Wie Hamburg muss auch Europas größter Seehafen Rotterdam für das vergangene Jahr ein Minus im Gesamtumschlag verbuchen. Es gab allerdings auch große Wachstumsraten in einigen Segmenten.[ds_preview]

Der Krieg in der Ukraine führte im vergangenen Jahr zu enormen Verschiebungen der Güterströme, teilte der Hafenbetrieb Rotterdam jetzt anlässlich der Jahresbilanz mit. Insgesamt blieb das Volumen des Güterumschlags mit 467,4 Mio. t gegenüber 2021 (468,7 Mio. t) nahezu unverändert, aber doch leicht rückläufig, um 0,3 %.

Im Einzelnen ergaben sich erhebliche Veränderungen. So ging der Containerumschlag in TEU um 5,5% zurück (in Tonnen: -9,6 %), was vor allem damit erklärt wird, »dass der Containerverkehr von und nach Russland nach dem Überfall auf die Ukraine fast vollständig zum Erliegen« kam. Die Anlieferung von LNG als Alternative für russisches Gas, vor allem aus den USA, nahm hingegen um 63,9% zu. Zugleich stieg der Import von Kohle um 17,9% an, da die Betriebszeiten der deutschen Kohlekraftwerke wieder hochgefahren wurden. Infolge der Sanktionen ging der Import von Öl, Ölprodukten und Kohle aus Russland zurück.

Allard Castelein, CEO des Hafenbetriebs Rotterdam nannte 2022 ein »in vielerlei Hinsicht außergewöhnliches Jahr«. Die Rotterdamer Hafenindustrie und die Dienstleister hätten jedoch »schnell und adäquat« auf die Veränderungen reagiert. »Der Krieg führt uns klar vor Augen, welche Risiken es birgt, wenn man in systemrelevanten Bereichen stark von einem oder wenigen Ländern abhängig ist. In diesem Sinne muss uns der Krieg dazu veranlassen, die Wehrhaftigkeit des niederländischen und europäischen Energie- und Industriesektors zu stärken. Das bedeutet, dass wir die Produktion erneuerbarer Energien beschleunigen und strategische Branchen selbst in der Hand behalten müssen. Angesichts des schleppenden Fortschritts bei der Lösung der Stickstoffproblematik, der hohen Energiepreise in Europa und des Tempos und Maßstabs, in dem die amerikanische Regierung momentan die Ökologisierung der Industrie vorantreibt, drohen die Niederlande und Europa ins Hintertreffen zu geraten. Hier müssen wir dringend einen Zahn zulegen«, so Castelein.

Rotterdam
© Port of Rotterdam

»Gutes« Finanzergebnis in Rotterdam

Finanziell sei 2022 ein »gutes Jahr« gewesen, heißt es weiter. Die Erträge stiegen um 6,9% auf 825,7 Mio. € an. Auch die betrieblichen Aufwendungen erhöhten sich um 8,3% auf 282,2 Mio. €. Per Saldo nahm weiterhin das Betriebsergebnis vor Zinsen, Abschreibungen und Steuern (EBITDA) um 6,1% auf 543,5 Mio. € zu. Das Nettoergebnis blieb mit 247,2 Mio. € unverändert (2021: 247,2 Mio. €). Insgesamt investierte der Hafenbetrieb 257 Mio. € in den Hafen; 2021 waren es noch 226,3 Mio. €.

Die wichtigsten Bestandteile des Umsatzes sind die Vertragseinnahmen (aus der Vermietung von Grundstücken) und die Hafengebühren. Infolge von Preisänderungen und neuen Verträgen stiegen die Vertragseinnahmen um 24,9 Mio. € an. Die Einnahmen aus Hafengebühren erhöhten sich trotz dem nahezu unveränderten Umschlagvolumen um 27,8 Mio. €. Hauptursachen dafür waren die Veränderung der Zusammensetzung des Gesamtumschlags (weniger Container, mehr Massengut), eine Indexierung von 2,5%, die geringere Call Size (Zahl der umgeschlagenen Container je eingelaufenem Containerschiff) und die Reduzierung der Rabatte (unter anderem aufgrund eines geringeren Transshipment-Volumens). All diese Faktoren führten dazu, dass sich der Durchschnittspreis je Tonne erhöhte.

»Hafenbetrieb Rotterdam ist eine Investitionsmaschine«

Vivienne de Leeuw, CFO des Hafenbetriebs Rotterdam: „Der Hafenbetrieb ist eine Investitionsmaschine. Dank unserer gesunden Finanzlage können wir auch in den kommenden Jahren in traditionelle Infrastruktur, wie Kaimauern und Anlegestege, investieren, aber insbesondere auch in Infrastruktur für die Energiewende.« Darüber hinaus werde man weiterhin in die Digitalisierung und Innovation investieren. »Indem wir für Infrastruktur von Weltklasse sorgen, stellen wir sicher, dass der Hafen ein attraktiver Standort für Unternehmen bleibt, die die Energiewende voranbringen wollen«, so die Finanzchefin weiter.

Der Umschlag in Segmenten

  • Trockenes Massengut: Im Gütersegment trockenes Massengut wurde ein Anstieg von 1,7 % auf 80,1 Mio. Tonnen verzeichnet. Das Agribulk-Segment wird immer stark vom Umfang der Ernte in den verschiedenen Teilen der Welt beeinflusst. Im vergangenen Jahr ging der Import aus der Ukraine zurück, und auch die hohen Energiekosten haben zu einer geringeren Verarbeitung von Agrarrohstoffen geführt. Die hohen Energiepreise waren auch für die deutsche Stahlindustrie ein Grund für die Begrenzung der Produktion. Infolgedessen wurde 15,5 % weniger Eisenerz angelandet. Beim Umschlag von Kohle, die außer in Hochöfen vor allem in Elektrizitätswerken verfeuert wird, wurde mit 17,9 % ein starker Zuwachs verzeichnet. Kohle aus Russland darf seit August nicht mehr eingeführt werden. Darum wurde mehr Kohle aus den USA, Südafrika, Australien und Kolumbien importiert. Der Umschlag von Biomasse erhöhte sich um 13,7 %. Beim übrigen trockenen Massengut betrug der Anstieg 14,2 %.
  • Flüssiges Massengut: Beim flüssigen Massengut wurde ein Volumenanstieg um 4,0% auf 212,8 Mio. t verzeichnet. Die Zunahme beim Rohöl um 5,9% hatte zwei Ursachen. Erstens erhöhte sich der Transit von Rohöl. Anfang des Jahres ging es hierbei um die Lieferung von russischem Rohöl vor allem nach Indien. Ende des Jahres betraf es Rohöllieferungen nach Polen und Deutschland als Ersatz für das Öl, das zuvor per Rohrleitung aus Russland geliefert worden war. Zweitens wurde von den Raffinerien in Rotterdam und im Hinterland viel Rohöl verarbeitet. Die nordwesteuropäischen Raffinerien stellten auf nicht-russisches Öl um, insbesondere aus dem Irak, Saudi-Arabien, Angola, Nigeria und Norwegen. Angesichts der weiten Transportwege für dieses Öl nahm die Zahl der Großtanker der VLCC-Klasse von 27 im Jahr 2021 auf 156 im Jahr 2022 zu. Der Rückgang des Umschlags von Ölprodukten um 10,8% wird »hauptsächlich auf den strukturellen Rückgang der Anlieferung und Wiederausfuhr von Heizöl sowie auf die Sanktionen gegen Russland« zurückgeführt. Bei LNG wurde ein Zuwachs von 63,9% verzeichnet. Es bestand eine sehr hohe Nachfrage nach LNG als Alternative zum Erdgas, das zuvor per Rohrleitung von Russland nach Europa befördert worden war. 30% des LNG stammten 2022 aus den USA. »Auffallend war, dass auch ein LNG-Schiff aus Australien eintraf«, heißt es.
  • Container und Stückgut: Beim Containerumschlag wurde eine Abnahme um 5,5 % in TEU und um 9,6 % in Tonnen verzeichnet. »Diese Differenz war eine Folge des starken Anstiegs der Anlandung voller Container aus Asien in den ersten neun Monaten des Jahres, was eine Folge der starken Nachfrage nach Konsumgütern war«, so der Hafenbetrieb Rotterdam. Zugleich ging der Export zurück, wodurch auch weitaus mehr Leercontainer zurückverschifft wurden. »Die Containerbranche wurde auch 2022 noch mit disruptiven Entwicklungen in der Logistikkette konfrontiert, da die hohe Nachfrage nach Transportkapazität mit gleichzeitigen Störungen infolge der Covid-19-Lockdowns und Kapazitätsengpässen einherging«, heißt es weiter. Die Folge waren übervolle Terminals und Distributionszentren im Hafen und im Hinterland sowie Ungewissheit hinsichtlich der Lieferzeiten. Dadurch wurden vor allem Transshipment-Frachten auf andere Häfen verlagert, in denen noch Kapazitäten zur Verfügung standen, meinen die Niederländer als eine Begründung ausgemacht zu haben. Das Frachtvolumen ins Hinterland stieg 2022 weiter an. Die Hauptursache des Rückgangs des Containerumschlags war jedoch der Krieg in der Ukraine mit den darauf folgenden Sanktionen gegen Russland. Vor dem Krieg standen gut 8% (in TEU) des Rotterdamer Containerverkehrs mit Russland in Zusammenhang. Rotterdam hatte in diesem Fahrgebiet nach eigenen Angaben einen Marktanteil von 40%. Diese Volumen fielen ab März fast vollständig weg. Im vierten Quartal sorgten die hohe Inflation und der geringere Konsum in Kombination mit großen Vorräten für einen weiteren Rückgang des Containerumschlags.
  • Der RoRo-Verkehr nahm um 13,5% zu. Diese Zahl wurde in gewissem Maße durch das Ende des Übergangszeitraums für den Brexit am 1. Januar 2021 beeinflusst, was seinerzeit zu zusätzlichen Transporten Ende 2020 und zu einem Einbruch des RoRo-Transports Anfang 2021 führte.
  • Der Bereich »sonstiges Stückgut« verzeichnete einen Anstieg um 10,4%. Eine wichtige Ursache hierfür sei der zunehmende Import von Stahl und Nichteisenmetallen, so die Mitteilung. Die stark gestiegenen Energiepreise machten die europäische Industrieproduktion relativ teuer, was zu einer Zunahme der Einfuhren von Stahl und Nichteisenmetallen, unter anderem aus Asien, führte, wo aufgrund der Coronakrise nur eine geringe Nachfrage herrschte.

Ausblick

Die aktuelle geopolitische Lage bringt große Ungewissheit mit sich und die Inflation ist stark angestiegen. Dennoch wagt der Hafenbetrieb einen Ausblick: »Soweit sich dies derzeit vorhersagen lässt, zeichnet sich für das Jahr 2023 eine Stagnation der Volkswirtschaften in den Niederlanden und Europa ab. Die Umschlagvolumen werden wahrscheinlich in begrenztem Maße sinken. Mit Blick auf die Energiewende, die für die Zukunft des Rotterdamer Hafens und die Erreichung der nationalen Klimaziele so wichtig ist, werden 2023 voraussichtlich wieder bedeutende Schritte unternommen, wobei die Geschwindigkeit auch davon abhängt, inwiefern es der Regierung gelingt, zügig einen Weg aus der Stickstoff-Sackgasse zu finden.«