Reinhard Lüken VSM Verband für Schiffbau und Meerstechnik
Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer VSM
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Der Bedarf an neuen Schiffen und maritimen Strukturen ist angesichts der umwelt- und sicherheitspolitischen Entwicklungen eigentlich groß. Doch der deutsche und europäische Schiffbau kämpft mit schwierigen Rahmenbedingungen – auch und vor allem im Wettbewerb mit China.[ds_preview]

»Geostrategische Entwicklungen und die klimapolitische Transformation schaffen riesige Investitionsbedarfe für Schiffe und maritime Anlagen. Dennoch sieht sich die Industrie mit Unterauslastung und ungewisser Perspektive konfrontiert«, hieß es heute seitens des Verbands für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) in Hamburg.

Die pandemiebedingte Krise der Kreuzfahrtindustrie habe die dramatische Entwicklung der deutschen und europäischen Schiffbauindustrie offengelegt. Denn die Konzentration auf High-End-Märkte wie Kreuzfahrtschiffe, Yachten, Marineeinheiten und andere Behördenfahrzeuge war als Ausweg aus den jahrzehntelangen Marktverzerrungen vor allem in Asien gesehen worden. Dort fördern staatliche Unterstützungs- und Subventionspakete die heimischen Werften massiv, seit Jahren beklagen die Europäer Dumpingpreise in Fernost.

Wismar, MV Werften
© MV Werften

Nun zeigt sich allerdings die negative Seite der Konzentration auf einzelne Märkte wie die Kreuzfahrt. Von den massiven Neubauprogrammen hatten die Schiffbauer auch in Deutschland – etwa die mittlerweile insolventen MV Werften oder die Meyer Werft-Gruppe – profitiert. Doch neue Bestellungen blieben in den vergangen zwei Jahren bis auf wenige Ausnahmen aus, die Kreuzfahrtkonzerne hatten in der Pandemie immense Verluste gemacht. VSM-Chef Reinhard Lüken rechnet damit, dass erst »in ein paar Jahren« wieder mit signifikantem Neubau-Geschäft in diesem Segment zu rechnen ist.

Yachten für Oligarchen

Die Sanktionen gegen Russland und einige Oligarchen treffen auch den deutschen Schiffbau, nicht zuletzt im Bau von Mega-Yachten. VSM-Präsident Harald Fassmer geht davon aus, dass sie einen Einfluss auf die Branche haben werden, in welchem Umfang könne er jedoch nicht absehen. Lüken betonte, dass Aufträge aus Russland zuletzt zwar nicht unbedeutend waren, aber anteilsmäßig etwas abgenommen haben, etwa im Vergleich zu Yacht-Bestellern aus Nord- und Südamerika oder dem Mittleren Osten. »Die Werften spüren die Sanktionen und es kostet Geld, aber es ist nicht katastrophal«, betonte der Werftvertreter.

2021 konnte die Schiffbauproduktion laut dem VSM zwar stabilisiert und im Vergleich zum schwachen Vorjahr wieder deutlich erhöht werden. Aber: »Der schwache Auftragseingang weist schon jetzt auf eine erhebliche kommende Unterauslastung hin. Die Situation in Deutschland lässt sich eins zu eins auf ganz Europa übertragen.«

Starke Nachfrage erwartet

Der jahrelange Substanzverzehr an Schiffbaukapazitäten sei insbesondere vor dem Hintergrund der erwarteten stark wachsenden Nachfrage »besorgniserregend«. Lüken führte auch die große Nachfrage nach Offshore-Strukturen auf, die angesichts der sehr ambitionierten politischen Offshore-Wind-Ziele zu erwarten ist. Die Perspektiven seien insgesamt eigentlich sehr gut. Der Verband fordert daher »eine dringende Korrektur politisch gesetzter Rahmenbedingungen, um einen unwiederbringlichen Fähigkeitsverlust zu vermeiden.«

»Freiheitsindustrie«

In den Überlegungen spielen auch der Ukraine-Krieg und die Sanktionen gegen Russland eine Rolle, nicht zuletzt die geplante möglichst schnelle Abkehr von der Nutzung russischer fossiler Energieträger. »Dem engagierten Einsatz und entschlossenen Handeln, insbesondere im Hause von Bundeswirtschaftsminister Habeck, zollen wir Respekt und Anerkennung«, so der VSM weiter. Bei der Suche nach alternativen Lösungen, komme der maritimen Industrie eine zentrale Rolle zu: »Die maritime Wirtschaft sorgt für die globale Vernetzung der deutschen Volkswirtschaft, ermöglich die Diversifikation von Bezugsquellen für Energieträger, essenzielle Rohstoffe und Vorprodukte und reduziert so Abhängigkeiten«. Die maritime Industrie wird als eine »Freiheitsindustrie« bewertet.

Nicht zuletzt in diesem Zusammenhang sollte die dramatische Entwicklung des europäischen Schiffbaus alarmieren. Trotz einer Verdopplung der globalen Schiffbaunachfrage nahmen die Bestellungen in Europa auch im Vergleich zum extrem schlechten Vorjahr noch einmal um 20% ab. 85% aller Aufträge 2021 weltweit gingen an China und Korea, »die beiden Nationen, die ihre maritimen Industrien seit Jahren mit massiven Subventionen unterstützen«, heißt es aus dem Verband. Selbst Japan, das immer noch eine hohe Inlandsnachfrage aufrechterhält, trage inzwischen keine 10% mehr bei. Europas Marktanteil fiel auf unter 4%. Gleichzeitig sehen sich viele maritime Zulieferunternehmen wie in anderen Branchen mit wachsen Problemen vor allem in ihrem Chinageschäft konfrontiert: Local Content, Diskriminierung, Gängelung durch Parteifunktionäre – gute Geschäfte würden sich nur noch realisieren lassen, wenn der chinesische Kunde auf das Produkt unbedingt angewiesen ist.

 

»Uns bleiben noch zehn Jahre«

Der VSM machte heute deutlich, dass deutsche Werften nur bei auskömmlichen Vertragspreisen Aufträge einholen können – subventionierte Preise oder Verlustausgleich durch die Politik gebe es hier nicht. Obwohl einige Marksegmente eine Rekordnachfrage verzeichnet haben, bieten chinesische Werften den Angaben zufolge heute Baupreise, die um bis zu 30% niedriger sind als vor 15 Jahren.

Harald Fassmer
Harald Fassmer (© Fassmer)

Entsprechend deutlich richtet sich die Branche an die Politik: »Ohne durchgreifende Veränderung der politischen definierten Rahmenbedingungen wird Europa in den kommenden zehn Jahren die Fähigkeit zum zivilen Seeschiffbau in signifikanten Umfang verlieren.«

»Dass es uns überhaupt noch in diesem Umfang gibt, haben wir unserer großen Innovationsfähigkeit zu verdanken«, sagte VSM-Präsident Harald Fassmer. Dennoch zeige der Einbruch im Kreuzfahrtgeschäft das Risiko einer starken Fokussierung. »Daher drängen wir die Politik, auch im konventionellen Schiffbau faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.«

Schon heute sei die maritime Wirtschaft in Europa – und überdurchschnittlich in Deutschland – in erheblichem Umfang von Lieferungen aus China abhängig. Deutsche Reeder platzierten laut dem VSM im vergangenen Jahr Neubaubestellungen im Wert von 4 Mrd. €, davon 55% in China und 44% in Korea, der G20-Volkswirtschaft mit der größten Abhängigkeit von chinesischen Vorprodukten. Gleichzeitig baut China auch über günstige Finanzierungen der platzierten Neubauaufträge seinen weltweiten Einfluss auf die Handelsflotten kontinuierlich weiter aus. »Obwohl die Reedereiwirtschaft durch erhebliche Steuermittel unterstützt wird, verbleiben gerade einmal 1% der Neubauinvestitionen in der EU«, kritisieren die Schiffbauer.

Man werde in Europa zwar wohl keine Großtanker oder ähnliches bauen, »aber wir haben einen riesigen europäischen Binnenmarkt. Diesen Markt sollten wir vorrangig ins Auge fassen«, so Lüken. Dabei sollte es eine politische Verknüpfung von Förderungen – etwa zur Dekarbonisierung der Schifffahrt – mit einer Wertschöpfung, sprich Bestellung, in Europa. Das dies in der Vergangenheit nicht gemacht wurde, nannte der VSM-Hauptgeschäftsführer einen »entscheidenden Fehler«.

»Abhängigkeit verringern«

Die Bundespolitik habe die schmerzhafte Abhängigkeit von russischen Energieträgern erkannt und entschlossen reagiert. Der VSM forderte nun die Bundesregierung auf, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und »auch die stetig wachsende maritime Abhängigkeit und den drohenden Verlust der Freiheitsindustrie Schiffbau entschlossen und mit strategischem industriepolitischem Weitblick entgegenzutreten«.