Gregor Harbs, Partner der Anwaltskanzlei Ahlers & Vogel und Vorsitzender der GMAA © GMAA
Print Friendly, PDF & Email

Während die Corona-Krise die maritime Schiedsgerichtsbarkeit in Sachen Digitalisierung unter Druck setzt, empfiehlt Gregor Harbs, Vorsitzender der German Maritime Arbitration Association (GMAA), im Sinne schneller Verfahren, Deutschland als Schiedsort zu wählen[ds_preview]

Die Corona-Pandemie hat die Schifffahrt weiter fest im Griff, sorgt für Verspätungen, Ausfälle etc. Beschäftigen solche Sachverhalte bereits die Schiedsgerichtsbarkeit, wie von manchen Experten vorausgesagt?

Gregor Harbs: Im Moment ist das noch nicht so sehr absehbar. Natürlich ergeben sich daraus vielfältige rechtliche Streitigkeiten. Da kann man in allererster Linie an alle möglichen Verspätungsschäden denken, wenn Schiffe oder Waren nicht rechtzeitig angekommen sind oder nicht rechtzeitig übernommen werden konnten. Ein Beispiel sind auch Bauverträge, die nicht rechtzeitig fertiggestellt werden konnten, weil Material gefehlt hat oder Arbeiter nicht arbeiten konnten. Das ist ein ganz breites Feld und alles Thema für die Schiedsgerichtsbarkeit – sofern diese zuvor in den Verträgen vereinbart wurde.

Also sind das bisher eher theoretische Überlegungen und ein »Corona-Effekt« ist nicht so klar zu erkennen?

Harbs: Die Pandemie hat vor allem einen großen Einfluss auf die Verfahren selber. Denn wir waren auch sehr limitiert, was die persönlichen Kontakte anbelangte und damit natürlich auch bei den mündlichen Verhandlungen. Wir haben uns im vergangenen Jahr viele Gedanken gemacht, wie man die anders gestalten kann. Dazu haben wir einige Workshops abgehalten, haben auch Guidelines entwickelt, wie man Schiedsverfahren z.B. online durchführen kann, welche rechtlichen Hürden es gibt. In Deutschland und der EU ist beispielsweise die Datenschutzgrundverordnung zu beachten, dazu kommen natürlich allgemeine Fragen der Datensicherheit. Hier gilt es für die Schiedsrichter und die Parteien trotz der gebotenen Eile, ein bisschen aufmerksam zu sein.

Grundsätzlich sind mündliche Verhandlungen per Videokonferenz möglich. Das haben auch Gerichte in der letzten Zeit gemacht. Recht unproblematisch ist es in den Fällen, in denen man sich als Schiedsgericht mit den Parteivertretern oder Parteien unterhält. Komplizierter wird es bei Zeugenvernehmungen oder wenn umfangreiche Dokumente vorgelegt werden sollen.

Wenn Zeugen in der Welt verstreut sind, ließen sich durch Video-Chats doch sicher Kosten sparen …

Harbs: Das Problem bei Online-Zeugenvernehmungen ist immer, dass Sie sicherstellen müssen, dass eine Aussage auch authentisch ist. Sie müssen als Schiedsgericht ja hinterher beurteilen, wie glaubwürdig ein Zeuge und wie glaubhaft seine Aussage ist, sie müssen seine Mimik und Gestik berücksichtigen. Da ist man sehr eingeschränkt, wenn man nur noch das Gesicht sieht. Man muss die entsprechenden Regelungen vorher festlegen und ist darauf angewiesen, dass der Zeuge mitmacht. Dann hat man das Problem, dass man nicht weiß, wer noch mit dem Zeugen im Raum ist, den die Kamera nicht zeigt. Im – theoretischen – Extremfall könnte jemand den Zeugen mit vorgehaltener Waffe zu einer Aussage zwingen. Aber er könnte auch den Text, den er aufsagen soll, auf sein Handy vor sich gespielt bekommen, ohne, dass das Gericht es mitbekommt. Vielleicht muss man so eine Aussage mit zwei Kameras aufnehmen. Das sind alles Fragen, die noch diskutiert werden. Mir ist es am liebsten, die Leute direkt vor mir zu haben.

Wenn natürlich der Streitwert eher gering ist, bietet sich so eine Option schon an. Früher, ohne die technischen Möglichkeiten, war es einfach: der Zeuge musste vor dem Schiedsgericht erscheinen, wenn er gehört werden sollte. Es gibt einige Kollegen, auch international, die sagen, dass Onlineverhandlungen die Zukunft sind und wer sich dem verschließe habe verloren. Wir machen ja bei der GMAA Ad-hoc-Schiedsverfahren, sind also keine Schiedsgerichtsinstitution wie beispielsweise der International Court of Arbitration des ICC oder die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit DIS. Wir bieten die Regeln an, die die Parteien vereinbaren können, die Schiedsgerichte konstituieren sich aber selbständig und die Schiedsrichter führen die Verfahren selbständig durch. Wenn ein Schiedsgericht also Online-Anhörungen ablehnt, dann müssen die Zeugen eben vor Ort erscheinen.

Wie entwickelt sich Deutschland als Schiedsort?

Harbs: Wir sehen ganz häufig in internationalen Schifffahrtsverträgen, dass zwar die Schiedsgerichtsbarkeit für Streitfälle vereinbart wird – aber eben immer noch oft LMAA. Teilweise ist das auch in Verträgen zwischen deutschen Parteien der Fall, die sich der Standard-Bimco-Verträge bedienen. Da steht drin, dass – sofern nichts anderes vereinbart ist – der Schiedsort London ist und die Regeln der LMAA gelten. Vermutlich sind die meisten beim Abschluss solcher Verträge froh, wenn man bei den Commercial Terms Einigkeit erzielt hat, dann legt man im Zweifel nicht mehr so viel Wert auf solche sogenannten »Midnight Clauses«. Das ergibt aber oft gar keinen Sinn. Warum sollte ein deutscher Reeder, der sein Schiff bei einer deutschen Werft in die Reparatur gibt, LMAA vereinbaren? Gleiches gilt für Kauf- oder Charterverträge unter deutschen Parteien. Wir haben genug Leute hier, die das können, es ist ein großer Pool an Kompetenz vorhanden – und Sie sind dabei noch nicht einmal auf die GMAA-Mitglieder beschränkt. Es ist durchaus sinnvoll, deutsche Sachverhalte auch nach deutschem Recht und deutschen Verfahrensregeln zu beurteilen.

Wie ist das bei Beteiligung nicht-deutscher Parteien?

Harbs: In dem Fall kann ich verstehen, dass dann nicht das »Heimrecht« der einen Partei gelten soll, sondern dass man sich auf etwas neutrales einigt, also beispielsweise auf englisches Recht und LMAA. Aber auch hier passiert das oft, ohne sich darüber im Klaren zu sein, was das eigentlich bedeutet – nämlich ein aufwendiges und teures Verfahren. Häufig muss man sogar eine »Disclosure« machen, das heißt, ich muss möglicherweise Geschäftsunterlagen preisgeben, auch solche, die für meinen eigenen Anspruch nachteilig sind. Alles was für den Fall relevant sein und der Wahrheitsfindung dienen könnte, muss ich grundsätzlich präsentieren. Das machen sich viele nicht klar, bis sie das erste Mal in einem solchen Verfahren sind. Daher: Augen auf bei der Vertragsgestaltung. In Deutschland gilt das Prinzip, dass nur das zu beweisen ist, was auch streitig ist. Und das limitiert natürlich das, was an Unterlagen beigefügt werden muss, was also die Schiedsrichter lesen und die Anwälte lesen müssen.

Sorgt der Brexit für mehr Zulauf für die GMAA?

Harbs: Was die Vollstreckung von Schiedsurteilen aus London angeht, gibt es durch den Brexit keine Einschränkungen,. Zwar sind jetzt die ganzen europäischen Verordnungen und Regelungen in Großbritannien weggefallen, insbesondere die Brüssel-1A-Verordnung, die die Vollstreckung von Gerichtsurteilen in der EU regelt. Nach wie vor gilt aber die New York Convention von 1958, die die Vollstreckung von Schiedsurteilen regelt. Wieder zum Thema werden könnten allerdings sogenannte »Anti Suit Injunctions«. Dabei verbietet ein britischer Gerichtsbeschluss einer Partei beim Bestehen einer Schiedsklausel, die Streitigkeit bei einem staatlichen Gericht anhängig zu machen und belegt das mit Strafe. Das wurde schließlich vom Europäischen Gerichtshof verboten, weil jedes Gericht über seine Zuständigkeit selbst entscheiden soll. In Großbritannien gilt diese Rechtsprechung durch den Brexit jetzt nicht mehr. Das ist ein Punkt, der uns Sorgen macht, aber auch anderen Kollegen in Kontinentaleuropa. Daher halten wir es für sinnvoll für Kontinentaleuropäer, europäische Schiedsverfahren zu vereinbaren. Dieser Punkt ist im Zuge des Brexits aus meiner Sicht am gravierendsten.

Interview: Felix Selzer

Abstract: German maritime arbitrators advocate domestic dispute resolution

Although a rich source of maritime disputes, the Corona crisis ist mainly keeping maritime lawyers busy with introducing and adapting to digitized proceedings, says Gregor Harbs, president of the German Maritime Arbitration Association (GMAA). The organisation hopes to strenghten Germany as a place of trial, at least for German parties.