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Seit rund drei Monaten ist Matthias Schulze neuer Executive Vice President »Navy & Commercial Vessels« bei Siemens. Im Interview mit der HANSA spricht er über eine Neuaufstellung im Konzern, Trends in der Industrie sowie die Positionierung im Wettbewerb
Wie geht es Ihnen an Ihrem neuen Arbeitsplatz?

Matthias Schulze: Ich bin ja schon relativ lange im Schiffbau[ds_preview] aktiv. Nach zwölf Jahren Marine habe ich bei Siemens verschiedene Stufen durchlaufen. Nach fünf Jahren in China mache ich nun seit sechs Jahren Vertrieb. Ich bin also nicht neu im Thema, viele Dinge sind mir bekannt. Jetzt muss ich allerdings mehr Abstand von Details gewinnen und das Große und Ganze im Blick behalten. Wir sind in einer – um es mal positiv auszudrücken – sehr spannenden Zeit und nicht unbedingt in einer schiffbaulicher Hochzeit. Insofern habe ich gemischte Gefühle.

Wie positioniert sich Siemens gegenüber einer Klientel, die finanzschwächer und weniger kaufwillig ist?

Schulze: In unserem Bereich elektrischer Schiffsantriebe ist es seit Jahr und Tag unser Ziel, Lösungen anzubieten, die Kraftstoff sparen und einen energieeffizienten Betrieb ermöglichen. Ist das in der jetzigen Situation schlecht? Nein, ganz bestimmt nicht. Wir müssen aber unsere Antennen ausfahren, neue Trends erkennen und aus dem Schiffsbetrieb noch das letzte Quäntchen herausholen. Ich erwarte nicht, dass wir uns plötzlich revolutionär in eine völlig andere Richtung bewegen.

Bleibt das Gewicht des maritimen Bereichs im Konzern angesichts der Probleme der Schifffahrt stabil?

Schulze: Aus meiner Sicht wird die Wahrnehmung sogar noch steigen. Heute sind wir in einer Business Unit, die sehr Öl-/Offshore-lastig ist. In dieser Hinsicht wird der Konzern sicher reagieren. Öl/Gas ist und bleibt wichtig. Der Marine-Bereich wird aber künftig gleichrangig betrachtet. Ich glaube fest an die Zukunft des Schiffbaus bei Siemens. Aber auch wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Wir nehmen sehr viel Geld in die Hand, um innovativ zu sein – und werden das auch in Zukunft tun.

Was glauben Sie, könnte die nächste ökonomisch oder regulatorisch bedingte Umwälzung sein, die zu Handlungsbedarf in der Schifffahrt führt?

Schulze: Rund zwei Drittel der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt, darauf fahren weltweit rund 100.000 Schiffe. Diese Branche hat einen stetigen Erneuerungsbedarf. Von Revolutionen würde ich nicht reden, vielmehr sind es evolutionäre Schritte, die wir machen werden, bedingt auch durch verschiedene Einflussfaktoren. Dazu zählen der Öl-/Gaspreis, politische Konstellationen im Mittleren Osten und Nordafrika, die Öffnung neuer Märkte wie im Iran, Neuwahlen in vielen Ländern, vor allem in den USA, die momentane ökonomische Schwäche Chinas oder auch Emissionsgrenzwerte. In der Schifffahrt reden wir zudem über LNG, Landanschlüsse oder Powerbarges. Es ist ein komplexes Miteinander. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Dinge Schritt für Schritt ablaufen. Ich denke, dass uns auch in den kommenden Jahren ein effizienterer Schiffsbetrieb, die weitere Verringerung von Emissionen oder die Nutzung alternativer Energieträger beschäftigen werden.

Wie sehen Sie Siemens im aktuellen Marktumfeld?

Schulze: Ich glaube, dass wir mit unseren elektrischen Antrieben mehr als nur eine Berechtigung im Markt haben und dass dieser Bereich noch an Einfluss gewinnen wird. Es wird aber auch bei Dieselmotoren weitere Entwicklungen geben, deren Auswirkung wir noch nicht im Detail abschätzen können. Alle Anbieter werden ihre Hausaufgaben machen und sich unter Umständen verschlanken.

Und auf den Aufschwung hoffen?

Schulze: Wenn es irgendwann mit dem Ölpreis wieder aufwärts geht, wird dies einen Push auslösen. Nur weiß heute niemand genau, wann das passiert. Die Frage ist heute aber schon, wie dann zu reagieren ist, was dann gefordert ist.

Ich könnte mir vorstellen, dass möglicherweise im kommenden Jahr bereits erste Planungen für neue Schiffe gestartet werden, weil man hofft, dass der 5-Jahres-Zyklus bald überstanden ist.

Welche Märkte haben Sie dabei besonders im Fokus, wo vermuten Sie die besten Chancen?

Schulze: Im extrem unter Druck stehenden Segment »Cargo«, also auf den Bulker-, Tanker- und Containermärkten, wird man genau hinschauen müssen, wo es noch Effizienzthemen gibt, etwa wie man aus der Ferne in das Schiff blicken kann, um dem Operator Verbesserungsmöglichkeiten zu zeigen. Angesichts des Drucks auf der Branche muss der Bereich jedoch möglicherweise etwas zurückstecken.

Im Passagierbereich ist meiner Überzeugung nach noch vieles möglich. Neben der Batterietechnologie ist hier auch »autonome Schifffahrt« ein Thema. Wie weit unser Engagement in diesem Bereich gehen wird, kann ich noch nicht im Detail sagen. Aber bezüglich der Zuverlässigkeit elektrischer Antriebe können wir sicher unseren Beitrag leisten. Auch im Spezialschiffbereich – ich denke an Schwergutschiffe mit DP-Systemen, eisgehende Schiffe oder die Forschungsschifffahrt – wird es Projekte geben, bei denen wir uns engagieren können und werden.

Mit der norwegischen Fähre »Norled« haben Sie ein erstes Referenzprojekt für ein rein elektrisch betriebenes Schiff. Ist das mittel- oder langfristig eine Technologie, die weiterentwickelt werden kann?

Schulze: Wir reden bei uns über eine Hybridisierung der Schiffe als Verquickung von z. B. elektrischen Antrieben, Batterie und Verbrennungsmaschine, sehen das aber durchaus auch erweitert um weitere Energiequellen. Der küstennahe Shortsea-Markt im Bereich von 2 bis 3 MW ist ein Anfang. Ich schließe aber definitiv nicht aus, dass dieses Prinzip auch auf die Hochseeschifffahrt übertragen werden kann.

Ist dann der Fokus notgedrungen doch eher auf dem europäischen Rahmen, weil hier die Infrastruktur besser ist als in Asien, wo es viele Inselmärkte gibt?

Schulze: Mein Wunsch wäre, dass der Trend auch nach Asien »schwappt«, nach Indonesien, Japan und China. Allerdings gibt es dort auch sehr oft Bestrebungen, die heimische Industrie zu stärken. Wenn es uns jedoch gelingt, in Europa in eine Trendsetting-Phase zu kommen, wo wir Technologien ausprobieren und etablieren dürfen, dann mag die Batterietechnologie eines Tages auch in Asien eingesetzt werden. Wir müssen Schritt für Schritt denken.

Dann befürworten Sie Entwicklungen wie die neuen ECAs in China?

Schulze: Auf jeden Fall. Wir haben in China gute Projektabwickler und Ingenieure. Daher wäre China wahrscheinlich ein erster Fokus in Asien, bevor man das Augenmerk auf andere Länder wie Indonesien und Japan legt.

Auch in der Zulieferindustrie steigt der Druck zur Konsolidierung. Siemens hat erst jüngst das Software-Unternehmen CD-adapco gekauft. Gibt es weitere Pläne, das Portfolio auszuweiten?

Schulze: Ich sehe nicht den Zwang, weitere Firmen aufzukaufen. Es war immer Konzernstrategie, wohlbemessen vorzugehen, das wird auch künftig gelten. Aber wir werden uns – das ist Teil unserer neuen Aufstellung – im Engineering breiter aufstellen müssen und diese Karte stärker ausspielen. Im Software-Segment haben wir jetzt dazu gekauft und das tut uns sehr gut. Das Thema »Virtuelles Engineering« wird kommen. Wir gehen davon aus, dass Werften den Trend »Industrie 4.0« durchziehen werden, dafür haben wir einiges anzubieten.

Geht es für Sie mittel- oder langfristig in die Richtung »Systemanbieter«?

Schulze: Generell ist es zunächst der Wunsch, eine noch bessere Wahrnehmung im maritimen Bereich zu erreichen. Aber das sind bei uns unterschiedliche Units. Man wird Synergien erzielen können, aber es wird unterschiedliches Geschäft bleiben.

Was ist von Siemens bei der SMM zu erwarten?

Schulze: Ich wünsche mir, dass wir den Fokus stärker auf Service legen. Wir sollten da mehr Flagge zeigen. Außerdem möchte ich, dass wir Finanzierungsaspekte mehr in den Vordergrund rücken. Fakt ist, dass wir eine eigene Bank haben, daher können wir mit Kunden auch über Finanzierungsmöglichkeiten sprechen. Wir wollen herausfinden, wie der Markt reagiert – und dazu ist die SMM die Plattform schlechthin. Es gibt für mich in diesem Punkt kein besser investiertes Geld als in die SMM.
Krischan Förster, Michael Meyer