Andre Wortmann, PwC
Andre Wortmann (Foto: PwC)

Die wirtschaftliche Lage und die Aussichten der meisten deutschen Reedereien sind gut, als drängendstes Problem für die Unternehmen identifiziert die aktuelle »Reederstudie« des Beratungsunternehmens PwC den Fachkräftemangel.[ds_preview]

Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bewältigung großer Herausforderungen sind nach einem ganzen Jahrzehnt der Krisenbewältigung und Konsolidierung wieder gut: Die Schifffahrt boomt – diese Einschätzung teilen neun von zehn deutschen Reedereien, heißt es in der neuen, 14. Ausgabe der jährlich erscheinenden PwC-Reederstudie. Der Aufschwung ist mittlerweile bis zu den kleinsten Schiffseigentümern vorgedrungen, in 93 % der deutschen Hochseereedereien sind alle Schiffe ausgelastet. Auch der Blick in die Zukunft ist von Zuversicht geprägt: Drei von vier Reedern rechnen mit Wachstum. Sorgen bereitet der Branche jedoch der Fachkräftemangel. Für die Studie hat PwC Deutschland 106 Entscheider in deutschen Hochseereedereien zu ihrem Blick auf den Markt und in die Zukunft befragt.

»Containerschiffe ohne Beschäftigung sind zu einer absoluten Seltenheit geworden«, kommentiert André Wortmann, Leiter des Maritimen Kompetenzzentrums bei PwC Deutschland. Diese positive Entwicklung führt er zum einen auf die Nachholeffekte nach dem Handelsstau im Zuge der Pandemie zurück. Gleichzeitig haben sich aus seiner Sicht die strukturellen Gegebenheiten in der deutschen maritimen Industrie nach den Konsolidierungsmaßnahmen in Folge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 verändert: »Die Nachholeffekte treffen auf eine Unternehmenslandschaft, die eine Dekade aus Krisen und Konsolidierung hinter sich hat«, so Wortmann.

Burkhard Sommer, stellvertretender Leiter des Maritimen Kompetenzzentrums bei PwC Deutschland, fügt hinzu: »Heute sind nicht mehr Kapazitäts­überhänge bei fehlender Nachfrage das Problem, sondern im Gegenteil mangelnde Transportkapazitäten bei stark gestiegener Nachfrage.«

Die Schifffahrtsbranche blickt optimistisch in die Zukunft, wie PwC schreibt. 74 % rechnen in den kommenden zwölf Monaten mit Wachstum. Zum Vergleich: Im ersten Pandemiejahr 2020 lag der Anteil der Optimisten lediglich bei 33 %. Mit 65 % geht zudem weiterhin ein Großteil der Reeder davon aus, dass das weltweite Ladungsaufkommen in den kommenden fünf Jahren steigen wird (2021: 75 %). Mit Blick auf die Charterraten rechnen 62 % mit einer Stagnation, wenngleich auf hohem Niveau; der hohe Nachholbedarf an weltweiten Transporten nach den ersten beiden Pandemiejahren hat die Fracht- und Charterraten in die Höhe getrieben.

Passende Finanzierung bleibt Herausforderung

Auch die Flotten sind wieder gewachsen. Pro Reederei werden im Schnitt sieben mehr Schiffe betreut als noch 2020. Mit Blick auf Neukäufe sind die Reeder jedoch vorsichtig: 69 % befürchten, dass die vielen Neubestellungen für Containerschiffe in ein paar Jahren zu Überkapazitäten führen werden.

Die größeren und umsatzstärkeren Reedereien fokussieren sich in ihrer Planung und Umsetzung mehrheitlich auf energieeffiziente und umweltfreundliche Schiffsneubauten. Die Reedereien mit kleineren Flotten und weniger Mitarbeitenden planen eher mit Gebrauchtschiffen.

PwC-Experte Burkhard Sommer zu den Gründen: »Gerade für die kleineren und mittelgroßen Reedereien besteht weiterhin die Herausforderung, passende Finanzierungen zu finden. Zudem herrscht Verunsicherung, welche regulatorischen und umweltpolitischen Maßnahmen ab wann wirklich greifen und welche Umwelttechnologien und Antriebe sich auf dem Markt durchsetzen werden.« Folglich geben fast drei Viertel der kleineren Reedereien an, dass es derzeit viel mehr Schiffsneubestellungen gäbe, wenn diese Situation klarer wäre.

Fachkräftemangel ist das drängendste Problem

In den vergangenen zwölf Monaten haben 73 % der Reedereien neue Mitarbeiter eingestellt – und wollen dies auch in naher Zukunft tun. 69 % planen in den kommenden zwölf Monaten mit Neueinstellungen. Entlassungen sind dagegen kaum mehr ein Thema: Nur 13 % haben im vergangenen Jahr Beschäftigte entlassen.

»Die Personalanpassungen bis in das Jahr 2021 hinein haben dazu geführt, dass es in vielen Reedereien kaum personellen Spielraum gab, als die Nach­fra­ge nach Transportkapa­zitäten im vergangenen Jahr plötzlich explodierte. Nun wird der Fachkräftemangel zur großen Herausforderung für die Branche«, sagt Wortmann. Laut Befragung ist die Personalsituation für mehr als jede zweite Reederei (55 %) aktuell das gravie­rendste Problem.

Corona-Probleme klingen ab, Ukrainekrieg belastet Geschäft

Die Corona-Pandemie bleibt ebenfalls eine Herausforderung, auch wenn sich die Reedereien mittlerweile gut auf die Situation eingestellt haben: 93 % der Befragten geben an, dass sie inzwischen nicht mehr so starke Beeinträchtigungen ihrer Geschäftsprozesse durch Corona registrieren wie noch vor ein oder zwei Jahren. Lediglich noch 12 % sind der Meinung, dass die Mehrzahl der deutschen Container-Reedereien es nach der Corona-Krise nur mit staatlicher Hilfe schafft, weiterzumachen. 2020 befürchteten dies noch 41 % der Befragten.

Nicht zuletzt hat die anhaltende Invasion Russlands in der Ukraine gravierende Auswirkungen auf die Reedereien: So ist knapp jeder Zweite (48 %) der Meinung, dass die Geschäftsprozesse im Unternehmen durch den Krieg nachhaltig beeinträchtigt werden. 40 % der Reeder bewerten die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs als eher negativ. 14 % geben hingegen an, dass sie eher positive wirt­schaft­­liche Auswirkungen in ihren Unternehmen spüren. Dazu zählen einzelne Fracht- und Charterratenerhöhungen oder Ertrags­steigerungen durch die Verschiebung von Warenströmen. Bei 17 % halten sich die positiven und negativen Folgen die Waage. 29 % der Reeder bemerken derzeit gar keine Auswirkungen des Kriegs auf ihr Geschäft.

»Weitere Verwerfungen durch den Ukrainekrieg einschließlich der steigenden Inflation und Konsumzurückhaltung könnten noch bevorstehen. Die mit der Pandemie und durch den Ukrainekrieg offensichtlich gewordene Anfälligkeit der Lieferketten könnte zu einem Umdenken führen, das zumindest in kritischen Bereichen die Globalisierung hinterfragt und weniger Abhängigkeit oder zumindest die Diversifikation von Abhängigkeiten nahelegt. Dies dürfte auch in der Schifffahrt zu neuen Herausforderungen führen«, lautet das Fazit von Wortmann.