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»Innerhalb Deutschlands gelten bei der Personenbeförderung auf See ausschließlich die Regelungen des HGB, bei der internationalen Seereise die der Athen-Verordnung.« So einfach, wie dieses Zitat es nahelegt, ist es aber keineswegs – mit erheblichen Auswirkungen auf die Haftung
Wer hätte etwa gedacht, dass eine Reederei für eine Personenbeförderung von Cuxhaven nach Neuwerk nach den Regelungen des HGB haftet[ds_preview], für eine Personenbeförderung von Cuxhaven nach Helgoland jedoch die Regelungen der Athen Verordnung einschlägig sind? Bei der Bestimmung des maßgeblichen deutschen Haftungsrechts kommt es nämlich mitnichten allein auf die simple Frage an, ob eine nationale oder internationale Reise vorliegt. Vielmehr sind die Klasse des Schiffs, die Route der konkreten Reise und der Hauptzweck der Personenbeförderung von entscheidender Bedeutung.

Die Haftungsregelungen

Für Schäden, die bei der Beförderung von Fahrgästen und ihrem Gepäck über See durch den Tod oder die Körperverletzung eines Fahrgasts oder durch den Verlust, die Beschädigung oder verspätete Aushändigung von Gepäck entstehen, haftet der Beförderer zunächst nach den §§536 ff. HGB. Diese Regelungen gelten jedoch nicht, soweit der Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 392/2009 vom 23. April 2009 über die Unfallhaftung von Beförderern von Reisenden auf See (Athen-VO) eröffnet ist; die Athen-VO gilt übrigens bereits dann, wenn der Abgangsort oder der Bestimmungsort in einem EU-Mitgliedsstaat liegt, sodass ein deutsches Gericht die Athen-VO auch für eine Personenbeförderung von Deutschland nach Norwegen (z. B. von Kiel nach Oslo) und umgekehrt anwendet. Die Bestimmung des maßgeblichen Haftungsrechts ist von Bedeutung, weil sich die Haftungsvorschriften teilweise erheblich unterscheiden. So hat der Schadensersatzberechtigte im Gegensatz zum HGB bei Tod oder Körperverletzung eines Reisenden infolge eines Schifffahrtsereignisses nach der Athen VO einen Vorschussanspruch zur Deckung der unmittelbaren wirtschaftlichen Bedürfnisse und einen Direktanspruch gegen den Zwangshaftpflichtversicherer des Beförderers. Neben die Regelungen des HGB bzw. der Athen-VO können zudem Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 vom 24. November 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr sowie des Pauschalreiserechts (§§651a ff. BGB) treten. Die Fahrgastrechte-VO sieht unter anderem eine Fahrpreiserstattung bei annullierten oder verspäteten Abfahrten oder einen Fahrpreisnachlass bei verspäteter Ankunft vor. Nach dem Pauschalreiserecht hat der Reisende weitere besondere Rechte – beispielsweise Minderung bei einem Reisemangel.

Pauschalreise: Kreuzfahrt vs. Fähre

Für Kreuzfahrten – nicht jedoch für Fährfahrten – gilt neben dem Personenbeförderungsrecht (HGB bzw. Athen VO) grundsätzlich das Pauschalreiserecht. Daher muss zwischen Kreuz- und Fährfahrten unterschieden werden.

Eine Kreuzfahrt ist nach der Fahrgastrechte-VO ein Verkehrsdienst auf See- oder Binnenwasserstraßen, der ausschließlich Vergnügungs- oder Freizeit­zwecken dient, Unterbringung und andere Zusatzleistungen umfasst und einen Aufenthalt von mehr als zwei Übernachtungen an Bord beinhaltet. Dem Bundesgerichtshof zufolge liegt bei einer Kreuzfahrt eine Gesamtheit oder Bündelung mehrerer Reiseleistungen vor; dazu sollen eine mehrere Tage dauernde Beförderung, Unterbringung auf dem Schiff, meist über eine bloße Nebenleistung hinausgehende Verpflegung und weitere Leistungen, wie etwa Unterhaltung der Reisenden durch Veranstaltungen gehören. Allein für die kollisionsrechtliche Vorschrift des Art. 6 Rom I-VO wird die Personenbeförderung im Rahmen einer Kreuzfahrt als Verbrauchervertrag eingeordnet; ansonsten bleibt der Vertrag ein (Personen-)Beförderungsvertrag, sodass für eine Kreuzfahrt zudem das Personenbeförderungsrecht des HGB bzw. der Athen-VO gilt. Falls Beförderer und Reiseveranstalter nicht in einer Person zusammentreffen, haftet der Beförderer nach §§536 ff. HGB, der Reiseveranstalter nach §§651a ff. BGB.

Eine Fährfahrt als Personenverkehrsdienst bezeichnet einen gewerblichen Verkehrsdienst zur Personenbeförderung auf See und Binnenwasserstraßen nach einem veröffentlichten Fahrplan (vgl. Art. 3 lit. f) Fahrgastrechte VO); sie wird nicht dadurch zur Kreuzfahrt, dass neben die Beförderung noch weitere Zusatzleistungen (Übernachtung, Restauration) treten, die keinen prägenden Charakter haben. Komplexer wird die Zuordnung bei von Fährreedereien angebotenen »Mini-Kreuzfahrten«.

Inländische Seereise Klassen C & D

Bei einer inländischen Fahrgastbeförderung über See mit Schiffen der Klassen C und D (z. B. Personenbeförderung von Dagebüll nach Föhr) gelten die Regelungen des HGB. Die Athen-VO ist nicht maßgeblich, weil diese bei der inländischen Seereise grundsätzlich (zur Ausnahme sogleich) nicht für Schiffe der Klassen C und D greift.

Die Einordnung der Schiffsklassen wird anhand der Richtlinie 2009/45/EG vorgenommen und richtet sich unter anderem danach, wie weit die Schiffe von einem Zufluchtsort entfernt eingesetzt werden. Damit sich Fahrgäste darüber informieren können, in welche Schiffsklasse das jeweilige Schiff eingeordnet wurde und sie dadurch letztlich das maßgebliche Haftungsrecht bestimmen können, hat das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie eine Liste veröffentlicht, aus der sich die Seegebiete ergeben, in denen die einzelnen Schiffsklassen eingesetzt werden. Für Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge, die etwa von Hamburg nach Helgoland fahren, gelten bei der Festlegung der Klassen andere Maßstäbe.

Durch die Athen VO-wird – etwas versteckt – der Geltungsbereich des HGB eingeschränkt und der Athen-VO erweitert. Danach bedeutet eine »internationale Beförderung […] jede Beförderung, bei der nach dem Beförderungsvertrag der Abgangsort und der Bestimmungsort […] in nur einem Staat liegen, wenn nach dem Beförderungsvertrag oder der vorgesehenen Reiseroute in einem anderen Staat ein Zwischenhafen angelaufen werden soll«. Befindet sich also der Abgangshafen und der Bestimmungshafen in Deutschland und wird auf dieser Reise planmäßig ein Hafen in einem anderen Mitgliedsstaat als Zwischenhafen angelaufen, ist der Geltungsbereich der Athen-VO eröffnet (z. B. Personenbeförderung von Borkum nach Emden über Eemshaven, NL), und zwar unabhängig davon, ob das Schiff in Klasse A/B oder C/D eingeordnet wird.

Handelt es sich bei der Personenbeförderung über See gleichzeitig um eine Kreuzfahrt und hat der Reisende seinen Sitz in Deutschland (gem. Art. 6 Rom I-VO gilt bei Kreuzfahrten grundsätzlich das Recht am Sitz des Reisenden), so wird den Regelungen des HGB der Vorrang gegenüber anderen Regelungen eingeräumt. Dieser Vorrang gilt allerdings nur für Ansprüche wegen Tod oder Körperverletzung eines Fahrgasts oder wegen Verlust, Beschädigung oder verspäteter Aushändigung von Gepäck. Die besonderen Rechte des Reisenden etwa hinsichtlich der Minderung, der Kündigung und des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung, aber auch nach der Fahrgastrechte-VO bleiben unberührt.

Inländische Seereise der Klassen A und B und internationale Seereise

Bei einer inländischen Fahrgastbeförderung auf See mit Seeschiffen der Klassen A und B – etwa Personenbeförderung von einem deutschen Hafen nach Helgoland – gelten die Regelungen der Athen-VO, vorausgesetzt das Seeschiff führt die Flagge eines Mitgliedsstaates oder ist in einem solchen registriert, der Beförderungsvertrag wurde in einem Mitgliedsstaat geschlossen oder der Abgangs- oder Bestimmungsort der Beförderung liegt in einem Mitgliedsstaat.

Für eine internationale Beförderung im Sinne der Athen-VO von Reisenden mit einer Fähre oder auf einem Kreuzfahrtschiff ist eben diese Verordnung maßgeblich, sofern die oben genannten Voraussetzungen vorliegen, und zwar unabhängig von den oben beschriebenen Schiffsklassen. Für die Personenbeförderung mit einem Kreuzfahrtschiff gelten zudem nur diejenigen pauschalreiserechtlichen Vorschriften, die nicht durch Art. 14 der Athen-VO verdrängt werden.

Autor: Wessel P. Brons,

Rechtsanwalt, Lebuhn & Puchta

Wessel.Brons@lebuhn.de

Wessel P. Brons