Reinhard Lüken VSM Verband für Schiffbau und Meerstechnik
Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer VSM
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Der deutsche Schiffbau hatte 2022 kein ganz leichtes Jahr. Die Branche ist aber bereit, zu investieren und peilt ein »starkes Wachstum« an.

Ohne politische Rückendeckung wird das aber sehr schwierig. Unter dem Motto »Leinen los, Kurs Wachstum!« forderte heute der Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) die Bundesregierung und die EU auf, »endlich die Umsetzung der enormen Wachstumsperspektiven für die maritime Industrie in Deutschland« zu ermöglichen.[ds_preview]

Der VSM sieht gewaltige Aufgaben, die zu bewältigen sind, die aber auch Potenziale für die Werften und Schiffbauer des Landes bergen: Sparsame und saubere Handelsschiffe, Anlagen und Schiffe für erneuerbare Energie offshore, Rohstoffsicherung, nachhaltige Energieimport-Infrastruktur, eine leistungsstarke Marineflotte für die Landes- und Bündnisverteidigung oder Sicherheit für den Schutz kritischer Infrastruktur auf und unter Wasser.

Wie selten zuvor habe das zurückliegende Jahr ins Bewusstsein gerückt, welch hohen strategischen Wert die maritime Dimension hat – und wie groß unser Nachholbedarf sei. »Deutschland hat verstanden, dass es Abhängigkeiten reduzieren, Risiken besser erkennen und vorbeugen und Fehler der Vergangenheit abstellen muss. Zur vielbeschworenen Resilienz gehört auch, die gewaltigen maritimen Herausforderungen in Europa selbst bewältigen zu können und Systemrivalen nicht durch Fehlanreize weiter zu stärken«, so der Verband um Hauptgeschäftsführer Reinhard Lüken und Präsident Harald Fassmer.

Die Bilanz

Sorgen bereitet dem Verband der Auftragseingang der deutschen Werften. Im vergangenen Jahr gab es lediglich neun neue Aufträge im Wert von 966 Mio. € – nach 19 Schiffen für 2,18 Mrd. € im Vorjahr. »Das ist nicht zufriedenstellend«, sagte Fassmer. Der Werftchef zeigte sich aber gleichzeitig zuversichtlich, dass der Auftragseingang wieder deutlich zunimmt.

Zukunftsbeirat, Die Werft in Rostock wird vom Bund übernommen © MV Werften
Die MV-Werft in Rostock wurde vom Bund übernommen © MV Werften

Die Zahl der Ablieferungen sank von 11 (3 Mrd. €) auf sieben (2,49 Mrd. €), das Orderbuch umfasste noch 46 Einheiten (10,9 Mrd. €), nachdem es 2021 noch 54 Schiffe für 15,4 Mrd. € waren. Umsatz und die Zahl der Beschäftigten sanken ebenfalls. Allerdings muss bei der Betrachtung beachtet werden, dass 2021 einen gewissen Nachholeffekt aus der Corona-Pandemie hatte. Gerade der Umsatz befand sich nach Ansicht des VSM 2022 weiterhin auf dem Niveau des langfristigen Trends. Der Rückgang bei der Zahl der Beschäftigten wird zu einem nicht ganz unerheblichen Teil auf die Pleite der MV Werften-Gruppe zurückgeführt.

Deutscher Schiffbau will über 1 Mrd. € investieren

Die maritime Industrie in Deutschland muss laut dem VSM in den nächsten 5-10 Jahren mindestens um den Faktor zwei wachsen, damit sie einen angemessenen Beitrag zu den großen Aufgaben leisten könne. Die Schiffbauer seien aber bereit, Investitionen von »über einer Milliarde €« vorzunehmen und dabei auch weiterhin »überdurchschnittlich stark« in die Ausbildung der Fachkräfte von Morgen investieren. »Wir wollen nach vorne gucken, ins ›Machen‹ kommen und nicht in die schlechte Stimmung verfallen, die derzeit so weit verbreitet ist«, sagte Lüken.

Auch wenn das vergangene Jahr nicht gut lief und nicht zuletzt durch die Pleite des Genting-Konzerns und der Schiffbaugruppe MV Werften geprägt war, könne man das Ruder rumreißen. Noch fehle aber der politische Mut und der politische Wille. Fassmer zitierte Bundeswirtschaftsminister Roberg Habeck aus der Zeit nach Bildung der Ampel-Koalition: »Von hier an anders« – das müsse das Ziel sein.

Ein großer Kritikpunkt bleibt: Der internationale, von vor allem China und Südkorea dominierte Markt ist nach Ansicht des VSM weiterhin von ungleichen Rahmenbedingungen geprägt: Nach Jahrzehnten der weitgehend ungehinderten Wettbewerbsverzerrung im internationalen Schiffbaumarkt könne mit dem Rückenwind hoher Bedarfe in Europa nun aber eine nachhaltige Trendwende eingeleitet werden. »Das wird aber nur gelingen, wenn Deutschland bereit ist, neue Wege zu gehen«, hieß es heute in Hamburg.

Zudem warnte Lüken vor einer wachsenden Abhängigkeit. Aktuell dominieren China und Südkorea den weltweiten Schiffbau – mehr denn je. Die Koreaner haben aber mittlerweile immer größere finanzielle Löcher zu füllen. Wie lange die Gesellschaft und damit der Staat die massive Unterstützung mittragen, sei offen. Dann wäre die Marktmacht Chinas noch ausgeprägter.

Anpassungen nötig

Entscheidende Voraussetzung für Wachstum seien Aufträge. Der VSM führte einige Kriterien für die Auftragsvergabe auf, die neu justiert werden müssten:

  • In der Handelsschifffahrt ist der Baupreis heute das mit Abstand wichtigste Entscheidungskriterium. Angebotspreise unterhalb der Gestehungskosten trotz Rekordnachfrage seien ein klares Indiz für Marktverzerrungen – für den Schiffbaumarkt seit Jahrzehnten prägend. »Dabei beeinflussen die Kapitalkosten den Preis für die Transportdienstleistung kaum und sind volkswirtschaftlich unerheblich. Dies gilt umso mehr, da niedrige Baupreise einer technisch möglichen, deutlichen Verbesserung der Energieeffizienz entgegenstehen.« Ein konsequentes Flottenerneuerungsprogramm für Küsten-Verkehre innerhalb Europas, geknüpft an Wertschöpfung im Europäischen Binnenmarkt könnte dieses Marktversagen nach Ansicht des Verbands kompensieren. Für Lüken ist gerade der Kabotage-Markt ein »Riesen-Markt«, der hiesige Schiffbau könne die Flottenerneuerung mit anpacken und will investieren, wenn der politische Rahmen stimmt.
  • Die Ausbauziele für die Produktion erneuerbarer Energie offshore sind nicht nur in Europa sehr ambitioniert. Für die dafür benötigten Schiffe und Anlagen sollte Europa nicht auch noch auf Drittländer angewiesen sein, sondern ausreichend eigene Produktionskapazitäten schaffen, meint die Schiffbau-Industrie. »Nur so stellen wir entsprechende eigene Fähigkeitsprofile und Verfügbarkeiten sicher. Auch hier gilt: mäßig höhere Kapitalkosten sind mit Blick auf die Stromgestehungskosten unbedeutend. Die Vorteile durch heimische Wertschöpfung, insbesondere auch sicherheitstechnischer Art, überwiegen bei weitem.« Dem müsse über entsprechende Rahmenbedingungen in Deutschland und auf EU-Ebene konsequent Rechnung getragen werden.
  • Deutschland wird auch weiterhin Energieimportland bleiben. Den Vorschlag des Seeheimer Kreises, den staatlichen Zugriff auf entsprechende Transportkapazitäten zu sichern, um sich dadurch einer Erpressbarkeit zu entziehen, unterstützt der VSM. Der Staat sei auch heute schon Eigentümer von zivilen Schiffseinheiten, die er zum Teil durch private Reedereien betreiben lässt. »Weitere staatliche Aufgaben durch eine eigene Flotte zu erfüllen ist dann sinnvoll, wenn entsprechende Tonnage nicht oder nicht zuverlässig durch Marktteilnehmer bereitgestellt wird.« Verwiesen wird auf Japan, wo das Modell der zeitlich befristeten »Co-Ownership« als Instrument der Wirtschaftsförderung und Resilienzsteigerung genutzt werde.
  • Ein besonderes Themenfeld sind die Beschaffungsprozesse für die Deutsche Marine. Bisher ist nicht festzustellen, dass die Zeitenwende die Situation mit Blick auf die Ausstattung der Marine verändert hat, moniert nicht nur der Verband. Konkrete kurzfristig umzusetzende Beschaffungspläne, unter grundsätzlicher umfassender Berücksichtigung der verteidigungsindustriellen Schlüsseltechnologie Marineschiffbau und der nationalen Versorgungssicherheit, seien nicht zu erkennen.
  • In den derzeit wichtigsten zivilen Märkten der deutschen Schiffbauindustrie, Kreuzfahrtschiffe und Yachten, werden die Aussichten grundsätzlich optimistisch beurteilt. »Der Markt erholt sich und wird sich weiter erholen«, sagte Fassmer. Gerade der Kreuzfahrtschiffbau bleibe ein wichtiger Markt. Um die weltweite Technologieführerschaft deutscher Hersteller in diesen Teilsegmenten nicht zu unterminieren, »dürfen sich die Rahmenbedingungen jedoch nicht verschlechtern«. Insbesondere marktgerechte Finanzierungsinstrumente müssten »vollumfänglich erhalten bleiben« und dürfen nicht einer »ideologisierten Debatte« zum Opfer fallen.
  • Gleiches gelte auch für den Meeresbergbau. Deutschland hat bei der Internationalen Meeresbodenbehörde ISA eine »vorsorgliche Pause« beim Tiefseebergbau gefordert und erklärt, bis auf Weiteres keine Anträge auf kommerziellen Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee zu unterstützen. Der VSM hat eine etwas andere Meinung zu dem Thema: Aus Sicht des Verbands ist die Nutzung von Rohstoffen aus dem Meer unvermeidlich, um die Abkehr von fossiler Energie zu realisieren. »Wer die Meere schützen will, muss jetzt für möglichst hohe technische Nachhaltigkeitsstandards sorgen, die insbesondere deutsche Unternehmen entwickeln.«