Zu wenig oder schlechtes Material, zu wenig Personal, zu viel Bürokratie – der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels hat harte Kritik an der Marine geübt.
Alle Probleme seien längst bekannt, beschrieben, analysiert, bewertet und konzeptionell irgendwie bedacht – [ds_preview]nur ändern würde sich wenig, schreibt der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels in seinem jüngsten Bericht. Alle Teilstreitkräfte der Bundeswehr bekommen ihr Fett weg, die Marine schneidet ebenfalls schlecht ab.
In Kurzform: Die Bundeswehr ist in ihrer derzeitigen Verfassung und mit ihrer heutigen Ausrüstung nicht »verteidigungsfähig«. 20.000 Stellen oberhalb der Mannschaftsebene sind nicht besetzt, ein Großteil des rollenden und schwimmenden Arsenals ist nicht einsatzfähig, dringend benötigte neue Einheiten kommen verspätet, die Investitionen stocken, und mit einer überbordenden Bürokratie macht sich die »Truppe« selbst das Leben schwer.
Die Flotte schrumpft …
In einer langen Reihe von Mängeln taucht wiederholt auch die Marine auf. »Nie war die Flotte kleiner«, moniert Bartels. 15 größere Kampfschiffe existierten auf dem Papier, in der Realität seien es nach der Außerdienststellung von sieben 122er Fregatten lediglich neun Einheiten. »Dennoch gibt es kaum verlässliche Terminpläne für den Zulauf neuer Schiffe«, heißt es in dem Bericht.
Jüngstes Beispiel: Die ohnehin verspätete Auftragsvergabe zum Bau von vier insgesamt 5,27 Mrd. € teuren Mehrzweckkampfschiffen MKS 180 an die niederländische Werftengruppe Damen hat ein juristisches Nachspiel – es drohen weitere Verzögerungen und Kostensteigerungen. So kam die Klasse F 125 rund 64 Monate (mehr als fünf jahre!) verspätet und war 1,1 Mrd. € teurer als ursprünglich geplant. Ebenso wartet die Marine bislang vergeblich auf Ersatzbeschaffungen für ihre überalterten Tanker, die wegen technischer Mängel immer wieder aus dem Dienst genommen werden mussten.
Die Instandsetzung der Korvette »Braunschweig« hat sich von fünf auf 18 Monate verlängert. Grund: Aus den ursprünglich gemeldeten 78 Reparaturpositionen wurden am Ende 307. Bei der Fregatte »Brandenburg« verzögerte sich der Werftaufenthalt von sieben auf elfeinhalb Monate, beim Tender »Main« waren es 18 statt sechseinhalb Monate.
Aber auch die Bestandsflotte leidet unter einem Mangel an Material und Personal. Werftliegezeiten werden nicht planmäßig begonnen werden, weil die personelle Ausstattung im Marinearsenal nicht ausreicht. Liegezeiten verlängern sich teilweise erheblich. Viele Schäden oder Reparaturanforderungen werden nicht rechtzeitig erkannt. Darüber hinaus fehlten Ersatzteile, es gebe Mängel in der Planung sowie bei der Bauaufsicht, schreibt Bartels.
Nach wie vor gibt es für die neuen Fregatten der Klasse F125 kein Einsatzausbildungszentrum (EAZ). Das hatte bereits der Bundesrechnungshof angemahnt, weil dadurch das Mehrbesatzungskonzept nicht umgesetzt werden kann. Auch hier ein simpler Grund: Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) hatte schlichtweg keine Leute für ein Projektteam zur Verfügung.
Nachdem die Marine Personal abgestellt hatte, konnten sich das BAAINBw und das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr (BAIUD) nicht über die nächsten Schritte einigen. Dies sei ein Beispiel für »einen nicht in der Sache, sondern in der Administration begründeten Mangel«, heißt es im Bericht.
»Wie bereits für das Projekt Mehrzweckkampfschiff MKS-180 beschrieben,
haben wohl zu jeder Zeit alle beteiligten Stellen immer alles richtig gemacht,
nur kam es am Ende nicht zu einem nützlichen Ergebnis.«Zitat aus dem Bericht des Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels
Die Ausbildungseinrichtung wird wohl nicht vor 2030 in Betrieb gehen. So lange muss die Ausbildung komplett auf den Schiffen stattfinden. Dafür würden allerdings sechs oder acht Besatzungen für vier Schiffe benötigt, von denen wiederum nur maximal drei seeklar wären. »Damit sitzen die Soldaten zu oft auf dem Trockenen.«
Seit Sommer 2018 ist der Einsatzgruppenversorger »Frankfurt am Main« aufgrund mehrfacher Terminverschiebungen bei der Instandsetzung an die Pier gebunden. Die Bordbesatzung hat das Schiff während der Werftliegezeiten zu betreuen, so dass eine temporäre Außerdienststellung und Umverteilung der Besatzung nicht möglich ist. Die Arbeiten sollen nach Angaben des Verteidigungsministeriums erst im Juni 2020 beginnen und soll planmäßig im dritten Quartal 2021 enden – nach mehr als drei Jahren .
Generell bestehe der seit Jahren bekannte massive Personalmangel bei der Marine fort. Lange Abwesenheiten von zu Hause durch die Seefahrt in Kombination mit hohen fachlichen und körperlichen Anforderungen belasten die Soldaten. Dazu kommen zu viele unbesetzte Stellen. Im Fachkräftebereich Elektronik liegt der Besetzungsgrad bei den Unteroffizieren nur bei 63% (Soll: 177, Ist: 111). Bei den Fernmeldern Elektronische Aufklärung fehlt jeder zweite Soldat (Soll: 40, Ist: 19). Der Marine-Sicherungsdienst (Marine-Infanterie) weist, Bootsleute und Mannschaften zusammengenommen, einen Besetzungsgrad von gerade einmal 68% auf.
Einkaufen »von der Stange«
Bartels plädiert daher vor allem bei der Beschaffung von Rüstungsgütern für eine radikale Entschlackung der bisherigen Prozesse. Die noch von der ehemaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eingeleiteten Reformprozesse hätten nicht gegriffen. Sein Vorschlag ist simpel: »Das meiste an Ausrüstung muss nicht in umständlich definiert, dann europaweit ausgeschrieben, neu erfunden, vergeben, getestet, zertifiziert und schließlich über 15 Jahre hinweg in die Bundeswehr eingeführt werden. Man kann es auch einfach kaufen.« Also fordert der Wehrbeauftragte die Einführung des »IKEA-Prinzips« für viele Rüstungsgüter: »Aussuchen, bezahlen, mitnehmen.«