Die Veränderungen der europäischen Handelsströme steigern die Nachfrage nach Tankern. Das Öl kommt nun aus Amerika und Nahost, teils auch mit größeren Schiffen.[ds_preview]
Trotz der wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheit, die der Krieg in der Ukraine mit sich brachte, setzte sich die Erholung der europäischen Ölnachfrage nach dem Covid-Pandemie im Jahr 2022 fort. Nach der russischen Invasion in der Ukraine und im Vorfeld des EU-Importverbots für russisches Rohöl auf dem Seeweg vom 5. Dezember hat Europa, begonnen, seine Rohölquellen zu diversifizieren. Dies hat zu einer erheblichen Umschichtung der Handelsströme geführt, die auch erhebliche Auswirkungen auf die Auslastung der weltweiten Tankerflotte hatte.
Nach Angaben des US-Brokers Poten stieg 2022 die europäische Ölnachfrage um 442 Kb/d (3,2 %) auf 14,34 Mb/d und setzte damit ihre Erholung von dem pandemiebedingten Tiefstand von 13,14 Mb/d im Jahr 2020 fort. Der europäische Raffineriesektor sah sich jedoch im Laufe des Jahres mit einigen Herausforderungen konfrontiert, da mehrere Anlagen in den Niederlanden und Frankreich bestreikt wurden. Dies führte zu einer geringeren Auslastung der europäischen Raffinerien, insbesondere im September und Oktober, als durch Streiks in Frankreich mehr als 60 % der Raffineriekapazitäten des Landes außer Betrieb waren. Im Februar werden in Frankreich weitere Arbeitsniederlegungen erwartet, da die Gewerkschaften gegen die vom französischen Präsidenten Macron vorgeschlagenen Rentenreformen protestieren.
Raffinerieausfälle und niedrigere Auslastungsraten könnten den Bedarf Europas an Rohölimporten verringern und den Bedarf an Produktimporten erhöhe, meint Poten. Die Streiks in Frankreich sollen nur wenige Tage nach dem Beginn des EU-Importverbots für russische Produkte am 5. Februar beginnen.
Der russische Einmarsch in der Ukraine hat nach Beobachtung von Poten erhebliche Auswirkungen auf die europäischen Rohölimporte. Im Januar 2022 importierte Europa etwa 2,16 Mb/d Rohöl aus Russland, was etwas mehr als 22 % der gesamten Einfuhren auf dem Seeweg entspricht. Die überwiegende Mehrheit dieser Barrels wurde aus den russischen Ostseehäfen bezogen.
Zunächst aufgrund der Selbstsanktionierung westlicher Ölgesellschaften und später als Folge des vollständigen EU-Einfuhrverbots war der Strom von Rohöl aus Russland im Dezember auf ein »Rinnsal« zurückgegangen, heißt es in dem Maklerbericht. In erster Linie ersetzen vier Gebiete nun die bisherigen russischen Importe: die USA, Südamerika, Westafrika und der Nahe Osten. Nordafrika trug ebenfalls dazu bei.
Die Einfuhren aus dem US-Golf stiegen im Jahr 2022 von 900.000 b/d auf 1,5 Mio. b/d. Dieser Anstieg ist teilweise auf die Freigabe von Barrels aus den strategischen Erdölreserven der USA zurückzuführen. In Südamerika sprangen insbesondere Brasilien und Guyana als Öllieferanten ein. Fast die Hälfte der Rohölexporte Guyanas gehen nun nach Europa. Auch Westafrika steigerte seine Ausfuhren nach Europa um 500.000 b/d und nicht zuletzt in den Nahen Osten. Von einem marginalen Lieferanten zu Beginn des Jahres (~200.000 b/d) lieferten die Produzenten rund um den Arabischen Golf bis Dezember fast 1 Mio. b/d, wobei erste Anzeichen auf einen weiteren deutlichen Anstieg im Januar 2023 hindeuten.
Mit der Verlagerung der Rohöllieferanten hat sich auch die Art der in diesem Verkehr eingesetzten Tanker verändert. Im Januar 2022 kamen 60 % der europäischen Rohölimporte mit Aframax-Schiffen und 34 % mit Suezmax-Schiffen an. Auf VLCCs entfielen nur 4 % des Gesamtvolumens. »Als der Krieg ausbrach und sich die Handelsstrukturen verschoben, änderte sich dieses Verhältnis«, so Poten. So wurde mehr Rohöl von weit entfernten Produzenten bezogen, womit es wirtschaftlicher wurde, größere Schiffe einzusetzen. Im September 2022 wurden VLCCs für 17 % der Gesamteinfuhren auf dem Seeweg eingesetzt, 41 % entfielen auf Suezmaxe. Der Einsatz von Aframax-Schiffen ging auf 40 % zurück.
Ein Teil dieser Verschiebung sei auf den raschen Anstieg der Frachtraten für Aframax-Schiffe und in geringerem Maße für Suezmax-Schiffe nach der Invasion zurückzuführen. Dadurch erhöhe sich die relative Wettbewerbsfähigkeit von VLCCs auf Routen, die normalerweise von Aframaxes und Suezmaxes dominiert würden, wie z. B. vom US-Golf nach Europa, heißt es. Als die Preise für VLCCs wieder stiegen (unter anderem aufgrund eines Anstiegs der chinesischen Ölnachfrage), kehrte sich dieser Trend teilweise um.
»Die wirtschaftlichen Aussichten für 2023 bleiben ungewiss. Europa hat bisher einen milden Winter erlebt. In Verbindung mit einer nachlassenden Industrietätigkeit hat dies die europäische Ölnachfrage im vierten Quartal 2022 beeinträchtigt. Die meisten Analysten sagen ein schwächeres Wachstum voraus und rechnen zumindest mit einer leichten Rezession. Die IEA geht davon aus, dass die europäische Ölnachfrage um nur 131.000 b/d oder 0,9 % steigen wird«, schätzt Poten.
Die Handelsströme werden sich 2023 nach Einschätzung des Maklers weiter verändern, da Europa eine dauerhafte Abkehr von russischem Öl vollzieht und die Rückkehr der chinesischen Nachfrage mehr VLCCs aus dem europäischen Verkehr abziehen könnte. »Die weltweite Tonnenmeilennachfrage wird in diesem Jahr voraussichtlich steigen und die Frachtraten für Tanker werden auf hohem Niveau bleiben«, so die Erwartung der Experten.