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Christian Bubenzer kümmert sich bei der BG Verkehr um »Schwarz Rot Gold« am Heck. Im HANSA-Interview spricht er über »Luft nach oben«, Kundennähe, den vermeintlichen Preisnachteil, Seeleute, Auswirkungen ausländischer Schiffsfinanzierung und Pläne.[ds_preview]

Wie viele deutsche Seeleute sind derzeit auf den Weltmeeren unterwegs?
Christian Bubenzer
: Insgesamt sind es aktuell rund 5.000 Seeleute. Wir haben aber lediglich Daten über versicherte deutsche Seeleute. Das sind diejenigen auf Schiffen unter deutscher Flagge sowie einige »Ausstrahlungsversicherte«, also solche, die in Deutschland leben und auf Schiffen unter ausländischer Flagge fahren. Keine Daten haben wir allerdings darüber, wie viele deutsche Seeleute insgesamt unter anderen Flaggen fahren, die entsprechend nicht sozialversichert sind. Das ist eine Blackbox.

Abstract: The German flag wants to get closer to shipowners.

Christian Bubenzer looks after »Black Red Gold« on the stern at BG Verkehr. In an HANSA interview, he talks about the difference between public and commercial ship registers, »room for improvement«, customer proximity, the supposed price disadvantage, seafarers, the effects of foreign ship financing, and digitization.

Wie ist der Trend bei der Anzahl deutscher Seeleute?
Bubenzer: Die Effekte der Corona-Pandemie – lange Zeiten an Bord, wenig Landgang – haben den Job nicht attraktiver gemacht. Die Zahl bricht Gott sei Dank nicht ein, aber es gibt schon leichte Rückgänge. Wir hoffen, dass es sich stabilisiert. Letztendlich ist die deutsche Flagge für die Reedereien sehr gut geeignet, die auf deutsche und europäische Seeleute setzen und die eigene Leute ausbilden wollen, die dann länger im Unternehmen bleiben.

EU-Seeleute sind rechtlich gleichgestellt, dennoch setzen einige Reeder auf beispielsweise osteuropäische Seeleute, da sie vermeintlich günstiger sind …
Bubenzer: Genau das ist inzwischen nicht mehr der Fall, das war vielleicht früher so. Aber durch die ganzen Förderinstrumente, die es inzwischen in Deutschland gibt, gibt es keine nennenswerten Mehrkosten mehr. Ein gewisser Unterschied besteht noch, wenn man mit Nicht-EU-Seeleuten vor allem auf befristete Verträge setzt. Innerhalb der EU gibt es keine großen Unterschiede mehr. Außerdem haben sich mit der MLC die Arbeitsbedingungen angeglichen.

Und wie ist der Trend bei der Flotte unter deutscher Flagge?
Bubenzer: Ich würde es mit »Seitwärtsbewegung« und »stabil« beschreiben, ohne große Ausschläge nach oben oder unten. Die Containerschifffahrt ist nach wie vor das stärkste Segment.

Welches Segment folgt dann?
Bubenzer: Es gibt einige Mehrzweckschiffe unter deutscher Flagge. Reeder im Transport von Projektladung setzen bisweilen auf deutsche Seeleute, weil es einigen Ingenieur-Knowhows bedarf, um die Beladung vorzubereiten und vor allem an Bord umzusetzen. Ich kenne Reedereien, die sagen, da rechnet sich die deutsche Flagge. Andere sagen, die Offhire-Zeiten von Schiffen mit deutschen Seeleute seien geringer. Letztlich ist aber auch sehr wichtig, wie das Controlling der Reederei die Kosten berechnet und wie das Schiff finanziert ist. Bei einer ausländischen Schiffsfinanzierung ist es eher fraglich, ob auf die deutsche Flagge gesetzt wird. Man muss bei dieser Debatte immer im Hinterkopf haben: Wer entscheidet eigentlich über die Flagge? Ist es wirklich die Reederei?

Hören Sie das von Reedern?
Bubenzer: Ja, das ist vielleicht auch ein Nachteil im Gegensatz zu anderen Flaggen: Wir haben wenig Kontakte in die Schiffsfinanzierung. Wir sind auch nicht renditeorientiert, das unterscheidet uns von den meisten anderen Flaggen, die zum Teil sehr gut in der Finanzierungsbranche vernetzt sind.

Auch wenn die Kosten aus Ihrer Sicht nicht mehr ausschlaggebend sind: Das Image der deutschen Flagge ist nicht das Beste …
Bubenzer: Das ist ein wichtiger Punkt. Neben den vermeintlichen Mehrkosten ist der Vorwurf, wir seien umständlicher. Aber es gibt ja Reeder, die die deutsche Flagge fahren. Wenn wir so umständlich wären, würden die uns den Rücken kehren, das tun sie aber nicht. Ich stelle immer wieder fest, das Reeder eine positive Entwicklung bei uns feststellen, wenn sie die deutsche Flagge testen.

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Christian Bubenzer, BG Schiffssicherheit (© BG Verkehr)

Was hat sich denn getan?
Bubenzer: Die deutsche Flagge ist in den letzten Jahren deutlich kundenorientierter geworden. Da sind viele alte Zöpfe abgeschnitten worden. Wir wissen, wir stehen im Markt und müssen mehr machen. Es wird nicht mehr so sein wie in den 70er- oder 80er-Jahren, als die deutsche Handelsflotte praktisch nur aus deutscher Flagge bestand – der Zug ist abgefahren. Wir wollen aber nicht, dass es immer weiter runter geht, sondern einen qualitativ hochwertigen Kernbestand halten, mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit. Das ist auch ein wichtiges Thema für uns, und zwar nicht nur im Sinne des Umweltschutzes – da sind andere Flaggen auch sehr aktiv – sondern auch im Sinne der Seeleute: Ich finde, da hat die deutsche Flagge wirklich Stärken – Stichwort Sozialversicherung. Allein die Unfallversicherung ist eine enorme Absicherung, die eine private P&I-Versicherung nie bieten könnte. Auch bei der medizinischen Ausstattung haben wir einen Top-Standard, der sich sehen lassen kann. Wenn ich weiß, ich habe die Leute sozial abgesichert, bekomme aber die Mehrkosten komplett wieder, dann ist das doch an sich ein super Benefit.

Diese Punkte erhöhen aber natürlich auf die Kosten, werden Reeder sagen …
Bubenzer: Ist es wirklich so viel mehr? Bei der Sozialversicherung ist es so, ja, aber ein Reeder bekommt alles zurückerstattet, was er an Sozialversicherungsabgaben hat. Und die Lohnsteuer muss er gar nicht erst zahlen, dafür gibt es den hundertprozentigen Lohnsteuereinbehalt. Zusätzlich gibt es eine Förderung für Ausbildungsplätze und eine Förderung von der Stiftung Schifffahrtsstandort Deutschland, wenn sie junge Offiziere ihre Patente ausfahren lassen. Ich frage dann gerne: Wo ist die deutsche Flagge noch teurer als andere EU-Flaggen?

Trotzdem leidet die deutsche Flagge unter ihrem Ruf, wird nicht selten angeführt als ein Paradebeispiel für die umständliche deutsche Behördenlandschaft. Gibt es etwas, was Sie verbessern wollen?
Bubenzer: Ja, da gibt es einige Punkte. Letztlich geht es immer um einen Top-Service und engen Kundenkontakt. Andere Flaggen machen mehr Besuche vor Ort. Das machen wir zu wenig und sind nicht nah genug am Kunden. Da ist ehrlicherweise noch Luft nach oben. Die finanzielle Förderung für die deutsche Flagge ist super.

Was können Sie in puncto Digitalisierung noch machen?
Bubenzer: Mir schwebt ein Kundenportal vor, bei dem ein Reeder alle möglichen Dinge an einer zentralen Stelle erledigen kann – ähnlich wie es bei einigen Klassen ist. Wir sind digital wirklich nicht schlecht aufgestellt, aber wir müssen zu einem Portal kommen, wo ein Reeder 24/7 sich über Besichtigungen, Zeugnisse etc. informieren und arbeiten kann.

Reeder fordern immer wieder auch Chancengleichheit, wenn sie deutscher Flagge fahren. Es geht letztlich vor allem um die Kosten …
Bubenzer: Ich kenne die Berechnungen der Unternehmen nicht, aber wenn die Kosten tatsächlich so hoch wären, wieso fahren dann Reedereien wie Hapag-Lloyd, Rörd Braren oder Rambow unter deutscher Flagge?

Gegner dieser Meinung würden sagen: Weil sie die Mehrkosten über eine Quersubventionierung auffangen …
Bubenzer: Ist das wirklich so? Große Reeder können das vielleicht, aber viele kleine können das eher nicht. Ich möchte mich an dieser Stelle bei unseren vielen bestehenden Kunden bedanken, die deutsche Flagge fahren und uns die Treue halten. Das sind nicht nur große Unternehmen, sondern auch viele kleinere.

85–90 % der international fahrenden deutschen Schiffe sind ausgeflaggt. Wo soll es hingehen?
Bubenzer: An der deutschen Flagge hängt sehr stark auch die Ausbildung deutscher Seeleute. Man könnte zwar unter EU-Flagge genauso ausbilden, aber das passiert zu wenig. Wenn keine deutschen Seeleute nachkommen, dann haben wir keine Besichtiger mehr für Flaggenstaat- und Hafenstaatkontrollen. Dann haben die Lotsen Nachwuchs-Probleme, die Wasserschutzpolizei, die Verkehrszentralen der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung, der Zoll und und und… Auch Reederei-Inspektoren werden Mangelware. Und dann reden wir irgendwann nicht mehr nur über die deutsche Flagge, sondern über den gesamten Schifffahrtsstandort.

Andere Flaggen leisten auch gute Arbeit, die Zeit der oft und hart (und nicht selten überzogen) als »Billigflaggen kritisierten Register, ist von einigen Ausnahmen abgesehen vorbei, oder?
Bubenzer: Zumindest die deutschen Reeder nutzen keine Billigflaggen. Die kommerziellen Flaggen haben andere Strukturen, lagern viele Services aus. Wir wollen eine Kernkompetenz auch in der Verwaltung behalten. Ich finde das ist eine unserer großen Stärken. Auch wir lagern zum Teil aus, Schiffsbesichtigungen im Ausland macht bei uns zum Beispiel auch die Klasse. Aber wir haben ehemalige Seeleute in der Verwaltung, die gewisse Dinge besser beurteilen können, etwa in nautisch-technischen Fragen. Wir führen auch Hafenstaatkontrollen durch, kennen also auch die andere Seite. Ein weiterer Vorteil ist aus meiner Sicht das Netz von 220 deutschen Botschaften und Konsulaten im Ausland. Ich sage mal so: »Gut Wetter« kann jede Flagge. Aber wenn Sie kritische Situationen haben, beispielsweise deutsche Schiffe oder Seeleute aus bestimmten Gebieten herausbekommen müssen, ist es schon hilfreich, wenn Sie vor Ort eine diplomatische Vertretung haben. Das ist aber nicht bei allen Flaggen der Fall.

Interview: Michael Meyer

Anmerkung: Gern hätten wir in diesem Beitrag auch weitere Informationen und Einblicke zur Konstellation eines öffentlich-rechtlichen Schiffsregisters, »Hausaufgaben« für die Politik aus Sicht der Schifffahrt sowie zum Thema Schiffe als »kritische Infrastruktur« veröffentlicht. Leider hat das Bundesverkehrsministerium als zuständige übergeordnete Behörde die entsprechenden Antworten nicht freigegeben.