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Wird das Inkrafttreten der Hong Kong Convention (HKC) die globale Landschaft der Abwrackindustrie verändern?

Gerhard Aulbert: Aus unserer[ds_preview] Sicht ist der Schwachpunkt der HKC, dass die Ratifizierungsbedingungen so aufwendig sind und die Ratifizierung sich vermutlich noch zehn Jahre hinziehen wird. Insofern sehen wir die europäische Abwrack-Gesetzgebung als den eigentlichen Treiber in der Entwicklung. Es ist bereits jetzt zu erkennen, dass die Initiativen für ein nachhaltiges Recycling in Indien allein durch die Tatsache ausgelöst wurden, dass die EU ein eigenes Gesetz verabschiedet hat.

Denken Sie, dass wir derartige Initiativen nun vermehrt in der Industrie sehen werden?

Aulbert: Die Entwicklung in Indien ist positiv zu bewerten. Ein Wehrmutstropfen ist die geringe Zahl der Beteiligten. Es gibt ca. 160 Anlagen in Indien, davon haben vier ihre Standards deutlich verbessert. Diese Anlagen können jährlich zehn bis 15 Schiffe abwracken. Das ist einerseits sehr wenig. Andererseits setzen sie für die ganze Region automatisch neue Standards, weil sich die Wettbewerber nun fragen müssen, ob sie mitziehen. So wird eine generelle Qualitätssteigerung ausgelöst.

Das Beispiel der Reederei Maersk, die künftig in Indien verschrotten lassen will, hat in der Branche für Aufsehen gesorgt. Droht der türkischen Abwrackindustrie aufgrund des Preisnachteils eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit, wenn auch in Südasien zunehmend auf »responsible recycling« gesetzt wird?

Aulbert: Die Anlagen in Indien werden durch höhere Investitionen ebenfalls höhere Kosten haben, insofern dürfte es eine Angleichung und eine Reduzierung des Preisvorteils geben.

Wenn man diese Angleichung und die ­vermutete Entwicklung in Indien betrachtet: Welche Perspektive hat die türkische Abwrackindustrie mittel- und langfristig?

Aulbert: Ich glaube, dass die Türkei nach wie vor Vorteile hat, die Märkte sind nicht leicht zu vergleichen. Die Türkei hat einen Fokus auf kleinere und mittlere Schiffe und wird ihre Nische bei Fähren und kleineren Kriegsschiffen behaupten. Zudem ist die internationale Reputation der Türkei höher, weil der Staat wesentlich mehr internationale Konventionen unterzeichnet hat, die mit dem Schiffsrecycling in Verbindung stehen, beispielsweise zur Arbeitssicherheit. Außerdem ist das System von Recycling und Abfallentsorgung viel etablierter als in Indien. Ein logischer Schritt wäre eigentlich, dass sich auch der Staat Indien der Entwicklung stellt und die HKC ratifiziert.

In der Türkei droht also kein Niedergang der Abwrackindustrie?

Aulbert: Ich glaube, dass sich überall sogenannte »Champions« herauskristallisieren werden. Darüber hinaus werden kleinere Anlagen fusionieren oder von größeren Wettbewerbern übernommen. Das wird es auch in Indien geben. Wir werden in der Summe weniger Recycler haben, allerdings mit einer ähnlichen oder nur wenig reduzierten Kapazität.