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Dr. Detlef Zschoche, Senior Partner der Kanzlei Ince & Co., Hamburg, hat am 2. November 2009 beim Nautischen Verein Brunsbüttel zur zunehmenden Kriminalisierung der Seeleute vorgetragen. Anhand einiger historischer Seeunfälle mit Bild (z. B. Untergang der »Titanic« 1913, Kollisionen der »Andrea Doria« mit der »Stockholm« 1956, der »Hasselwerder« mit der »Kilkenny« 1991, Untergänge des TMS »Erika« 1999 und des TMS »Prestige« 2002 sowie der Pierkollision des MS »Zim Mexico III« 2006) zeigt er auf, daß immer häufiger Gerichtsverfahren gegen Kapitäne u. a. verbunden mit längerer Untersuchungshaft eingeleitet und durchgeführt werden.

Hierfür sieht Zschoche mehrere Gründe. Änderungen der Seeunfalluntersuchungssysteme aller größeren Schifffahrtsnationen von überwiegend ehrenamtlichen Seeämtern / Verklarungskommissionen zu hauptamtlichen Verwaltungsfachbehörden. Letztere[ds_preview] geben nach Abschluss ihrer Ermittlungen einen Untersuchungsbericht mit Empfehlungen für die Vermeidung künftiger Unfälle. Feststellungen zu schuldhaftem oder fehlerhaftem Verhalten machen sie nicht. Dies veranlasst die Staatsanwaltschaften zur Einleitung eigener Ermittlungen, welche früher regelmäßig den Seeämtern überlassen wurden. Weiterer Grund der Kriminalisierung sei eine ausufernde Gesetzgebung Angesichts der überbordenden internationalen wie nationalen gesetzgeberischen Aktivitäten (von IMO, Flaggen- und Hafenstaaten) einschließlich der Kontrollen fragt sich Zschoche: »Wie soll der Seemann an Bord diese Flut von Bestimmungen beherrschen und ihre stets punktgenaue Einhaltung gewärleisten?« Zunehmende formale Rechtsverstöße seien nicht zu vermeiden und erleichtern die Kriminalisierung der Seeleute. Auch das zunehmende Medieninteresse an »Live«-Berichterstattung bei Seeunfällen noch vor Eintreffen professioneller Retter, Berger oder Fachleute führen zu Druck auf die Ermittlungsbehörden.

Trotzdem sei dies alles kein Grund zu verzweifeln, da das Risiko zunächst bewertet werden muss und beherrschbar ist. Im Strafrecht der meisten Seefahrtsnationen stehen folgende drei Tatbestände im Vordergrund: Totschlag bzw. fahrlässige Tötung und Körperverletzung, Gefährdung der maritimen Sicherheit und Gewässerverunreinigung und Umweltgefährdung. Beim Antreffen von Bootsflüchtlingen und Einschleichern (»Stowaways«) ist im übrigen der Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung zu beobachten. Folgende Hauptgruppen des öffentlichen Seerechts können gebildet werden: Internationale Kodifikationen der IMO (z. B. ISM, ISPS, STCW u. a.), örtliche Verkehrsregelungen, nationale Zoll- und Hafenbestimmungen und andere behördliche Vorschriften. Als generelle Regel stellt Zschoche auf: »Bei reinen Seeunfällen im Sinne der Verwirklichung einer Seegefahr oder als Folge höherer Gewalt ist weder eine strafrechtliche noch eine ordnungsrechtliche Verfolgung zu besorgen. Ausschließlich in Fällen persönlicher Fahrlässigkeit (Nachlässigkeit) ist eine solche Verfolgung zu befürchten.« Mit folgenden fünf Verhaltendsregeln sei eine straf- oder ordnungsrechtliche Verstickung zu vermeiden:

1. Der Seemann sollte sich, soweit möglich, die »richtige« Reederei aussuchen, und damit Substandardschiffe vermeiden (eine Regel, die in den Fällen »Erika« und »Prestige« möglicherweise verletzt wurde).

2. Der Seemann sollte sich von den Grundsätzen »guter Seemannschaft« leiten lassen. Hierzu enthält das STCW-Übereinkommen wichtige Regeln. Gute Seemannschaft geht jedoch darüber hinaus.

3. Der Seemann sollte alle ISM-Bestimmungen und die Weisungen des Reeders einschließlich der klassifikatorischen und operativen Wartungsbestimmungen befolgen.

4. Der Seemann sollte nicht die Bedeutung von Ruhezeiten und körperlicher Fitness unterschätzen. In diesem Zusammenhang weist Zschoche in einem Exkurs auf die automatischen Wachüberwachung hin. Neben seinem Hinweis gemäß STCW 1995 auf den erforderlichen Ausguck auf der Brücke bei Nacht und verminderter Sicht sei zu beachten, daß bei Abschalten der automatischen Wachgängerüberwachung stets das Risiko besteht, den Versicherungsschutz zu verlieren.

5. Der Berufsseemann sollte stets seinen gesunden Menschenverstand nutzen. Er müsse bei Mängeln im Schiffsbetrieb seine Vorgesetzten und die Inspektion an Land überzeugen, diese Mängel zu beseitigen. Andernfalls steige das Risiko des Seemanns, bei einer Havarie strafrechtlich verfolgt zu werden. Als Beispiel dafür führt Zschoche den Fall der »Cap Triunfo« an, Hier hatte die Fortsetzung einer Reise durch die Ostsee ohne alle Seekarten zu einer schweren Grundberührung geführt.

Schließlich gab Zschoche den Seeleuten verschiedene Verhaltensempfehlungen bei Eintritt eines Schiffsunfalles. Hierzu zählen an erster Stelle die Sorge um die Personensicherheit und den Verschlusszustand des Schiffes sowie die Erhaltung / Wiederherstellung seiner Manövrierfähigkeit. Des weiteren behandelt er die Kommunikation mit Küstenfunkstellen, Behörden und Reederei, die Beweissicherung an Bord und schließlich die Kooperation mit Bergern /Rettern und Behörden, aber auch der Abgrenzung und die Kontrolle des Informationsflusses gegenüber Behörden und Presse.