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Die Erfolge bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen das Corona-Virus beflügelten die Aktienkurse, bevor der Kursanstieg angesichts der stark steigenden Infektionszahlen wieder ins Stocken geriet. Schifffahrtsaktien hingegen konnten ihre Erholung fortsetzen

Vor drei Monaten schrieben wir an dieser Stelle, dass Schifffahrtsaktien einen schweren Stand gegenüber den Internet- und Wachstumsaktien hätten. Letztere[ds_preview] profitieren vom Trend zu niedrigen Zinsen und der Digitalisierung, welcher durch die Pandemie noch verstärkt wurde. Schifffahrtsaktien korrelieren hingegen stark mit dem Energiesektor.

In Abbildung 1 haben wir die Kursverläufe des MSCI World Energie Index und des MSCI World Growth Index abgebildet. Beide Kursverläufe sind relativ zum MSCI World Gesamtindex dargestellt. Ein positiver Indexverlauf weist darauf hin, dass der betreffende Index besser läuft als der MSCI World – ein negativer Indexverlauf signalisiert dementsprechend eine schlechtere Performance im Vergleich zum MSCI World. Es ist gut zu erkennen, dass der weltweite Energie-Index seit annähernd einem Jahrzehnt in der Performance weit hinter den Wachstumsaktien zurückbleibt.

Paradigmenwechsel an Börsen

Im Rückspiegel der Börsenentwicklung der letzten Jahrzehnte kann man mehrere Paradigmenwechsel ausmachen. In den 1990er und 2000er Jahren kam es zu einer zunehmenden Verflechtung der internationalen Volkswirtschaften und einer Verlagerung der Produktion in Richtung Südostasien und insbesondere China. Von diesem Trend profitierten die Schifffahrtsunternehmen überproportional.

Die Finanzkrise 2008 brachte den nächsten Wechsel, als die Politik den Zentralbanken die Hauptlast zur Bewältigung der Krise übertrug und die Zinsen weltweit auf nicht gekannte Niveaus gesenkt wurden. Diese Entwicklung führte zu einer deutlichen höheren Bewertung von Wachstumsaktien (Abb. 1).

Green Investing boomt

Der nächste Paradigma-Wechsel ist bereits eingeläutet. Das Pariser Klimaabkommen von 2019 skizziert den Weg in eine CO2-emissionsfreie Zukunft bis 2050. Dafür werden jetzt bereits die Weichen gestellt, indem die weltweite Energieversorgung neu konzipiert wird.

Mittelfristig werden zunächst die Industrieländer und später die Emerging Markets ihre Energieversorgung auf regenerative Energien umstellen. Länder mit günstiger Energie-Infrastruktur und nicht zu starker Industrialisierung wie z.B. Dänemark preschen vor und entwickeln Pläne zur völligen Energieautarkie der gesamten Volkswirtschaft innerhalb der nächsten dreißig Jahre.

Einstieg in Wasserstoff-Wirtschaft

Die steigenden Anforderungen der Weltgemeinschaft bezüglich der Emissionen an die IMO und die Schifffahrt empfinden viele Reedereien als gewaltige Herausforderung für ihr Geschäftsmo-dell. Zudem sinkt aller Voraussicht nach der Bedarf an Kohle und Öl als Energieträger, weshalb zukünftig sehr wahrscheinlich weniger Bulker und Tanker benötigt werden. Der Umstieg auf regenerative Energien wird jedoch nur gelingen, wenn grüner Strom transport- und speicherfähig gemacht wird. Hier kommt grüner Wasserstoff als universelles Medium zur Speicherung und zum Transport von regenerativer Energie ins Spiel.

Eine Chance für die Schifffahrt

Der zusätzliche Bedarf an grünem Strom in Europa zieht voraussichtlich einen Bedarf von ca. 600 GW an Wasserstoff-Elektrolysekapazität nach sich. Die derzeit vorliegenden Wasserstoff-Strategien der Europäischen Union und Deutschlands zeigen dabei auf, dass nur ein kleiner Teil des benötigten Wasserstoffs in Europa produziert werden soll. Europa wird daher in den nächsten Jahren beginnen, massiv Importkapazitäten für Flüssiggas, Methanol, Wasserstoff oder Am-moniak aufzubauen, um den Bedarf für den Markthochlauf des neuen Energieträgers zu decken.

Reedereien steuern um

Eine der ersten börsennotierten Reedereien, die ihr Geschäftsmodell neu ausrichten, ist Scorpio Bulkers. Das Unternehmen hat bereits begonnen, seine Flotte an Massengutfrachtern zu veräußern, um die Erlöse in den Aufbau einer Flotte von Windkraft-Errichter-Schiffen zu investieren. Golar LNG baut bereits seit einigen Jahren das Geschäftsmodell in Richtung eines Full-Service-Providers für Energie-Contracting auf Basis von Flüssiggas um. Letzte Woche kündigte das Unternehmen nun an, Ressourcen in die Entwicklung einer »Floating-Ammonia-Production« zu lenken. BW LPG hat jüngst die auf Propangas-Antrieb umgebaute »BW Gemini« auf Jungfernfahrt geschickt. Sobald Ammoniak in industriellen Größenordnungen ver-fügbar ist, kann der Antrieb des Schiffes mit überschaubarem Aufwand umgestellt werden. Das Schiff fährt dann nahezu vollständig emissionsfrei.

Börsen honorieren Anpassungen

In Abbildung 2 haben wir die Kursentwicklung der drei Unternehmen seit Anfang des Jahres indexiert dargestellt. Es fällt auf, dass sich die beiden Gas-Reedereien in diesem Zeitabschnitt deutlich besser entwickelten als die Bulker-Reederei. Hier wird das Management in Zukunft noch viel Überzeugungsarbeit bei den Investoren leisten müssen. Diese Aufzählung ist selbstverständlich nicht abschließend. Werften, Klassifikationsgesellschaften und Reedereien aller Sektoren diskutieren, planen und entwickeln derzeit neue Designs für die kommenden Anforderungen bezüglich Antrieb und Fracht.

Neue Trades für Wasserstoff

In Neom, Saudi-Arabien, errichtet unterdessen ThyssenKrupp in Kooperation mit Airproducts eines der weltweit größten Ammoniakwerke für den Export als Energieträger. Wir rechnen damit, dass weitere Produktionsstätten bald folgen werden. Ammoniak ist vermutlich die kostengünstigste Variante, um Wasserstoff als Energieträger für die Schifffahrt nutzbar zu machen.

In Norwegen, Großbritannien, Belgien und in den Niederlanden engagieren sich Reedereien und Hafenbetriebe in der Entwicklung von wasserstoffbasierten Antriebssystemen für Häfen und für den Shortsea-Verkehr. Insbesondere gehen wir davon aus, dass in den kommenden Jahren der Bedarf an Transportkapazität für Flüssiggas, Propangas, Ethylen, Methanol, Ammoniak, Wasserstoff und synthetische Treibstoffe stark steigen wird. Dies ist eine einmalige Chance für die Gas- und Tankschifffahrt, mittelfristig neue Geschäftsmodelle aufzubauen.

Energiesektor vor dem Revival?

Der oben beschriebene Umstieg in eine regenerative Energieversorgung unter Einbezug von Wasserstoff kann dazu führen, dass der Energiesektor in den nächsten Jahren womöglich ein Revival erlebt. Wir erwarten, dass die nationalen und supranationalen Regierungen in den nächsten Jahren umfangreiche Infrastruktur-Investitionsprogramme initiieren werden. Die Investoren an den Kapitalmärkten scheinen diese Entwicklung allmählich zu antizipieren. Unsere technischen Modelle signalisieren seit einigen Wochen ein steigendes relatives Momentum bei Energie-Titeln und im MSCI World Energie Index. Wir wären nicht überrascht, wenn die langjährige Underperformance dieses Sektors im nächsten Jahr endet. Diese Entwicklung sollte auch Schifffahrtsaktien wieder beflügeln.

Die Bekanntgabe der neuen Impfstoffe von Pfizer/BioNTech und Moderna hat die Börsen nur kurzfristig beflügelt. Zu sehr lasten derzeit noch die Sorgen um die Auswirkungen eines zweiten Lockdowns auf den Märkten. Es fällt jedoch auf, dass derzeit eine Sektorrotation einsetzt. Value-Aktien, Dividendentitel, Energie-Aktien und Reedereien erleben eine Renaissance, während die Internet- und Wachstumstitel erst einmal pausieren.

Bei den Schifffahrtsaktien dominiert der Liner-Index derzeit alle anderen Sektoren. Unser Liner-Subindex liegt derzeit um 66,9% höher als noch vor zwölf Monaten. Alle anderen Sektoren verzeichneten hingegen im gleichen Zeitraum Verluste. Die Kurse steigen jedoch seit etwa drei Wochen wieder stärker an.

Die Gründe für diese positive Entwicklung liegen zum einen in den zwischenzeitlich erreichten Bewertungsniveaus – »billiger kann es nicht mehr werden«. Zum anderen scheinen Investoren wieder in den Energiesektor zu investieren. Damit profitieren auch die Schifffahrtsaktien als indirekte Energie(transport)-Unternehmen. Wir drücken den Reedereien die Daumen, dass dieser Rückenwind bis ins neue Jahr anhält.