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Die Schifffahrtsbranche fordert von der EU Maßnahmen zur Gewährleistung einer raschen und vorhersehbaren Ausschiffung von Personen, die von Handelsschiffen auf See gerettet werden.

[ds_preview]In einem offenen Brief an die EU-Komission bringen der europäische Reederverband ECSA, die International Chamber of Shipping (ICS) und die Gewerkschaftsverbände ETF und ITF ihre wachsende Besorgnis über die Entwicklungen bei Rettungsmaßnahmen für in Not geratene Personen im Mittelmeer zum Ausdruck.

Seit dem Höhepunkt der Migrantionskrise im Jahr 2014 haben Handelsschiffe zur Rettung von über 80.000 in Seenot geratenen Personen in den Gewässern des zentralen Mittelmeers beigetragen. Diese Rettungen wurden durch die prompte Hilfe europäischer Staaten und Operationen in der Region unterstützt.

Die Zahl der Personen, die diese Gewässer durchqueren, sei zwar zurückgegangen, aber es gebe Anzeichen dafür, dass sich dieser Trend nun umkehrt, so die Verbände. So habe die europäische Grenzschutzagentur Frontex kürzlich einen Anstieg der Zahl der Migranten auf der zentralen Mittelmeerroute um 86 % im Vergleich zum selben Zeitraum des Jahres 2019 gemeldet. »Dies ist für die Schifffahrtsindustrie zutiefst beunruhigend, da die Migrantenrouten durch internationale Schifffahrtswege verlaufen, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Handelsschiffe zu Rettungsmaßnahmen herangezogen werden. Wie jüngste Vorfälle wie die der ›Talia‹ und der ›Maersk Etienne‹ zeigen, gibt es keine Garantie dafür, dass diese Schiffe bei der Erfüllung ihrer humanitären Verantwortung schnelle und angemessene Hilfe erhalten«, heißt es in dem Brief.

UNCLOS und SOLAS erlegen Schiffen und Küstenstaaten ergänzende Verpflichtungen auf, um die Rettung von Personen in Seenot unabhängig von ihrer Nationalität, ihrem Status oder den Umständen, unter denen sie angetroffen werden, zu gewährleisten und sie gemäß den Anweisungen der Such- und Rettungsbehörde, die die SAR-Operation koordiniert, an einem sicheren Ort an Land zu bringen.

»Enormer Druck auf Besatzungen«

»Handelsschiffe werden nicht vor ihrer rechtlichen und moralischen Verantwortung zurückschrecken, den Hilfsbedürftigen auf See Hilfe zu leisten. Handelsschiffe sind jedoch weder gebaut noch ausgerüstet, um große Gruppen von in Seenot geratenen Menschen zu retten und zu versorgen. Dies übt einen enormen Druck auf die Besatzungen aus, die humanitäre Hilfe leisten. Selbst wenn man sich an Best-Practice-Richtlinien hält, sind die Vorkehrungen für Erste Hilfe, medizinische Versorgung sowie Nahrung und Wasser nicht an große Gruppen von Notleidenden angepasst – es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die geretteten Personen so schnell wie möglich an einem sicheren Ort von Bord gebracht werden können – wie es das Gesetz verlangt«, schreiben die Verbände.

Darüber hinaus seidie Überführung der geretteten Personen auf See ein »atypischer Vorgang«, der für alle Beteiligten ein erhebliches Risiko berge. Schließlich könne eine große Anzahl geretteter Personen und/oder ihre längere Aufenthaltszeit an Bord die Schwierigkeiten für den Kapitän und die Besatzung erhöhen, der Forderung nach einer humanen Behandlung der geretteten Personen gemäß SOLAS-Regel V/34.6 nachzukommen, und die Fähigkeit des Kapitäns, seiner Verantwortung für die Gewährleistung der Sicherheit der Schiffsbesatzung nachzukommen.

»Obwohl die zusätzlichen Belastungen durch die COVID-19-Pandemie voll anerkannt werden, ist es nach wie vor von entscheidender Bedeutung, dass die Staaten ihren Verpflichtungen zur Zusammenarbeit bei der Rettung und Ausschiffung nachkommen und pragmatische und rasche Lösungen finden, damit Handelsschiffe, die an SAR-Operationen beteiligt sind, einen sicheren Hafen erhalten, um gerettete Migranten unverzüglich von Bord zu bringen.«

ECSA, ICS, ETF und ITF sind der Ansicht, dass Handelsschiffe in der Lage sein müssen, Rettungen sowohl für die Geretteten als auch für die rettenden Seeleute »sicher, rasch und vorhersehbar« abzuschließen. Die Sicherheit des Lebens auf See sei ein übergeordnetes Prinzip, das unter allen Umständen respektiert werden müsse. Daher müssten die Staaten sicherstellen, dass die Schiffe und die Kapitäne der Schiffe, die Personen in Seenot befördern, die sie auf See gerettet haben, so bald wie vernünftigerweise möglich im Einklang mit dem Völkerrecht entlastet werden.

»Akte humanitärer Hilfe nicht kriminalisieren«

»Ebenso ist es von wesentlicher Bedeutung, dass im Einklang mit dem Protokoll von Palermo sichergestellt wird, dass Akte humanitärer Hilfe nicht kriminalisiert werden, und dass die Staaten sicherstellen, dass die bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen genügend Klarheit schaffen, um zu vermeiden, dass gegen diejenigen, die ihrer Verpflichtung zur Rettung und Erhaltung von Leben nachkommen, keine Anklage erhoben werden kann«, wird in dem Brief erklärt.

Kürzlich hatte es Fälle gegeben, in denen Handelsschiffen in europäischen Staaten das Recht verweigert wurde, gerettete Personen von Bord zu nehmen, was zu einer humanitären Krise an Bord sowohl für die geretteten Personen als auch für die Besatzung führte. »Diese Situationen verdeutlichen die Notwendigkeit langfristiger Lösungen und eines koordinierten Rahmens zwischen den EU-Mitgliedstaaten in Bezug auf ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen zur Koordinierung von Rettungseinsätzen. Dazu sollte in all diesen Fällen für Klarheit und Vorhersehbarkeit gesorgt werden, wobei die unverzügliche Ausschiffung der von Handelsschiffen geretteten Personen an einem Ort zu gewährleisten ist, an dem das Risiko für die Sicherheit von Schiffen, geretteten Personen, Kapitänen und Besatzungen im Einklang mit den Verpflichtungen des SOLAS-Übereinkommens minimiert wird«, heißt es.

ECSA, ICS, ETF und ITF fordern die EU und die Mitgliedstaaten auf, ein solches Ergebnis »ohne weitere Verzögerungen« zu ermöglichen und dabei der »Notwendigkeit, die Sicherheit von Handelsschiffen, Seeleuten und den von ihnen betreuten Not leidenden Menschen zu gewährleisten, in vollem Umfang Rechnung zu tragen«.

Der Brief ist unterzeichnet von Martin Dorsman (Secretary General ECSA), Guy Platten (Secretary General ICS), Livia Spera (Acting General Secretary ETF) und Stephen Cotton (General Secretary ITF).