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Ein Inventory of Hazardous Materials (IHM) wie es in der Verschrottungsverordnung der EU

(EU SRR) vorgeschrieben ist, müssen bis Jahresende rund 16.000 Schiffe an Bord haben. Angesichts der Kürze der Zeit könnten am Ende viele die Frist reißen.

Das IHM listet Gefahrstoffe an Bord mit genauer Typisierung, Ort und Menge auf. Das ist besonders am Lebensende eines Schiffs[ds_preview] wichtig, damit bei der Verschrottung entsprechend mit den Materialien umgegangen werden kann. Seit 31. Dezember 2018 müssen neue Schiffe ab 500 GT und größer, die unter EU/EWR-Flagge fahren, ein valides IHM an Bord haben. Ab dem 31. Dezember 2020 gilt das für alle Schiffe unter EU/EWR-Flagge oder unter der Flagge von Drittstaaten, wenn sie einen EU/EWR-Hafen anlaufen.

Was, wenn das Zertifikat nicht bis zum 31. Dezember 2020 vorliegt? »Es gibt keine zusätzliche Zeit«, sagt Gerhard Aulbert, Head of Section EU Certification and Ship Recycling, DNV GL. Für eine Verlängerung besteht auch nach Meinung von Henning Gramann, CEO des Dienstleisters GSR Services, aus Sicht des Gesetzgebers keine Notwendigkeit: »Die Verordnung ist Ende 2013 in Kraft getreten und es sollte für die Industrie möglich sein, innerhalb von sieben Jahren diese relativ kleine Vorgabe umzusetzen. Dass bis kurz vor Ende gewartet wird, bewirkt einen selbstverschuldeten Engpass.«

Gramann hatte Anfang 2019 in der HANSA gewarnt, dass ein Drittel der IHM-pflichtigen Flotte die Frist wohl nicht einhalten kann. Leider stelle sich die Situation heute dramatischer dar, als ursprünglich angenommen, sagt er: »Nach jetziger Schätzung müssten über 100 Schiffe pro Tag ein zertifiziertes IHM erhalten, damit alle Betroffenen bis Ende dieses Jahres fristgerecht auf die EU-Anforderungen vorbereitet sind. Auch wenn im letzten Jahr scheinbar viele ›IHM-Experten‹ ausgebildet wurden, stellen sich etliche Fragen bezüglich der tatsächlich vorhandenen Kapazität.«

Diese Experten müssten zunächst praktische Erfahrungen sammeln, um eine effiziente Abarbeitung der großen Anzahl von Schiffen sicherzustellen, zum anderen seien die Kapazitäten nicht allein ausschlaggebend. »Wir verzeichnen bei den entsprechend akkreditierten Laboren und den Klassifikationsgesellschaften bereits seit Monaten eine stark erhöhte Durchlaufzeit. Ich gehe davon aus, dass es bei einer Beauftragung nach Mai dieses Jahres kaum noch möglich sein wird, die Vorgabe ein zertifiziertes IHM an Bord zu führen, fristgerecht erfüllt werden kann«, sagt Gramann.

Bei DNV GL sieht man den Flaschenhals besonders bei den Inspektionen an Bord, die meiste Zeit werde für die Vorbereitung des IHM und den On Board Survey benötigt. »Schwesterschiffe können zwar ›identical by design‹ sein, aber verschiedene Eigner, Manager und Einsatzgebiete haben. Jedes Schiff braucht sein eigenes IHM«, so Aulbert. Verfügt ein Schiff schon über ein Gefahrstoffkataster nach der noch nicht rechtskräftigen Hong Kong Convention der IMO, reicht das nicht, eine Extra-Inspektion ist nötig. Auch ein Green Passport muss in EU-SRR-konformes IHM überführt werden.

Gesamtdauer: drei Monate

Die Vorbereitung des IHM unterscheidet sich zwischen Neubau und Bestand. Für neue Schiffe stellt die Werft das IHM, die wiederum die Material Declarations (MDs) und die Suppliers Declaration of Conformity (SDOC) von ihren Zulieferern bekommt.

Henning Gramann bemerkt aber, dass auf Zuliefererseite die neuen Vorgaben oft unbekannt seien: »Da Lieferanten nicht zwangsläufig Hersteller sind, müssen sich diese bei ihren eigenen Lieferanten die Informationen einholen, das dauert teilweise Wochen und Monate. Wer also bei der IHM-Pflege nur auf interne Prozesse achtet, wird kein funktionierendes System implementieren können.« Eine Anleitung und Begleitung der Lieferanten müsse seitens der Reederei, bzw. des Dienstleisters, auf jedem Fall in den ersten Jahren in Betracht gezogen werden.

Bei Schiffen, die bereits in Fahrt sind, muss der Eigner die Liste erstellen: Er kann eigene, zertifizierte HAZMAT-Experten einstellen oder den Auftrag an Externe geben. Bei älteren Schiffen könnte das Auftreiben der Materialdeklarationen schwer sein. »Dafür erlaubt der Gesetzgeber das Sampling. Die Sammlung der Dokumente sollte Vorrang haben, aber wenn das nicht möglich ist, müssen Proben genommen werden«, sagt Aulbert.

Diese Experten sammeln die schiffsspezifischen Dokumente und evaluieren diese, anschließend wird ein Plan für die visuelle Überprüfung und die Beprobung erstellt. Danach erfolgen die »visual checks« und das Sampling an Bord, die Proben gehen ins Labor, dann werden die Dokumente für die Zertifizierung vorbereitet. Allein dieser Prozess braucht mindestens vier Wochen.

Ein Approval Engineer einer Klassifikationsgesellschaft sichtet den IHM-Report, das dauert etwa zwei Wochen. Dann kann der Onboard-Survey durch die Klasse beantragt werden. Wenn das Equipment an Bord mit dem in der Liste aufgeführten übereinstimmt, gibt es ein Zertifikat.

Der ganze Prozess für ein einzelnes Schiff nimmt so bis zu drei Monate in Anspruch. »Reichen Sie also allerspätestens bis zum 31. Oktober 2020 ihre Reports ein«, sagt Beyza Doyduk, Deputy Head of Section Ship Recycling, DNV GL. Sie empfiehlt, das mit einem ohnehin in diesem Jahr anstehenden Annual Survey zu kombinieren. Das Zertifikat gilt fünf Jahre, bis ein Renewal Survey fällig wird.

Sorgfalt ist Trumpf

Das IHM muss nach der Zertifizierung dann bis zur Verschrottung eines Schiffs weiter gepflegt werden. Dazu sollte der Schiffseigner nach Empfehlung von DNV GL eine Person bestimmen, die sich um die stetige Aktualisierung kümmert. So jemand muss beispielsweise Material-Deklarationen, die mit Ausrüstungsgegenständen an Bord kommen, sammeln und ablegen. Dafür gibt es bei den Klassifikationsgesellschaften bereits entsprechende Software. Bei DNV GL ist das Datenmanagement-Tool in die Plattform Veracity integriert, hier wird gespeichert, was sich wann wo verändert hat. Stimmen IHM und der tatsächliche Zustand des Schiffs nicht überein, verliert das Zertifikat seine Gültigkeit.

Bei einer Hafenstaatkontrolle wird zunächst nur überprüft, ob ein Schiff ein gültiges IHM mitführt. Ist dies nicht der Fall, gibt es deutliche Hinweise auf ein Abweichen von IHM und Schiffszustand oder gibt es an Bord keine Prozedur zur IHM-Pflege, können genauere Inspektionen folgen.

Bei der ganzen Eile dürfe man jetzt aber die Qualität nicht außer Acht lassen, mahnt Henning Gramann. Es handle sich um sogenannte »Technical Files« und wenn diese nicht korrekt erstellt würden, könnten hohe Regressforderungen von zukünftigen Eignern der Schiffe gestellt werden. »Vor diesem Hintergrund fallen Preisunterschiede bei der Erstellung von IHMs kaum ins Gewicht, die Qualität zählt. Hier ist neben der Auswahl eines kompetenten IHM-Experten auch entscheidend, welches Labor dieser verwendet.« Die Labore müssten nicht nur gemäß der Norm zum Qualitätsmanagement ISO 17025 akkreditiert sein, sondern zudem auch die richtigen Analyseverfahren anbieten. »Wiederholt haben wir von Laboren aus Europa und Asien Angebote erhalten, die trotz HKC-Zertifizierung einer Europäischen Klassifikationsgesellschaft, die das Thema IHM aktiv bewirbt, nicht die erforderlichen Kombinationen anbieten. Dies ist hochgradig irreführend und risikobehaftet, da das Strafmaß für Verstöße gegen die IHM-Vorgaben der EU in Frankreich mit bis zu einem Jahr Gefängnis oder 100.000 € geahndet werden können. In Großbritannien droht eine unbestimmte Geldsumme und sogar zwei Jahre Gefängnis«, so Gramann.


Felix Selzer