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Der Nord-Ostsee-Kanal hat gemessen an der Schiffszahl eines seiner schlechtesten Jahre seit Kriegsende erlebt. Gründe sind die schwächelnde Konjunktur im Ostseeraum, das Russland-Embargo und der niedrige Ölpreis, schreibt Frank Behling
Erstmals seit 1946 befuhren in einem Jahr weniger als 30.000 Schiffe die Wasserstraße zwischen Brunsbüttel und Kiel. Für viele Reeder[ds_preview] ist der Weg um Skagen trotz des hohen Treibstoffverbrauchs günstiger als der Weg durch den Kanal. Doch es gibt Zeichen der Erholung und der Einbruch bei Gütermengen und Schiffstonnage ist nicht so schlimm wie bei der Passagezahl.

Die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) zog am 12. Januar Bilanz. 29.284 Schiffe passierten 2016 die Schleusen der meistbefahrenen künstlichen Seewasserstraße der Welt. Das waren fast 10% weniger als 2015. Und erstmals seit 1946 sackte die Schiffszahl unter die Marke von 30.000. Die Schiffe beförderten 83,7 Mio. t Ladung – ein Rückgang von 7,6%. Die Vermessung aller passierten Schiffe erreichte die Marke von 128,5 Mio. BRZ – etwa 15 Mio. BRZ weniger als 2015.

Die Gründe für diesen Einbruch lagen ausnahmsweise mal nicht an maroden Schleusen. 2016 war das erste Jahr seit 2012, in dem in Brunsbüttel und Kiel alle vier großen Schleusenkammern nahezu uneingeschränkt zur Verfügung standen. Dennoch: »2016 war ein wirklich schlechtes Jahr für alle am Kanal. Den Rückgang haben alle Beteiligten deutlich gespürt«, sagt Jens Broder Knudsen, Geschäftsführer der Kieler Schifffahrtsagentur Sartori & Berger und Vorsitzender der Initiative Kiel Canal. Zu erwarten sei dieses Ergebnis nur bedingt gewesen. »Die Entwicklung im Ostseeraum war insgesamt nicht so optimal«, sagt Knudsen.

Die schlimmsten Monate seien nach Beobachtungen der Schiffsmakler März, August und September gewesen. Im Vergleich zu den Vorjahresmonaten wurde in diesen drei Monaten zeitweise ein Minus von 18 bis 20% verzeichnet. Im November ging es aber wieder stark nach oben. »Wir haben auch im Dezember einen starken Anstieg bei den Passagezahlen erlebt«, sagt Jann Petersen, Geschäftsführer der Agentur UCA United Canal Agency.

Als erste bekamen diese Entwicklung die Lotsen und Kanalsteurer am Kanal zu spüren. »Die Kollegen haben Einbußen beim Einkommen um etwa 20%. Da wir direkt von der Schifffahrt abhängen, schlägt das auch sofort durch«, erklärt Stefan Borowski, Ältermann der Lotsenbrüderschaft NOK II in Kiel. Die Folge: »Wir haben 2016 keine Aspiranten eingestellt und werden es 2017 wohl auch nicht tun«, sagt Borowski. Ziel sei es, die Zahl der Lotsen in der Brüderschaft in Kiel von 180 auf 170 zu reduzieren. Ähnlich auch die Situation bei der Brüderschaft NOK I in Brunsbüttel. Beide Brüderschaften teilen sich den Kanal. Auch bei dem Verein der Kanalsteurer sind die Einnahmen gesunken. »Die Kollegen spüren das deutlich«, heißt es dort. Sie sind als Verein organisiert und werden von den Reedern der Schiffe bezahlt. Auch für sie gilt: weniger Schiffe, weniger Einkommen.

»Entscheidende Faktoren waren die wirtschaftliche Entwicklung im Ostseeraum und der niedrige Bunkerpreis«, sagt Petersen von der UCA. Im Januar lag der Preis für 1t Marinediesel bei 310$. Die Folge: Im Januar fuhren nur noch 2.413 Schiffe durch den Kanal. Seit vergangenem Herbst klettern aber die Preise an den Ölmärkten wieder.

Die ersten Tage des neuen Jahres und der steigende Ölpreis haben bereits Wirkung gezeigt. Im Januar wird das Vorjahresergebnis bereits übertroffen. »Mein Ausblick für 2017 ist deshalb deutlich optimistischer als mein Rückblick auf 2016«, sagte Knudsen. So stieg Mitte Dezember der Preis für 1t Marinediesel in Rotterdam schon wieder auf die Marke von 474$ – ein neuer Höchststand seit Januar 2016. Analysten sehen aufgrund der politischen Rahmenbedingungen bereits für Februar die Marke von 500 $/t fallen. Der steigende Ölpreis bringt auch den Ölexport aus der Ostsee wieder auf Touren.

In der ersten Januarhälfte haben mehr als ein Dutzend großer Tanker den Kanal auf dem Weg ins Baltikum passiert. Aber auch Frachter kehren in den Kanal zurück, weil die Rechnung wieder aufgeht. Ein etwa 10.000 BRZ großes Handelsschiff zahlt für eine Kanalpassage etwa 7.000 € von Kiel bis in die Elbmündung. Stammkunden bekommen bei regelmäßigen Durchfahrten zudem Rabatte auf die Befahrungsabgaben.

Besonders bei den Befahrungsabgaben stehen daher Anreize im Fokus. »Eine Senkung der Befahrungsabgaben für Schiffe mit LNG als Treibstoff wäre ein wichtiger Schritt. Es muss darum gehen, den Kanal für die Schifffahrt wieder attraktiver zu machen«, so Makler Knudsen.

Die Kanalkosten für ein Schiff bestehen aus verschiedenen Posten. Da sind zunächst die Befahrungsabgaben, die an das Bundesverkehrsministerium gehen. Sie machen etwa ein Viertel der Kosten aus. Weitere Posten sind Lotsgeld, Kanalsteurer, Makler und Lotsabgaben, mit denen beispielsweise Seezeichen finanziert werden.

Die entscheidende wirtschaftliche Kennziffer für den Nord-Ostsee-Kanal ist jedoch inzwischen die Ladung. Nachdem 1965 mehr als 80.000 Schiffe den Kanal passierten, sank diese Zahl. Zwei andere Kurven steigen jedoch seit Jahren an. Die Schiffsgröße (BRZ) und die Ladungsmenge. 2012 wurden erstmals mehr als 100Mio.t Güter durch den Kanal befördert. Die durchschnittliche Schiffsgröße klettert ebenfalls rasant. 1990 hatte das Durchschnittsschiff im Kanal eine Vermessung von 1.770BRZ, 2015 lag die Durchschnittsgröße bei 4.454BRZ. Und größere Schiffe befördern mehr Ladung. Diesen Trend bestätigt auch die Statistik. Das schlägt sich auch bei der Ladungsmenge nieder. 2016 wurden im Vergleich zu 1996 etwa doppelt so viele Güter durch den Nord-Ostsee-Kanal befördert. Inzwischen hat das Durchschnittsschiff im Nord-Ostsee-Kanal eine Vermessung von 4.387BRZ. Zum Vergleich: 2008 lag bei 42.800 Schiffen die Durchschnittsgröße bei 4.091BRZ pro Schiff. »Der weltweite Trend hin zu größeren Schiffen spiegelt sich auch im Nord-Ostsee-Kanal wider«, sagt Jörg Heinrich, Leiter der Unterabteilung Seeschifffahrt in der GWDS. Insbesondere der Einsatz großer Feederschiffe ist ein Grund für den Anstieg der Vermessung. Die Zahl der Zubringer-Schiffe mit Ladekapazitäten von über 1.000TEU ist stark gestiegen. »Das zeigt auch, dass trotz der negativen Entwicklung bei der Schiffszahl der Ausbau des Nord-Ostsee-Kanals nicht gestoppt werden darf«, so Jann Petersen.

Baumaßnahmen werden aber auch 2017 den Kanalverkehr etwas ausbremsen. Wie das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Kiel-Holtenau am 19. Januar mitteilte, müssen in Kiel-Holtenau zwischen Mitte April und Mitte Juli die beiden verbliebenen Schleusenkammern für Wartungs- und Reinigungsarbeiten wechselseitig gesperrt werden. So müssen allein 14.000m3 Sediment aus den Kammern und Torbunkern entfernt werden. Gleichzeitig wird in Kiel der Neubau der kleinen Schleusen vorbereitet. Die 1895 gebauten Kammern sollen in den kommenden Jahren für rund 240Mio. € erneuert werden. Der Abriss der bestehenden Bauwerke soll 2018 beginnen.


Frank Behling