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Dienstag, 14. Mai 2019. Zeit für einen Rückblick. Die »Polarstern« ist ein Schiff mit einer bewegten und bewegenden Geschichte.

Der Wind fegt mit einer Stärke von Bft. 8–9 über unser Schiff. Gewaltige Wellenberge türmen sich auf. Das Meer – in Aufruhr. Innerhalb kürzester Zeit ist das Arbeitsdeck geflutet. Aus Sicherheitsgründen werden die Außenbereiche für alle Expeditionsteilnehmer gesperrt.

Während draußen der Sturm tobt, sitzen wir in der warmen Kammer unseres Fahrtleiters und blättern die Gästebücher der »Polarstern« Seite für Seite durch. Unfassbar, was dieses Schiff seit seiner Indienststellung im Jahr 1982 alles erlebt hat.

Auf jedem deutschen Forschungsschiff sind die Gästebücher ein gut gehüteter Schatz. Jede Expedition wird von den Wissenschaftlern auf mehreren Seiten mit Zeichnungen, Texten und Fotos aufwändig gestaltet – als Dank an den Kapitän und seine Crew. Gerade bringt unserer Kapitän Moritz Langhinrichs noch das allererste »Polarstern«-Buch.

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Wiedervereinigung auf der »Polarstern« (© vdL)

Dick in braunes Leder eingebunden, ist es prall gefüllt mit Erinnerungen. Der erste Eintrag – schlicht überschrieben mit »Antarktis I« und wir denken, wie es wohl gewesen sein muss, das erste Mal mit diesem Schiff ins ewige Eis zu fahren. In Gedanken reisen wir mit den Polarstern-Fahrern von Pol zu Pol.

Fünf Jahre nach der ersten Fahrt bleiben wir an einem Eintrag vom 9. August 1987 hängen. 14 Wissenschaftlerinnen haben ihn unterschrieben, mit dem Hinweis, dass zuvor noch nie eine so große Gruppe von Frauen die Möglichkeit hatte, an einer wissenschaftlichen Expedition in der Arktis teilzunehmen. Sie schreiben: »Heute möchten wir an alle Frauen denken, die in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in Zukunft an der Erschließung der unbekannten Arktis teilnehmen.« Heute, 32 Jahre später, ist es eine Selbstverständlichkeit.

Helmut Schmidt an Bord

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Auch Helmut und Loki Schmidt waren an Bord (© vdL)

Prominente »Polarstern«-Fahrer haben sich ebenfalls im Gästebuch verewigt: Ein Schwarz-Weiß-Foto zeigt Altbundeskanzler Helmut Schmid und seine Frau Loki. Sie waren während einer Fahrt von Longyearbyen nach Hamburg an Bord. Ihr Eintrag vom 7. Juli 1989: »Wir haben viel Neues gelernt, freundliche Menschen getroffen und uns wohl gefühlt.«

Vier Monate später – der Mauerfall. Weit entfernt von der Heimat, in der die Menschen die Öffnung der Mauer feiern, sitzen zehn Männer im ewigen Eis der Antarktis. Sie arbeiten auf der »Georg Forster«-Station, die von der DDR betrieben wurde. »Als wir am 17. Oktober 1989 aus der alten DDR in die Antarktis aufbrachen, konnte niemand die historischen Ereignisse, die zur Wiedervereinigung führten, auch nur ahnen. Trotz kaltem Wetter auf dem eisigen Kontinent und starken politischen Stürmen in der Heimat haben wir unsere wissenschaftliche Arbeit unverdrossen fortgesetzt«, schreiben sie im Gästebuch.

Drei Jahre, von 1989 bis 1991, dauerte ihr Einsatz in der Antarktis. Drei Monate nach der Wiedervereinigung nimmt sie »Polarstern« an Bord. »Die Nachricht von unserer Heimreise mit der »Polarstern« wurde von allen mit Freude aufgenommen. Das Betreten des Schiffes war für uns der erste Kontakt mit dem »neuen« Deutschland. Die herzliche und offene Aufnahme an Bord erleichterte uns das Einleben. Durch viele Gespräche erhielten wir Einblicke in das neue Leben und die bundesdeutsche Forschungslandschaft. Herzlichen Dank für alles sagen die Forsteraner«, heißt es.

Es wird Zeit . . .

Es sind Worte, die uns bewegen, während wir auf gutes Wetter hoffen, um unsere Geräte auszusetzen. Beim wissenschaftlichen Meeting, zu dem sich alle Expeditionsteilnehmer jeden Tag im »Kinosaal« der »Polarstern« treffen, um die weiteren Arbeiten detailliert zu besprechen und erste Ergebnisse zu diskutieren, hält unser Fahrtleiter Gerhard Bohrmann das aktuelle Gästebuch hoch. Nur noch drei Wochen auf See, es wird Zeit, sich Gedanken zu machen, wie wir unsere Fahrt auf den noch leeren Seiten verewigen wollen.