Einen Tag vor Ankunft des Unglücksfrachters »Ever Given« in Rotterdam fehlen noch Havarie-grosse-Garantien für Tausende von Containern.
Mehrere Monate Verspätung [ds_preview]und dann auch noch Nachschüsse auf die Fracht – sonst werden die Container nicht freigestellt. Für Kunden, die Ladung auf dem 20.000-TEU-Schiff »Ever Given« aus Fernost gebucht hatten, war es eine kostspielige Reise.
Mit rund dreieinhalb Monaten Verspätung kommt der Frachter nach der Havarie im Suezkanal und anschließenden Arrestierung morgen in Rotterdam an. Für eine beträchtliche Anzahl Container dürfte die Reise dort aber wieder ins Stocken kommen. Denn die Empfänger benötigen die Ware gar nicht mehr, oder sie scheuen die hohen Extrakosten für die Freistellung der Container.
Nachdem der japanische Eigner des an Evergreen vercharterten Schiffs, Shoei Kisen, frühzeitig Havarie-grosse erklärt hat und darauf pocht, dass sich die Ladungskunden an den Kosten für die Rettung von Schiff und Ladung beteiligen, müssen Garantien oder Bareinschüsse von (vorläufig) 25% des Warenwerts (CIF) vorgelegt werden. Sonst kommen die Empfänger nicht an ihre Ware.
Für ein Drittel der Ladung fehlen Sicherheiten
Etliche Wochen hatten Verlader und ihre Transportversicherer Zeit, die nötigen Dokumente einzureichen. Aus gut unterrichteten Quellen erfuhr die HANSA, das von April bis Ende vergangener Woche dem zuständigen Dispacheur Richards Hogg Lindley aber nur für rund zwei Drittel der gesamten Ladung die notwendigen Havarie-grosse-Sicherheiten zugestellt wurden. Die »Ever Given« hat laut einem Reuters-Bericht rund 18.000 beladene TEU an Bord.
Viele Kunden befürchten, dass sie über Gebühr belastet werden. Sie befürchten, dass auch die vermutlich sehr hohe Schadenersatzzahlung in den Havarie-grosse-Topf mit einfließt, die Shoei Kisen der Suezkanalbehörde für die Aufhebung des über zwei Monate langen Arrests zahlen musste. Schätzungen für die vertraulich ausgehandelte Summe liegen zwischen 150 Mio. und 500 Mio. $.
Bleibt Evergreen auf Containern sitzen?
Der Rechtsexperte eines Logistikkonzerns, der Ladung auf dem Schiff hat, vermutet, dass die Reederei auf bis zu 3.000 TEU sitzen bleiben könnte, die von Kunden aufgegeben wurden. Das wäre ein Ärgernis nicht nur für Shoei Kisen, sondern auch für Evergreen und Slotcharterer, deren Equipment dadurch blockiert wird. Ganz zu schweigen vom Hafen Rotterdam, der schon jetzt aus allen Nähten platzt.
Auf Nachfrage der HANSA gab sich der Terminalbetreiber ECT Delta, der sämtliche Boxen für den europäischen Kontinent umschlagen soll, dennoch gelassen. »Wir gehen davon aus, dass es sich um eine begrenzte Anzahl von Containern handelt, die wir die wir notfalls in einem gesonderten Bereich unterbringen können«, sagt ECT-Sprecher Rob Bagchus.
Nach dem Rotterdam-Anlauf soll die »Ever Given« Anfang kommender Woche nach Felixstowe weiterfahren. Die für Hamburg bestimmten Container sollen mit dem 6.000-TEU-Schiff »Ever Utile« von Rotterdam an die Elbe gebracht werden, nachdem Hamburg aus dem Fahrplan gestrichen worden war.
Nach Havarie droht juristisches Nachspiel
Auch wenn viele Kunden in letzter Minute doch noch die Sicherheiten bzw. Havarie-gross-Einschüsse stellen, um weitere Verzögerungen zu vermeiden, geht der Widerstand gegen die Anlastung der Havariekosten weiter. Gerüchten zufolge sind erste Kunden und Versicherer vor den High Court in London gezogen, um die Havarie-grosse anzufechten. Sie argumentieren, dass sich Schiff und Ladung zu keinem Zeitpunkt in einer gemeinsamen Gefahr befunden hätten, weil man die Ladung mit Bergungsgeräten von der im Suezkanal querliegenden »Ever Given« hätte leichtern können. (mph)