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Die Verteidiger der Seeräuber bemängeln in ihren Plädoyers, die soziale Situation der Angeklagten sei vom Gericht zu wenig gewürdigt worden. Der Prozess sei von einer »europäischen Sichtweise« beherrscht.

Normalerweise deuten die Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidigung auf ein nahe bevorstehendes Prozessende hin. Bei dem Verfahren gegen zehn mutmaßliche[ds_preview] somalische Piraten vor dem Hamburger Landgericht, denen vorgeworfen wird, am Ostermontag 2010 rund 530 sm vor der somalischen Küste das Containerschiff »Taipan« der Hamburger Reederei Komrowski geentert zu haben, soll nun aber nach dem ersten Plädoyer der Verteidigung wieder in die Beweisaufnahme eingetreten werden.

Die Seeräuber hatten sich dem Schiff mit einem schnellen Boot genähert und es geentert. Die 15 Seeleute, unter ihnen auch zwei Deutsche, konnte sich während der Attacke in den Sicherheitsraum retten und einen Notruf absetzen. Vier Stunden später setzten Hubschrauber ein Kommando der niederländischen Marine, das von der Fregatte »Tromp« aus gestartet war, auf der »Taipan« ab. Den Niederländern gelang es, die Piraten gefangen zu nehmen und die Seeleute aus ihrem Versteck zu befreien.

Zum Prozess waren sie nach Hamburg überstellt worden; das Verfahren begann im November 2010 unter intensiver Medienbeobachtung – immerhin war es der erste Piratenprozess in der Hansestadt seit mehr als 400 Jahren. Wegen der langen Verfahrensdauer waren jedem der Angeklagten zwei Pflichtverteidiger zugeordnet worden, damit der Prozess nicht neu aufgerollt werden müsste, falls einer der juristischen Beistände beispielsweise als Folge von Krankheit ausfallen würde. Es waren bislang zähe Verhandlungen, denn jede Aussage der Angeklagten musste ins Deutsche, jede Frage vom Deutschen ins Somalische übersetzt werden. Neun der zehn Somalier haben ihre Beteiligung an dem Überfall im Verlauf des Prozesses eingeräumt. Einige behaupteten allerdings, sie seien unter Zwang dazu gebracht worden, die »Taipan« zu entern.

Überfall wurde mit militärischer Präzision durchgeführt

Nach einer Verhandlungsdauer von 14 Monaten wurde die Beweisaufnehme zunächst abgeschlossen und Oberstaatsanwältin Friederike Dopke hielt ihr Plädoyer. Sie führte aus, der Überfall sei hochprofessionell und mit militärischer Präzision abgelaufen. Die Angeklagten hätten die Schiffsbesatzung in Lebensgefahr gebracht. Nur durch eigene Umsicht und Glück sei die Crew bei dem Angriff nicht verletzt worden. Welche der Angeklagten die Schüsse abgegeben haben, sei nicht zu klären gewesen, so Dopke. Allerdings könne auch keinem Angeklagten nachgewiesen werden, in die Organisation der Tat direkt eingebunden gewesen zu sein. Den Schaden für die Hamburger Reederei Komrowski bezifferte sie auf mehr als eine Million Euro. Nach Ansicht der Anklage haben sich die Somalier eines Angriffs auf den Seeverkehr und erpresserischen Menschenraubs schuldig gemacht.

Bei ihren Ausführungen zum Strafmaß bezeichnete Dopke die Einlassung eines Angeklagten, er sei zur Teilnahme an dem Überfall gezwungen worden, als unglaubwürdige, »abenteuerliche Geschichte«. Sie bezweifelte, dass ein unbekannter Fischer auf dem Meer entführt worden sein sollte, wenn sich andere doch geradezu danach drängten, sich an einem solchen Piraterie-Angriff zu beteiligen. Schließlich habe viel Geld für eine Tatbeteiligung gelockt. Die Oberstaatsanwältin forderte, sieben der Männer sollten nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden, und zwar zu Haftstrafen zwischen sieben und elfeinhalb Jahren. Für die drei weiteren Angeklagten forderte sie eine Jugendstrafe zwischen vier und fünfeinhalb Jahren.

Als erster Verteidiger hielt Anwalt Philipp Napp sein Plädoyer. Mindestens neun weitere wurden danach erwartet. Er führte aus, seinem Mandanten Hussein M. (28) sei der Tod lieber als die Aussicht auf zehn Jahre Haft, wie die Staatsanwaltschaft sie gefordert hatte. Sie nehme ihm »jede Perspektive« und vernichte seine Existenz. Der in der Haft ergraute Mann zerbreche daran, im Ungewissen über das Schicksal seiner Familie zu sein. »Mein Mandant ist ein gebrochener Mann, er ist psychisch und physisch am Ende«, führte Anwalt Napp aus.

Sind Angeklagte durch den Bürgerkrieg selbst Opfer?

In seinem Plädoyer kritisierte er, die Lebensumstände seines Angeklagten und diejenigen der Menschen in Somalia seien während des Verfahrens viel zu kurz gekommen. Mehr als die Hälfte der Menschen im Alter von weniger als 30 Jahren sei in einem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land aufgewachsen, rund zwei Millionen Menschen seien auf der Flucht, zu diesen Flüchtlingen hätte auch die Familie des Mandanten gehört. Sein Mandant leide unter einer posttraumatischen Störung. Anträge, ihn psychiatrisch untersuchen zu lassen und seine somalische Ehefrau vor Gericht zu seinem Geisteszustand zu befragen, habe das Gericht abgelehnt, obgleich die Verteidigung dies mehrfach beantragt hatte. Sein Vorwurf an das Gericht: »Diesen Prozess beherrscht eine europäische Sichtweise.«

Sein Kollege Ulfert Jährig als Verteidiger desselben Angeklagten schlug in die gleiche Kerbe und attackierte besonders die Staatsanwaltschaft. »Sie hat nach 71 Verhandlungstagen das Grundproblem des Verfahrens nicht verstanden. Damit missachtet sie die Würde und das schwere Schicksal der Angeklagten.« Für eine konkrete Höhe des Strafmaßes plädierte er nicht, führte aber aus, die Strafe für Hussein M. sei zu mildern, da dieser sehr früh ein Geständnis abgelegt und bei dem Überfall keine Waffen getragen habe.

Nach diesen Plädoyers musste das Gericht die Runde der Anwaltsvorträge zunächst beenden und wieder in die Beweisaufnahme eintreten. Denn die Verteidiger haben drei neue Beweisanträge gestellt. Ein schnelles Ende des Verfahrens scheint damit nicht absehbar zu sein. Termine für die Verhandlungsräume im Oberlandesgericht sind zumindest erst einmal bis in den Mai hinein gebucht.


Eigel Wiese