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Die Schifffahrtskrise hat sich negativ auf den technischen Zustand der Flotte ausgewirkt, so ist oft zu hören. Corona verursacht zusätzliche Herausforderungen. Nick Owens, CEO des weltgrößten Besichtigungsdienstleisters Idwal, erwartet einen Mentalitätswandel bei Reedern

Das vor zehn Jahren von der Schifffahrtsgruppe Graig gegründete Unternehmen mit Hauptsitz im walisischen Cardiff führt mit mittlerweile rund 360[ds_preview] Besichtigern über 1.500 Inspektionen pro Jahr durch. Dadurch können sich Owens und sein Team ein durchaus repräsentatives Bild von der Flotte machen.

Auf die Frage, ob sich der Zustand der Flotte coronabedingt verschlechtert hat, da Ersatzteile aufgrund von Fabrikschließungen zunächst nicht produziert, später wegen anderer Restriktionen nicht mehr geliefert werden konnten, sagt Owens gegenüber der HANSA: »Die kurze Antwort lautet ja. Der Zustand der Schiffe ist vielleicht nicht so gut, wie er sein sollte.« Der CEO führt das allerdings auf eine Kombination weiterer Faktoren zurück. So seien viele Besichtigungen aufgrund der scharfen Reiserestriktionen, unter die auch Besichtiger fallen, verschoben worden. Zudem könne es sich negativ auswirken, wenn Hunderttausende von Seeleuten auf Schiffen festsitzen. »Sie arbeiten hart, aber Motivationsprobleme und Müdigkeit werden sich unweigerlich auf den Zustand der Schiffe auswirken. Werden die Besatzungen die zusätzliche Meile auf dem Schiff zurücklegen, wenn sie nur nach Hause gehen wollen? Und wer würde es ihnen verübeln, wenn nicht?«, so der Idwal-Chef.

Besichtigungen aus der Ferne, »remote surveys«, wie sie von Einigen vorangetrieben werden, sind für ihn nur zum Teil eine Option. In Zukunft werde das zwar an Bedeutung gewinnen. »Aber es besteht ein Unterschied zwischen Inspektion, Verifizierung, Auditierung, Schulung oder Anleitung. Einige dieser Dinge lassen sich nicht reproduzieren«, meint Owens. Nicht zuletzt der persönliche Faktor spricht für ihn dagegen: »Wie geht eine Künstliche Intelligenz an Bord und legt ihre Arme um den Chefingenieur, weil dieser seit neun Monaten an Bord ist? Wie wird die Sicherheitskultur beurteilt? Das kann Künstliche Intelligenz nicht.«

Eine Möglichkeit für den Einsatz solcher Tools sei die Überprüfung vorher festgelegter Punkte durch die Crew an Bord – etwa auch an Stellen, von denen man weiß, dass es Probleme gibt. »Aber man kann nicht alle Dinge ersetzen die ein Bordbesuch bewirken soll. Sie brauchen einen erfahrenen Marineexperten. Ich denke, eine Mischung ist der beste Weg, um ein robusteres System zu schaffen«, sagt Owens. Man müsse die Daten interpretieren, ansonsten sei kein Zusammenhang mit dem Wert eines Schiffes herstellbar.

Arbeit mit deutschen Banken

Beim Blick auf die zuletzt immer öfter auf den Markt gebrachten Instrumente für »remote surveying« gibt er sich zurückhaltend und bezweifelt, dass es bislang komplett erfolgreich umgesetzt werden konnte: »Manchmal könnte man meinen, es sei wie ein Impfstoff. Ich bin allerdings skeptisch. Vielmehr sehe ich, dass die Nachfrage nach physischen Besichtigungen weiter anhält.

Idwal führt nach eigenen Angaben vor allem Zustandsinspektionen im Zusammenhang mit Finanztransaktionen durch – in Deutschland war man beispielsweise durch die Restrukturierungen bei der NordLB und der ehemaligen HSH Nordbank stark beschäftigt. Bevor ein Schiff finanziert wird, wird es inspiziert, um sicherzustellen, dass es in gutem Zustand ist und seinen Wert erhalten kann. Bisweilen gibt es Anfragen im Rahmen laufender Darlehensfazilitäten für Finanzinstitute, die aus irgendeinem Grund den Zustand des Schiffes überprüfen müssen. Auch der zuletzt deutlich angezogene Markt von Secondhand-Verkäufen hat zu einer ganzen Reihe von Inspektionen geführt.

Darüber hinaus gibt es einen weiteren Markt, der zuletzt, insbesondere infolge der Corona-Pandemie, »wahrscheinlich der am schnellsten wachsende Teil unseres Geschäfts« ist, wie Owens betont. Dabei handelt es sich um Inspektionen im Auftrag von Schiffseignern oder -Managern. Können oder wollen sie keine eigenen Leute an Bord schicken, wählen sie zunehmend externe Dienstleister. »Im Gegensatz zu Reedern und Managern haben wir weltweit über 360 Besichtiger: Wir müssen sie nicht um die ganze Welt schicken.« Der größte Teil sind Besichtiger, Freiberufler oder Sub-Unternehmer.

2.500 Inspektionen im Jahr 2021?

Selbst wenn es 2021 eine gewisse Entspannung in der Corona-Krise geben sollte, glaubt Owens nicht, dass dieses Geschäft wieder komplett heruntergefahren werden muss. »Ich glaube, dass es einen Mentalitätswandel bei Schiffseigner geben wird. Ist es wirtschaftlich sinnvoll, eigene Ressourcen in die ganze Welt zu schicken, wenn man an eine glaubwürdige Alternative outsourcen kann, die sich als genauso gut erwiesen hat wie die internen Ressourcen?«, so Owens.

Er erwartet, dass Eigner die Kosten- und Umweltvorteile erkennen, da sie durch die Einschränkung von Flugreisen einen besseren Kohlenstoff-Fußabdruck haben können. »Ich denke, dass im Laufe der Zeit die Kombination aus dem wirtschaftlichen Nutzen, den Opportunitätskosten und dem Umweltaspekt, stärker wird.«

Im Jahr 2020 verbuchten die Briten rund 1.700 Inspektionen, ein leichtes Wachstum im Vergleich zu den 1.500 im Vorjahr. Aufgrund der Corona-Restriktionen war besonders das erste Quartal schwierig, »aber die Beschleunigung seit April/Mai war phänomenal. Der Aufschwung war stark, und wir sind in Märkten gewachsen, in denen wir vorher nicht so stark waren, zum Beispiel in Japan mit Vorverkaufsstudien«, erläutert Owens. Je nachdem, wie sich die Pandamie weiter entwickelt, will er das Auftragsbuch auf rund 2.500 Inspektionen im Jahr 2021 steigern.

Blick auf Deutschland

Wachstumspotenzial sieht er unter anderem in Deutschland. Hierzulange gebe es auch neben dem Abbauprogramm der Banken »noch viel mehr, was wir in tun könnten.« Schon bald könnte ein eigener Vertreter für Deutschland eingesetzt werden.

Wachstum erhofft sich Owens vor allem in Form von Arbeit in bisher nicht so stark bedienten Märkten. »Wir sind sehr stark in den Bereichen Finanzen, Schiffsbesitz und Schiffsmaklerei, und vielleicht werden wir in andere Bereiche wie Versicherungen oder ähnliches gehen – sei es durch organisches Wachstum oder »alternative Lösungen« geprüft werden.« Fusionen oder Übernahmen seien zwar nicht ganz oben auf der Liste, »aber es ist etwas, das wir natürlich im Auge behalten.«