Einhundertvierundsiebzig + X!

Nun hat der Umweltausschuss MEPC der internationalen Schifffahrtsorganisation IMO also über neue Klimaschutzauflagen entschieden. Und kaum waren die Ergebnisse an die Öffentlichkeit gedrungen, hagelte es Kommentare und Kritik.[ds_preview] Nicht alles wurde negativ bewertet, immerhin gibt es einige halbwegs konkrete und recht kurzfristige Vorgaben. Aber man konnte mit Blick auf die Reaktionen schon den Eindruck gewinnen, dass die Regulierer ziemlichen Mist gebaut haben. Zu wenig Vorgaben, zu laxe Vorgaben – im Kern werden Rechts- und fehlende langfristige Planungssicherheit sowie Entscheidungsunlust moniert.

Über alles Inhaltliche kann man debattieren. Beispielsweise erschließt sich nicht auf Anhieb, warum die Schaffung eines milliardenschweren Forschungs- und Entwicklungsfonds verschoben wurde. Auch dass nicht alles Gold ist, was aus den MEPC-Sitzungen in die maritime Welt gespült wird, ist unstrittig. Aber so ehrlich sollte man sein: War das denn zu erwarten? Und falls man das erwartet hat: War das realistisch?

Bei aller berechtigten Kritik muss man sich die Rahmenbedingungen des Kritisierten vor Augen halten: Wir sprechen über die IMO, eine Organisation der Vereinten Nationen. Sie hat staatliche Mitglieder. 174 – in Worten einhundertvierundsiebzig – Länder sind vertreten. Dazu kommt das »X«: Wie auf jeder politischen Bühne tummelt sich auch im IMO-Umfeld eine Unzahl an Lobbyisten. Sie haben ihre Berechtigung, ja, sie sind sogar nötig, um Politik in eine pragmatische Richtung zu lenken. Sie verringern aber nicht gerade die Komplexität des Regulierungsunterfangens.

In dieser politischen Arena geht es vorrangig um Kompromisse. Beschlüsse benötigen schon im Vorfeld eine maximale Akzeptanz, sonst sind sie zahnlose Tiger, so funktioniert das UN-System nun einmal. Das muss man nicht gut finden, ignorieren sollte man es aber auch nicht.

Keine CO2-Abgabe, wie von einem nicht gerade kleinen Teil der maritimen Welt mittlerweile gefordert? Noch einmal: War das zu erwarten? Auf derart tiefgreifende Maßnahmen können sich ja nicht mal Regierungen in einzelnen Ländern einigen. Wie soll das dann in einer Gruppe von über 170 Staaten gehen?

Der eine oder andere forderte nach den jüngsten Beschlüssen gar regionale Vorstöße, etwa von der Europäischen Union.

Aber ist das der richtige Weg? Regionale Auflagen sind für eine derart internationalisierte Branche wie die Schifffahrt und ein derart globales Thema wie den Klimaschutz nur begrenzt hilfreich.

Letztlich ist eine wichtige Erkenntnis der vergangenen Wochen: Der maritimen Industrie bleibt gar nichts anderes übrig, als weiter selbst voranzugehen, mit innovativen und »grünen« Technologien. Dass sie dazu in der Lage ist, wissen wir. Es gibt so viele vielversprechende Projekte zur Verbesserung des ökologischen Fußabdrucks in der Schifffahrt. »Do it yourself green« ist das Motto – am besten von Zulieferern, Reedern und Schiffbauern gemeinsam. Dafür gibt es dann auch Fördermittel, die angezapft werden wollen. Dabei kann gerne regional oder national vorgegangen werden und von der dortigen Politik gerne durchaus noch mehr Geld zur Verfügung gestellt werden.

Von Michael Meyer
Stellvertretender Chefredakteur
HANSA International Maritime Journal