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Findet die jahrelange hitzige Debatte um die Gruppenfreistellungsverordnung in der Containerlinienschifffahrt jetzt ein Ende? Die EU-Kommission will sie auslaufen lassen.

Aktuell ist es Seeschifffahrtsunternehmen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, bei einem gemeinsamen Marktanteil von weniger als 30 % Kooperationsvereinbarungen für Gütertransporte zu schließen. Im Kern geht es um die Allianzen der großen Containerlinien, die einen sehr großen Teil des Wettbewerbs abdecken – beziehungsweise um kartellrechtliche Ausnahmeregelungen, die anderen Akteuren wie Spediteuren oder auch Terminal-Betreibern seit langer Zeit ein Dorn im Auge sind, weil sie sich einer ihrer Ansicht nach zu großen Verhandlungsmacht gegenüber sehen.[ds_preview]

Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren große Debatten und Beschwerden über die Gruppenfreistellungsverordnung der EU, auf die sich die Reeder beziehen. Im vergangenen Sommer machte die EU-Kommission deutlich, dass sie die im Frühjahr 2024 auslaufende Regulierung vor einer Verlängerung einer genauen Prüfung unterzieht und ein Auslaufen nicht ausgeschlossen wird.

So könnte es nun kommen. Die Brüsseler Behörde gab heute ein Statement heraus. Demnach soll der EU-Rechtsrahmen, nach dem Seeschifffahrtskonsortien von den EU-Kartellvorschriften ausgenommen sind, nicht verlängert werden. »Die Kommission ist zu dem Schluss gelangt, dass diese Gruppenfreistellungsverordnung den Wettbewerb im Schifffahrtssektor nicht mehr fördert, und lässt sie daher am 25. April 2024 auslaufen«, heißt es.

»Seeverkehrsdienstleistungen sind für den europäischen Handel und den Welthandel sehr wichtig. In diesem Schlüsselsektor hat es erhebliche strukturelle Veränderungen gegeben, wie die Konsolidierung der Seeschifffahrtsunternehmen, globale Allianzen und vertikale Integration. Diese neuen Marktbedingungen waren während der Corona-Pandemie klar zu erkennen. Unsere Evaluierung hat ergeben, dass eine spezielle Gruppenfreistellung für Schifffahrtslinien unter diesen neuen Marktbedingungen nicht mehr angemessen ist. Daher haben wir beschlossen, den derzeitigen Rahmen nicht zu verlängern, sondern ihn am 25. April 2024 auslaufen zu lassen.«

Kommissar Didier Reynders, zuständig für Wettbewerbspolitik

Die Überprüfung hatte das Ziel, festzustellen, ob die angestrebten Ziele im Zeitraum seit 2020 erreicht wurden. Alle Interessenvertreter wurden explizit aufgefordert, Stellungnahmen abzugeben, wie sich Seeschifffahrtskonsortien und die Gruppenfreistellungsverordnung auf ihre Geschäftstätigkeit ausgewirkt haben. Zudem gab es einen Austausch mit Regulierungsbehörden in anderen Regionen, etwa in den USA. »Die Informationen der Interessenträger deuten insgesamt darauf hin, dass die Gruppenfreistellungsverordnung für Konsortien im Zeitraum 2020-2023 allenfalls begrenzt wirksam und effizient war«, schreibt die Kommission nun.

Evaluierung der Gruppenfreistellungsverordnung

Angesichts der geringen Zahl und des geringen Umfangs von Konsortien, die in den Anwendungsbereich der Gruppenfreistellungsverordnung fallen, hätten die Seeschifffahrtsunternehmen nur begrenzte Einsparungen bei den Befolgungskosten und erzielt. Ferner habe die Verordnung kleineren Seeschifffahrtsunternehmen während des Bewertungszeitraums nicht mehr die Möglichkeit gegeben, zusammen Dienste anzubieten, die mit den Angeboten größerer Unternehmen konkurrierten.

Das Auslaufen der Verordnung bedeutet nach Ansicht der Kommission jedoch explizit nicht, »dass Zusammenarbeit zwischen Reedereien nach dem EU-Kartellrecht dann rechtswidrig wäre«. Vielmehr müssten Seeschifffahrtsunternehmen, die Transporte in die oder aus der EU anbieten, künftig selbst prüfen, ob ihre Kooperationsvereinbarungen mit den EU-Kartellvorschriften vereinbar sind.

Zustimmung bei deutschen Häfen

Eine erste Reaktion gab es heute vom Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS). Hauptgeschäftsführer Daniel Hosseus sagte: »Es ist zu begrüßen, dass die kartellrechtlichen Sonderregeln für die Konsortien der Linienschifffahrt gekippt werden. Aus Sicht der Hafenwirtschaft ist das ein wichtiger Schritt, um die Containerschifffahrt zu normalisieren.«

Damit ende aber nicht die Zeit der großen Reederei-Allianzen, die sich mit mehr als 30% Marktanteil in vielen Fahrtgebieten »seit langem außerhalb des heute gekippten Rechtsrahmens bewegen«. Die Europäische Kommission solle dem Marktgebaren großer Allianzen klare Grenzen setzen und geltendes Recht konsequent durchsetzen. »Zudem sollte sie die beihilferechtliche und fiskalische Sonderstellung der Linienschifffahrt bei der weiterhin bestehenden Tonnagesteuer überprüfen«, so Hosseus weiter.

Die Ballung von Markt- und Verhandlungsmacht von Allianzen gegenüber den Häfen und anderen Logistikdienstleistern werde bestehen bleiben, »ein solches Ungleichgewicht wirkt zum Nachteil von Wirtschaft und Verbrauchern und kann politisch nicht gewünscht sein.«

Zum rechtlichen Hintergrund

Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) untersagt wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Unternehmen. Jedoch können solche Vereinbarungen für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden, »wenn sie unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder ‑verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne den Wettbewerb auszuschalten«.

2009 entschied der Rat, dass die Kommission Konsortien für einen auf fünf Jahre begrenzten Zeitraum freistellen kann, wobei die Möglichkeit einer Verlängerung besteht. Vor diesem Hintergrund nahm die Kommission die Gruppenfreistellungsverordnung für Seeschifffahrtsunternehmen an, in der die spezifischen Voraussetzungen für eine solche Freistellung festgelegt sind. Über diese Voraussetzungen sollte insbesondere sichergestellt werden, dass die Kunden angemessen an dem entstehenden Gewinn beteiligt würden.

2014 und 2020 wurde die Geltungsdauer dieser Gruppenfreistellungsverordnung verlängert. Der Beschluss im Jahr 2020 sei im Wesentlichen deshalb gerechtfertigt gewesen, so die Behörde, »weil sich die Wettbewerbsparameter (v. a. Frachtraten, Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit der Dienste) in den Jahren 2014 bis 2019 nicht verschlechtert hatten«. Doch war die Verlängerung auf vier Jahre begrenzt, um möglichen Veränderungen der Marktbedingungen besser Rechnung tragen zu können.