für eine durchgreifende Erholung sind bis heute nicht zu erkennen. Seit 2008 hat ein Fünftel der Beschäftigten im deutschen Schiffbau ihren Arbeitsplatz verloren, bis 2010 hatten sieben Werften Insolvenz angemeldet. Mehr als 60 Neubau-

aufträge sind als Folge der Krise in Deutschland storniert worden, so dass zweifellos von einer existenzbedrohenden Situation gesprochen werden konnte, die aber auch ganz klar verdeutlicht hat, dass im deutschen Schiffbau Erfolge nur noch dann erzielt werden können, wenn er sich auf hochkomplexe, individuell auf den Kunden zugeschnittene Produkte konzentriert. Das genau spiegelte sich, was den Schiffsneubau betrifft, in der Spezialisierung von Blohm + Voss auf die Fertigung von Marineschiffen und Yachten wider. Doch der Reihe nach.

Das Jahr 1996 hatte für die Blohm + Voss AG einen ersten tiefen Einschnitt in die Unternehmensstruktur gebracht, denn aus ihr wurden drei eigenständige Firmen geformt, die zwar alle denselben Namen führten, aber gesellschaftsrechtlich getrennt waren: Blohm + Voss (Neubau), Blohm + Voss Repair und Blohm + Voss Industries. Die gesellschaftsrechtliche Ausgliederung zum Erreichen wettbewerbsfähiger Strukturen, insbesondere in der Repa-

ratur, war Ausdruck des Bemühens, im Markt zu bleiben. Allerdings musste in der Folge etwa ein Drittel der Belegschaft das Unternehmen verlassen.

Für Außenstehende hatte sich jedoch gar nichts geändert, denn Blohm + Voss sah aus wie immer. Doch was hinter dem Vorhang geschehen war, verdeutlicht die Entwicklung im deutschen Schiffbau allgemein: weg von der tief gegliederten Universalwerft, hin zur hoch spezialisierten Kompaktwerft, gestützt auf ein breites Zulieferspektrum. Das galt auch für Blohm + Voss, selbst wenn das Unternehmen von außen immer noch als »Großwerft« eingeordnet wurde.

Diese veränderte Gesellschaftsstruktur, die 1996 ihren Anfang genommen hatte und 2008 mit der Herauslösung des Marineschiffbaus zunächst mit der Fusion von Blohm + Voss und den Nordseewerken in Emden und der anschließenden Gründung der Blohm + Voss Naval in 2010 einen vorläufigen Höhepunkt erreichte, muss als Reaktion auf die veränderten Markt- und Kundenbedürfnisse gewertet werden. Diese betreffen alle Schiffbausegmente.

Nachdem Anfang der Neunzigerjahre vorsichtig und etwas nebensächlich wieder mit dem Bau von Yachten begonnen worden war – in einer Zeit, in der der Marineschiffbau beflügelt durch den Erfolg mit MEKO-Fregatten und -Korvetten für ausreichend Beschäftigung sorgte –, begann sich das Geschehen etwa um die Jahrtausendwende zu drehen. Der Verlust zweier Aufträge für die norwegische und die chilenische Marine signalisierte einerseits, dass die lange gehaltene Marktführerschaft beim Bau von Fregatten und Korvetten verloren gegangen war, und andererseits, dass man mindestens für die nächste Dekade vollkommen von Aufträgen für die Deutsche Marine abhängen würde.

Vor diesem Hintergrund kam dem Yachtbau in zunehmendem Maße eine bedeutendere Rolle zu. Innerhalb von nur zwei Jahren konnten Aufträge für den Bau von vier Megayachten akquiriert werden, so dass dieses Segment nun allmählich zu einem dem Marineschiffbau gleichwertigen Standbein wurde – für das allerdings, bei allem Prestigegewinn, zunächst ein hoher Preis gezahlt werden musste.

Ein weiterer großer Schnitt war 2005 mit der Gründung von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) als erstem europäischen Werftenverbund erfolgt. Er verfügte auch im Ausland mit der schwedischen Kockums Werft und der griechischen Hellenic Ship­yards über wichtige Kapazitäten. Entscheidend aber war die Zusammenfassung der ThyssenKrupp-Werften, also der drei Gesellschaften von Blohm + Voss in Hamburg, der Emder Nordseewerke und der Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW) in Kiel, unter dem Dach von TKMS. So wurden alle Kernfähigkeiten des weißen (Yachtbau), des grauen (Überwassermarineschiffe) und auch des schwarzen Bereichs (U-Boote) gebündelt, unterstützt von einer leistungsfähigen Infrastruktur. Es gab keine Schiffe, die nicht repariert oder umgebaut werden konnten, wichtige Komponenten wurden in Eigenregie gefertigt und auch beim Schiffsneubau war das Spektrum von zivilen Schiffen bis hin zu ausrüstungsintensiven Marineeinheiten breit angelegt.

Es war allen Beteiligten klar, und das war auch der Hintergrund gewesen, dass die Wettbewerbsfähigkeit nur durch einen hohen Engineering-Anteil sowie der Fähigkeit zur komplexen Systemintegration zu erreichen bzw. zu halten war. Längst wurden nicht mehr alle Leistungsanteile selbst erbracht. Was benötigt wurde, lieferten spezialisierte Unterauftragnehmer. So kam der Werft die Funktion eines Systemhauses zu, das alle Akteure an den vielfältigen Schnittstellen des Ganzen zusammenführen muss. Genau das war die Stärke von Blohm + Voss, und so ist es bis heute geblieben.

Ein weiterer Anstoß für das Bestreben, die Restrukturierung der Werftengruppe weiter voranzutreiben, war das im Zuge der Wirtschaftskrise abrupt weggebrochene Geschäft im Containerschiffbau. Am 11. Dezember 2009 ist auf den Nordseewerken in Emden das letzte Containerschiff vom Stapel gelaufen, nachdem zuvor vier andere Aufträge storniert worden waren. Damit hatte der 106 Jahre dort betriebene Schiffsneubau sein Ende gefunden – mit dem Ergebnis, dass sich durch dessen Wegbrechen enorme Überkapazitäten auftaten.

Da zuvor, am 1. April 2008, im Rahmen einer Neuordnung der TKMS-Struktur alle Aktivitäten für den Bau von Überwassermarineschiffen, Handels- und Spezialschiffen unter dem Namen TKMS Blohm + Voss Nordseewerke GmbH in Emden zusammenfasst worden waren, erwuchsen diese Überkapazitäten zu einer Bedrohung nicht nur des Standortes Emden, sondern auch Hamburgs. Um dieser Lage Herr zu werden, war ein radikaler Schnitt nötig geworden.

Dieser erneute Umbruch geschah in der Form einer industriellen Transformation, die eine Perspektive für die Zukunft bot: die Umstellung der Nordseewerke vom Schiff- zum Offshore-Anlagenbau. Sie wurde gemeinsam mit dem Investor Siag Schaaf

Industrie AG erreicht, der wegen dessen Wassernähe ausschließlich für den Standort Emden zur Verfügung stand. Dies alles

gelang ohne betriebsbedingte Kündigung auch nur eines einzigen Mitarbeiters. Von der zwischenzeitlichen Insolvenz des Mutterkonzerns Siag waren die Nordseewerke nicht betroffen.

Neben der Siag sind heute auf dem Gelände der ehemaligen Nordseewerke noch die zu TKMS gehörenden Emder Werft und Dockbetriebe tätig (siehe ab S. 50). Außerdem arbeiten Teile von Blohm + Voss Naval dort weiter für den Marineschiffbau. Mit der Fertigstellung des dritten Einsatzgruppenversorgers für die Deutsche Marine im Jahr 2012 ist jedoch auch der Marineschiffbau in Emden zu Ende gegangen.

Die weitere Entwicklung von Blohm + Voss fand, zumindest vorläufig und in Teilen, ein Ende mit der im 135. Jahr des Bestehens erfolgten Übernahme der drei »weißen« Unternehmensbereiche Schiffbau (Yachten), Repair und Industries durch den britischen Finanzinvestor Star Capital Partners, der in der Lage ist, die Aktivitäten in Hamburg, wenn auch erklärtermaßen nicht auf Dauer, weiter zu betreiben.

TKMS konzentriert sich künftig, mit Ausnahme der Emder Werft und Dockbetriebe, ganz auf den Marineschiffbau: Überwasserschiffbau in Hamburg und U-Boote in Kiel. Am Standort Hamburg wird mit dem neuen Geschäftsmodell der Blohm + Voss Naval den zunehmenden Kundenwünschen nach einer Fertigung im eigenen Land Rechnung getragen. Blohm + Voss Naval konzentriert sich damit ganz auf die Fähigkeiten eines Systemhauses mit den Schwerpunktfunktionen Projektierung, Einkauf, Engineering, Systemintegration und After Sales & Service. Damit kann auch in Zukunft die Rolle eines Generalunternehmers übernommen bzw. ausgefüllt werden.

Aber TKMS ist in Bewegung geblieben. Mitte des Jahres sind die bisher selbständigen Gesellschaften Blohm + Voss Naval in Hamburg und Howaldtswerke-Deutsche Werft in Kiel unter dem Namen ThyssenKrupp Marine Shipyards zusammengeführt worden. Die Namen der beiden Produktbereiche bleiben erhalten und sind so weiterhin nach außen mit ihren jeweiligen Geschäftsfeldern zu identifizieren. Thyssen-Krupp Marine Systems wird als Holding u.a. die zentrale Führung sowie Vertriebsleitung wahrnehmen. Der Holding zugeordnet sind gleichfalls die Kockums Werft in Schweden sowie die Emder Werft und Dockbetriebe.

Kurz nach der Bekanntgabe dieser Maßnahme wurde öffentlich, dass TKMS nach mehrjährigen Verhandlungen aus Algerien den Auftrag zum Bau von zwei MEKO-Fregatten erhalten hat. Eine offizielle Bestätigung stand bis zum Redaktionsschluss der HANSA Anfang August allerdings noch aus. Gebaut werden sollen die Schiffe dem Vernehmen nach bei Blohm + Voss in Hamburg, wobei zum ersten Mal die neue »Geschäftsverteilung« wirksam würde: TKMS beauftragt Blohm +Voss Naval mit der weiteren Wahrnehmung des Auftrages. Da die Naval-Sparte aber über keine eigenen Schiffbaukapazitäten verfügt, dürfte der schiffbau­liche Teil des Auftrages wohl an Blohm + Voss Shipyards vergeben werden, nun ein Teil von Star Capital Partners. Ein Anfang für weitere Erfolge – für das Unternehmen und für Hamburg?

Kommen wir abschließend noch einmal auf die Rede von Bürgermeister Olaf Scholz aus Anlass der Ausstellungseröffnung zurück, wobei er mit Blick auf die Hansestadt hervorhob: »Hier ist eine große Vielfalt von Dienstleistern aktiv, die sich auf Planung, Finanzierung, Produktion, Installation, den Betrieb und die Wartung bis hin zur Versicherung von Windkraftanlagen spezialisiert haben. Damit ist ein großer Teil der Wertschöpfungskette bei uns abgedeckt. Hier, an der Schnittstelle zwischen den verschiedenen Wirtschaftszweigen, liegt die große Chance für Unternehmen wie Blohm + Voss«, betonte Scholz.

Sicher, es habe ein Strukturwandel stattgefunden, so der Bürgermeister, und die Werften hätten so manche Krise durchlebt. Doch die maritime Wirtschaft spiele in Norddeutschland nach wie vor eine bedeutende Rolle: »Heute erwirtschaften mehr als 26.000 Beschäftigte der Metropolregion Hamburg in knapp 1.100 Unternehmen der maritimen Industrie rund 7,5 Mrd. € Umsatz. Weitere 2.500 Beschäftigte sind in 53 Wissenschafts-, Bildungs- und Forschungseinrichtungen tätig. Neben den weltweit agierenden Werften und Schiffbauzulieferern geraten immer stärker Unternehmen der Meerestechnik, unter anderem aus den Bereichen Offshore-Technik für die Gas- und Ölgewinnung, Offshore-Windenergie und Unterwassertechnik, in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, weil ihnen ein hohes Wachstumspotenzial vorausgesagt wird.«

Auf die Traditionswerft zurückkommend, schloss Scholz mit den Worten: »Die Aussichten für Blohm + Voss sind also gut. Und umso erfreulicher ist es, dass durch die Übernahme der zivilen Sparte durch Star Capital Partners ausreichend Kapital bereitgestellt werden kann, um das Wachstum der bestehenden Geschäfte voranzutreiben. Ich wünsche dem Unternehmen, das unsere Stadt schon seit so vielen Jahren mitprägt, eine erfolgreiche Zukunft.«

Hans Jürgen Witthöft