Print Friendly, PDF & Email

Die Londoner Versicherungsbörse sorgt mit ihrem geplantem Rückzug für Unruhe im Bergungssektor. Denn befürchtet werden steigende Risiken. Von Michael Hollmann

Wie ernst meint es Lloyd’s of London [ds_preview]noch mit der Schiffsversicherung? Nach dem forcierten Abbau der Risikokapazität in den letzten Jahren liefert die Versicherungsbörse an der Leadenhall Street ihren Zweiflern jetzt einen Grund mehr. Die Schadenservice-Abteilung des Lloyd’s-Marktes (Lloyd’s Agency) beabsichtigt, den über 100 Jahre alten »Salvage Arbitration Branch« zu schließen und hat dazu Beratungen mit beteiligten Akteuren aus Versicherung, Schifffahrt und Recht aufgenommen.

Die Institution verfügt nur über eine Handvoll Mitarbeiter, bildet aber einen wichtigen Eckpfeiler für Auftragsvergaben und Leistungsabrechnungen im Bergungsgeschäft weltweit. Sie verwaltet die »Lloyd’s Open Form« (LOF) – lange Zeit der Standardvertrag schlechthin für Bergungsaufträge in akuten Notlagen. Daran sind Gremien von Sachverständigen (Special Casualty Representatives), Branchenpartnern (Lloyd’s Salvage Group) und Schiedsrichtern (Panel of Arbitrators) angeschlossen, die bei Durchführung und Weiterentwicklung des Vertrags behilflich sind.

Frist läuft aus

Bis 7. Mai hatten beteiligte Gruppen innerhalb und außerhalb Lloyd’s Zeit, Stellungnahmen zur geplanten Schließung des Salvage Arbitraton Branch einzureichen. Bis Anfang Juni laufen noch Beratungen, dann soll es einen endgültigen Beschluss geben.

David Lawrence, Chef der Lloyd’s Agency, verwies darauf, dass die Bergungssparte keine »Kernaktivität« mehr sei und daher auf dem Prüfstand stehe. Heftigen Widerspruch gibt es vom Dachverband der Bergungsreedereien ISU (International Salvage Union), für deren Mitglieder Aufträge unter LOF eine wichtige Erlösquelle darstellen.

Die Vereinigung warnt vor ernsten Konsequenzen für die Sicherheit auf See und die Meeresumwelt, wenn Lloyd’s die Administration dafür einstellt. Dem Vertrag und damit auch den eingespielten Mechanismen in der Havariebekämpfung drohe das Aus. »Die Risiken für Seeleute und die Schäden bei Seekasko-, Waren- und Offshore-Geschäft steigen unweigerlich an«, schreibt die ISU.

LOF für 1 Mrd. $ an Werten

Die LOF gilt als sehr effektives Instrument, weil Berger ohne Vorverhandlungen beauftragt werden. Läuft ein Tanker auf Grund oder driftet ein Frachter nach Maschinenausfall auf ein Riff zu, zählt schließlich jede Minute. Hauptsache die Bergung kommt schnell in Gang, kommerzielle Fragen werden erst im Anschluss – notfalls im Schiedsverfahren – geklärt. Pro Jahr würden durchschnittlich Werte von über 1 Mrd. $ durch LOF-Bergungen gerettet, unterstreicht die ISU.

Allerdings lässt sich nicht leugnen, dass der Vertrag über die Jahre an Bedeutung verloren und teilweise durch andere kommerzielle Verträge verdrängt wurde. 2019 und 2020 wurde er jeweils rund 40 bis 50 mal aktiviert. Im ersten Quartal dieses Jahres wurde weltweit nur sechs mal eine LOF gezeichnet – im gleichen Zeitraum 2020 noch 17 mal.

Für den Seehandelsplatz London steht einiges auf dem Spiel. Lokale Anwaltskanzleien und Sachverständige haben mit Aufträgen in Zusammenhang mit LOF immer wieder gut zu tun. Der Branchenverband Maritime London soll sich deshalb bereits an die Regierung in Westminster gewandt haben.

Dass der Vertrag und seine Administration ersatzlos gestrichen werden, ist wohl eher unwahrscheinlich. Man müsse nur einen anderen Mantel finden, unter dem die Arbeit fortgesetzt wird, meint ein deutscher Experte, der mehrfach mit LOF zu tun hatte. Das könne in London sein, müsse es aber nicht. In Singapur stehe die Konkurrenz wahrscheinlich schon in den Startlöchern. ■