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Nach 54 Jahren ist nun tatsächlich Schluss, doch nicht jeder freut sich: Der in Bremerhaven gebaute Marineschlepper »Wangerooge« wird aussortiert.[ds_preview]

Wehmut aber auch Enttäuschung kommen auf bei Siegfried Martin, wenn er von dem 1968 in Bremerhaven erbauten Seeschlepper »Wangerooge« der Deutschen Marine erzählt, auf dem der ehemalige technische Schiffsoffizier aus Spaden bei Bremerhaven über 39 Jahre, bis 2009, tätig war. Denn der Schlepper der Klasse 722, auf dem er fast die Hälfte seines Lebens mit vielen weiteren zivilen Crewmitgliedern verbracht hat, wird zum 15. Juli ohne viel Aufhebens außer Dienst gestellt. Dem Schiff droht die Verschrottung.

Es ärgert Martin, dass ein Schiff, das 54 Jahre intensiv von der Mannschaft gewartet und gepflegt wurde, nun mit dem letzten Einholen der Bundesflagge einfach Geschichte ist. »Bei anderen wesentlich jüngeren Schiffen der Deutschen Marine gibt es einen riesigen Medienauflauf, warum nicht bei solch einem Oldtimer, der mit zu den ältesten schwimmenden Einheiten bei der Deutschen Marine gehört«, so Martin. In der Nato gehören die »Wangerooge« und ihre drei noch aktiven Schwestern zu den ältesten Marine-Seeschleppern.

Wangerooge 4.9.2007 Cuxhaven C. Eckardt
Der Marineschlepper »Wangerooge« (© Eckardt)

Kaum Aufmerksamkeit für »graue Engel«

Die deutschen Schleppfahrzeuge würden eigentlich ihr geplantes Nutzungsdauerende ab 2025 erreichen, so dass im Jahr 2020 das Projekt »Erhalt der Schlepp-, Manövrier- und Bugsierfähigkeit für seegehende Einheiten« bei der Marine initiiert wurde, doch bislang gibt es noch keine konkreten Pläne über Ersatzbeschaffungen von Schleppern. Die »kleinen grauen Engel« stehen kaum im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, sind für die Teilstreitkraft aber von essenzieller Bedeutung. So wurde der beim Trossgeschwader in Wilhelmshaven stationierte Seeschlepper »Wangerooge« überwiegend zum Abschluss der Ausbildung »Überleben auf See« beim Open Sea Survival Training (OSST) für fliegendes Personal der Bundeswehr genutzt. Dabei springen die Soldaten vom Gestell am Heck ins Wasser, müssen sich im Wasser vom simulierten Fallschirm lösen und in eine Rettungsinsel klettern oder werden von einem Hubschrauber abgeborgen und letztlich wieder an Deck der »Wangerooge« abgewinscht. Doch damit ist jetzt Schluss, schon seit einigen Monaten übernimmt die Cuxhavener Schleppreederei Wulf diese Aufgabe für die Marine.

Verschrottung steht wohl an

Nach den jetzigen Planungen soll der Schlepper »Wangerooge« direkt auf der Tamsen Werft in Rostock in Rente gehen. Schon seit November liegt das Schiff zur Instandsetzung dort in der Werft und musste sogar von Wilhelmshaven dorthin geschleppt werden. »Das gab es bei uns nicht«, so Siegfried Martin, »wir sind immer mit eigener Kraft in die Werft gefahren.« Doch das ist auch einer der Gründe für die nun drohende Verschrottung des Schleppers. Ersatzteile für die vier, über 54 Jahre alten Maybach-Viertakt-16-Zylinder-Dieselmotoren mit je 442 kW für den diesel-elektrischen Antrieb sind nicht mehr zu bekommen oder müssten für hohe Kosten extra hergestellt werden. Weiterhin wurde wohl beim Überprüfen der Außenhaut festgestellt, dass die notwendige Materialstärke nicht mehr gegeben ist.

Gebaut bei Schichau

Die sechs 51,78 m langen und 11,7 m breiten Hilfsschiffe der Wangerooge-Klasse (Klasse 722) entstanden zwischen 1968 und 1971 auf der ehemaligen Schichau-Werft im Neuen Hafen in Bremerhaven – dort wo sich jetzt der Liegeplatz des Rundfahrtschiffes »Geestemünde« befindet. Die Schlepper entstanden zu einer Zeit, als für die damalige Bundesmarine ein umfangreiches Neubauprogramm für Boote und Schiffe unterschiedlicher Einsatzaufgaben umgesetzt wurde. Sie erhielten Namen von Ostfriesischen Inseln und haben beziehungsweise hatten Zivilbesatzung. Die Hauptaufgabe ist das Schleppen und Bergen von Seefahrzeugen und der Hilfeleistung in See, das Schleppen von Schießscheiben und das Bergen von Übungstorpedos und –minen.

1966 vom Stapel gelaufen

Das Typschiff der Serie war die »Wangerooge« mit der Baunummer 1735, die am 4. Juli 1966 vom Stapel lief und zwei Jahre später, am 8. April 1968, für das 2. Versorgungsgeschwader in Dienst gestellt wurde. Schon nach einem Jahr wurde der Schlepper im Marinearsenal in Wilhelmshaven wieder außer Dienst gestellt und anschließend eingemottet. Ab dem 1. Juli 1970 wurde die »Wangerooge« dann wieder für das Versorgungsgeschwader in Wilhelmshaven in Dienst gestellt, das ab 1997 als Trossgeschwader geführt wurde.

Schwester in Uruguay

Vier der ehemals sechs Einheiten sind heute noch aktiver Teil der Flotte der Deutschen Marine. Die »Spiekeroog« ist in Kiel stationiert und ebenfalls beim Trossgeschwader beheimatet. Die etwas jüngeren Schwestern »Juist« und »Baltrum« sind als Taucherschulboote in Neustadt/Holstein beim dortigen Schiffssicherungszentrum stationiert. Die Schlepper »Langeoog« und »Norderney« wurden inzwischen ausgemustert. Während die »Langeoog« schon verschrottet wurde, konnte die »Norderney« Ende 2002 als »Maldonado« in den Dienst der Marine von Uruguay in Südamerika wechseln.   (CE)